Außergewöhnliche Sichtweisen

German Council Congress
PASSION beim German Council Congress. © Simone Kircheis

Insight
Optimismus

Susanne Müller

Pinker hätte die Stage nicht sein können: Die Deko war allerdings nicht dem aktuellen Barbie-Hype geschuldet. Pink stand beim German Council Congress in den Berliner Bolle-Festsälen vielmehr für Passion. Und die Keynote-Speaker gaben alles, um dem leidenschaftlichen Motto gerecht zu werden. Moderatorin Judith Rakers hatte eigens eine passende Bluse ausgewählt.

Eine kleine Enttäuschung erlebten die Teilnehmenden beim Vorabend-Event im LIVING Berlin: Astronaut Dr. Matthias Maurer glänzte durch Abwesenheit, war er doch zu einem wichtigen Termin in die USA abberufen worden. Er ließ ausrichten, den Auftritt im nächsten Jahr nachholen zu wollen. Die Partner CBRE und LIVING glichen sein Fehlen durch exzellentes Catering und harmonische Atmosphäre auf dem Rooftop aus. GCSP-Vorstand Harald Ortner schlug dann gleich die Brücke: „Es ist wichtig, verlässliche Partner an der Seite zu haben.“ Die Probleme der Branche redete er nicht klein: „Survive until 25 scheint zurzeit die Devise zu sein. Endinvestoren halten sich zurück und warten das Licht am Ende des Tunnels ab. Leider erleben wir auch viele Insolvenzen. Und wer glaubt, die Politik wird gegensteuern, liegt falsch.“ Doch der GCSP wolle alles dafür tun, den Politikern die Augen zu öffnen. „Wir müssen uns die Leidenschaft erhalten, damit der Besuch beim Discounter zukünftig nicht das einzige Einkaufserlebnis bleibt.“

Silberstreif am Horizont

Nach der Begrüßung durch Judith Rakers sprach GCSP-Vorsitzende Christine Hager am eigentlichen Kongresstag aufmunternde Worte: Obwohl die letzten drei Jahre ein Game Changer gewesen seien, die Bürger von Sorgen und Ängsten getrieben und die Illusion vom anstrengungslosen Wohlstand verpufft, zeige sich am Horizont ein „fetter Silberstreif“. „Die Menschen sind zurück in der Stadt und haben ihren Wert neu für sich entdeckt. Sie haben wieder Lust auf Beratung“, betonte sie. Wertschätzung könne man nicht kaufen: „Achtung, Anerkennung, Respekt und die Würdigung einer Person sind die wichtigsten Zutaten zum Erfolg.“

Handel wird erstarken

HDE-Präsident Dr. Alexander von Preen sprach in seinem Grußwort über Herausforderungen und Chancen zukünftiger Innenstädte. „Die Wirtschaft muss wieder enger zusammenspielen“, appellierte er. „Neue Geschäftsmodelle funktionieren nur, wenn sie auf Kooperation und Partnerschaft aufbauen Und der Handel ist bemüht, diesen Austausch zu fördern.“ Von Preen verwies auf das schwierige Marktumfeld und die schwache Konsumstimmung. Selbst High-Street-Lagen performten noch unter Vor-Corona-Niveau – „wie sieht’s dann erst in den Mittelzentren aus? Das bereitet uns Bauchschmerzen“. Rücklagen seien aufgebraucht, gut 50 Prozent der Händler klagten über sinkende Frequenzen, und für 2023 gehe er von der Schließung von 9000 Geschäften aus. Die Jahresendrallye falle demnach aus. Alternativen seien Mischbewirtschaftung, Austauschmöglichkeiten – und die Gastronomie als wesentlicher Mitspieler bei der Einkaufsexperience. „‚Retail‘ ist das ‚neue Retail‘“, folgerte er. „Der stationäre Handel wird wieder erstarken, wenn wir die Rahmenbedingungen zu anderen Konditionen stellen.“

