Anforderungen von Auswirkungsanalysen

Diskussionsrunde
Diskussionsrunde auf der Veranstaltung bei GSK Stockmann in Berlin. © Dr. Lademann & Partner

Handel und Immobilien
Resilienz

Susanne Müller

An diesem Punkt kommen häufig Gutachter zum Einsatz. Dazu hat sich Diplom-Ingenieur Boris Böhm, Partner und Prokurist bei Dr. Lademann & Partner, Gedanken gemacht. Er ist Mitglied in der Kompetenzgruppe Einzelhandel und hat maßgeblich an der gif-Publikation „Qualitätskriterien für Einzelhandelsgutachten“ mitgewirkt.

Immer dann, wenn es um die Entwicklung großflächiger Einzelhandelsvorhaben geht – sei es die Neuansiedlung, Erweiterung oder Verlagerung von Lebensmittelmärkten oder das Refurbishment von Einkaufszentren und ehemaligen real-Standorten – und dafür neues Baurecht geschaffen werden muss, geraten sie in den Fokus: Einzelhandelsgutachten oder präziser gesagt – Verträglichkeitsgutachten. Im Kern geht‘s dabei um die Frage, ob sich die Vorhabenrealisierung negativ auf die Funktionsfähigkeit der städtischen Zentren oder die Nahversorgung der Bevölkerung auswirken kann. Je nach planungsrechtlicher Ausgangslage können sich Fragen hinsichtlich der Vereinbarkeit mit Zielen der Raumordnung oder hinsichtlich der Vereinbarkeit mit einem städtischen Einzelhandelskonzept anschließen.

Im Spannungsfeld vieler Interessensgruppen

Die Anforderungen an die Verträglichkeitsgutachten, oder auch Auswirkungsanalysen genannt, sind über die letzten Jahre – und häufig getrieben von der Rechtsprechung – stetig gestiegen. Zudem steht ein Verträglichkeitsgutachten im Spannungsfeld vieler Interessensgruppen. Standortkommune und Nachbarkommunen, Einzelhandelsverbände und IHKs oder auch Wettbewerber aus dem Handel schauen häufig kritisch auf die Gutachten und lassen gerade bei umstrittenen Vorhaben immer häufiger Plausibilitätsprüfungen bis hin zu Gegengutachten erstellen. Hin und wieder wird ein Verträglichkeitsgutachten auch Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Hält ein Gutachten den Überprüfungen im Rahmen der Baurechtschaffung oder im Genehmigungsverfahren nicht stand, besteht ein erhebliches Risiko des Scheiterns einer gesamten Projektentwicklung.
 
Insofern sind beim Gutachter ein hohes Maß an Qualifikation und langjährige Expertise vorauszusetzen. Gerade weil der Berufsstand des Gutachters nicht zertifiziert ist und der Begriff des Verträglichkeitsgutachtens nicht geschützt ist, heißt es: Augen auf bei der Gutachterwahl!

Publikation zu Qualitätskriterien

Auch aus diesem Grunde hat die Kompetenzgruppe Einzelhandel der Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung (gif) in einem intensiven Diskussionsprozess und einer breit zusammengesetzten Akteursrunde Qualitätskriterien für Einzelhandelsgutachten formuliert und hierzu eine umfassende Publikation herausgebracht. Mit einer Veranstaltung in Berlin Mitte November fiel der Startschuss für eine Roadshow durch Deutschland, bei der die Qualitätskriterien vorgestellt und mit allen Interessierten diskutiert wurden, die mit Einzelhandelsgutachten in Berührung kommen – sei es der Handel, die Projektentwickler und Investoren oder die Städte und Kommunen. Und schon bei der Auftaktveranstaltung in Berlin zeigte sich aus den Beiträgen der Teilnehmer, welchen wichtigen Stellenwert den Verträglichkeitsgutachten mittlerweile bei der Entwicklung von Einzelhandelsprojekten beizumessen ist und welche Risiken mit nicht qualifizierten Gutachten verbunden sind.

Hilfestellung bei der Suche

Auftraggeber von Verträglichkeitsgutachten sollten daher darauf achten, dass der Gutachter nach den methodischen Standards der gif-Publikation arbeitet, und sich insbesondere folgende Fragen stellen:
Begründet der Gutachter alle von ihm getroffenen Annahmen ausführlich?
Sind das Prognosemodell und das Prognoseergebnis zur Ermittlung der wettbewerblichen Auswirkungen plausibel und transparent dargestellt?
Kommt die städtebauliche Bewertung der wettwerblichen Auswirkungen nicht zu kurz? Denn darauf kommt es ganz wesentlich an.
Wird das Gutachten dem geforderten (realitätsnahen) Worst Case gerecht?

Aktuelle Herausforderungen sollten einfließen

Und ganz aktuell: Greift das Gutachten die aktuellen Herausforderungen für den Einzelhandel – Corona-Nachwehen, Dynamik im Online-Handel, Inflation, Energiekrise und so weiter – auf, und wie wird damit im Gutachten umgegangen? Denn klar ist: Das Gutachten kann die aktuellen Rahmenbedingungen vor allem im Hinblick auf den stationären Nonfood-Einzelhandel nicht ausblenden, wenn es der geforderten Worst-Case-Prognose gerecht werden soll, und muss methodisch eine Lösung dafür finden, wie mit der stärkeren Kaufkraftabwanderung in den Online-Handel oder mit der Kaufzurückhaltung im Allgemeinen umzugehen ist. Nur dann ist ein Verträglichkeitsgutachten auch wirklich gerichtsfest.

Susanne Müller