Was die Gen Z antreibt

Psychologin Ines Imdahl, Mutter von vier Kindern, erklärte dem Auditorium, wie die Gen Z tickt. Die laut rheingold salon meistbefragte Bevölkerungsgruppe beeinflusse das Konsumverhalten einer ganzen Generation – und mache doch nur zwölf Prozent der Bevölkerung aus. Sie sprach von einem geravierenden Gefühl des Kontrollverlustes, der tiefen Sehnsucht nach Sicherheit und Freundschaft, den die Gen Z  durch Allmachtsgedanken und Beauty-Treatments zu kompensieren versuche. Klare Strukturen würden da helfen, meinte die Referentin. „Wir müssen Fehler und Scheitern zulassen, Regeln durchsetzen – und die Händler sollten auch andere Zielgruppen im Blick behalten.“

Die Herzen erreichen

Alexander Scharf, Geschäftsführer gastro urban GmbH, erläuterte seine Vision von Arbeitsgestaltung: Faire Honorierung, Wertschätzung und Weiterentwicklung. Eine positive Arbeitskultur zu etablieren, sei immens wichtig: „Wir müssen miteinander sprechen und gegenseitige Erwartungen offen abklären.“ Mitbestimmung und Anerkennung würden die Herzen der Mitarbeiter erreichen: „Die Menschen wahrzunehmen und zu begeistern, Inhalte erlebnis­orientiert zu vermitteln, erzeugt eine positive Einstellung und ein angstfreies Milieu.“

Kochen von morgen

Um einen futuristischen Kochroboter ging’s im Vortrag von Kevin Deutmarg und Michael Wolf von der GoodBytz GmbH. Ziel ist, die tägliche Verpflegung auf ein höheres Level zu bringen und Zeit für die Auswahl frischer Zutaten und die eigentliche Kochkunst zu schaffen. Zurzeit ist der Roboter, der 150 Gerichte pro Tag zubereiten kann, nur als reines Mietmodell erhältlich.

Gastgeber aus Leidenschaft

Haya und Ilan Molcho erklärten lebhaft, wie ihr Familienkonzept bei den zwölf NENI-Restaurants funktioniert. Mutter Haya, Ehefrau des bekannten Pantomimen und Autors Samy Molcho, hat alle vier Söhne in den Betrieb eingebunden – und jeder arbeitet nach seinen individuellen Fähigkeiten. Die Balagan-Mentalität nennen sie das, ein hebräisches Wort für „sympathischer Chaot“. Begleiten, nicht vorschreiben, so haben es die Eltern in der Erziehung gehalten und diese Einstellung aufs Geschäftsmodell übertragen. Offene Kommunikation, Lob und Achtsamkeit erbringe die besten Ergebnisse. Als Gastgeber müsse man Emotionen wecken. Die Mission: Menschen jeder Herkunft durch gemeinsames Essen zu verbinden.

Strategien für Händler

Professor Dr. Andreas Kaapke verordnete Strategie und Marktforschung in der Zeitenwende. Die deutsche Wirtschaft komme derzeit nicht voran und stecke in der Konjunkturkrise. Fast im Monatsrhythmus klettere die Teuerungsrate. Viele Kunden warteten derzeit die Energieabrechnung ab, bevor sie sich zu größeren Anschaffungen entschlössen. „Der Wirtschaftsminister drängt aufs Sparen – doch in London und Amsterdam, die die gleichen Probleme haben, sind die Stores nicht nur zur Weihnachtszeit voll beleuchtet, frei nach dem Motto: Die Leute wollen uns sehen, nicht suchen.“ Die Sparkurve habe deutlich an Gewicht gewonnen: „Doch so können wir die Verbraucherzurückhaltung nicht überwinden.“ Dies sei eine Frage der Attitüde „Es hilft nichts, in der Krise auch noch schlecht zu tanzen. Wir müssen den Menschen deutlich machen, dass sie Dinge nirgendwo besser bekommen als im stationären Handel.“ Eyecatcher schaffen, zur Einfachheit zurückkehren, multisensorische Erlebnisse kreieren, Produkte personalisieren, auffällige oder humorige Schaufenstergestaltung – all dies seien Stellschrauben, an denen der Händler drehen könne.

Am Ende brachte der „Lachverständige“ Dr. Oliver Tissot den kompletten Kongress auf den Punkt und das Zwerchfell der Teilnehmer zum Beben. Ohne jegliches Skript entfachte er im Publikum Heiterkeitsstürme. Den Kongresstag haben dm und MK Illumination unterstützt. FACO Immobilien sorgte mit den Weinen der Villa Huesgen für allerbeste Stimmung am Abend.

Susanne Müller