Bei Söder gibt es weder Wanken noch Zaudern

Prof. Dr. Frank Brettschneider
Prof. Dr. Frank Brettschneider

Interview
Dranbleiben

Susanne Osadnik

Wahlkampf ohne Publikum. Keine Rosen auf dem Marktplatz, kein Händeschütteln in der Dorfkneipe. Stattdessen politische Botschaften via Internet. Die aktuelle Corona-Pandemie verändert alles – auch die Art und Weise, wie Politiker um die Gunst potenzieller Wähler buhlen. Der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider über die Bühnenpräsenz von Spitzenpolitikern, die Aggressionsspirale der Wutbürger, und warum er an die Vernunft der Wähler glaubt

Herr Professor Dr. Brettschneider, macht ein Wahlkampf, der ohne persönlichen Kontakt stattfindet, dem Wähler die Entscheidung leichter oder schwerer?
Frank Brettschneider: Weder noch. Viele Wähler treffen ihre Entscheidungen aufgrund ihrer langjährigen Bindungen an Parteien oder der ihnen auf den Nägeln brennenden Themen. Für sie ist es nicht so wichtig, ob es Veranstaltungen auf kommunaler Ebene mit den jeweiligen Wahlkreiskandidaten gibt oder nicht. Und die potenziellen Kanzlerkandidaten sehen ohnehin nur die wenigsten Wähler im Laufe eines Wahlkampfs live. Das spielt sich seit jeher auf dem heimischen Bildschirm ab. Anders könnte es sich mit den sogenannten Wechselwählern verhalten, die kurzfristig entscheiden und ihre Wahl stark vom Eindruck der Kandidaten abhängig machen. Wenn mir also jemand – vielleicht sogar wider Erwarten – gut in seinem Auftreten gefällt, er mir vertrauenswürdig erscheint und ich mit vielen seiner Äußerungen übereinstimme, wähle ich ihn – selbst wenn er vielleicht anfangs gar nicht meine Nummer eins war. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist die heiße Wahlphase, in der die Kandidaten noch mal alles geben und von einem Ort zum anderen ziehen – manchmal zehn Termine an einem Tag wahrnehmen. Das alles wird es dieses Jahr aber nicht geben.

Donald Trump hat die Wahlen in den USA auch deshalb verloren, weil er coronabedingt nicht so oft auftreten konnte wie sonst üblich. Seine Stärke ist seine Performance vor Massen. Angela Merkel ist bekanntermaßen keine Bühnenpersönlichkeit – und dennoch vier Mal zur Kanzlerin gewählt worden. Was sagt die Präsenz von Politikern wirklich über ihren Wahlerfolg aus?
Aus meiner Sicht ist die Bühnenpersönlichkeit bei uns nicht so entscheidend wie in den USA. Vielmehr setzen die Wähler hierzulande auf Personen, die berechenbar und führungsstark sind, die sattelfest in den wichtigen Themen unterwegs sind. Wer als inkompetent wahrgenommen wird, hat eigentlich schon verloren. Angela Merkel hat sich auch deshalb so lange an der Spitze halten können, weil sie als integer, uneitel und bodenständig gilt. Ihr nimmt man ab, dass es ihr nicht um ihr persönliches Interesse oder gar um Bereicherung geht. So etwas ist wichtig. Wir sehen auch gerade bei Markus Söder, dass Führungsstärke ohne demonstrative Arroganz die Türen zu den Wählern öffnet. Söder präsentiert sich seit der Corona-Krise durch und durch als Führungsgestalt, die Leitlinien setzt und einen konsequenten Kurs verfolgt. Bei Söder gibt es weder Wanken noch Zaudern. So etwas kommt an – auch über Parteigrenzen hinweg. Das trifft übrigens auch auf Winfried Kretschmann zu. Der Grüne führt Baden-Württemberg seit 10 Jahren als Ministerpräsident, wäre aber nach jüngsten Umfragen zu 57 Prozent auch von CDU-Anhängern gewählt worden, wenn es eine Direktwahl gäbe. Nur 35 Prozent der CDU-Wähler wollten für die parteieigene Kandidatin stimmen.

Demnach wären Persönlichkeiten doch wichtiger als Parteiprogramme. Können wir dennoch hoffen, dass politische Inhalte oder sogar Gesamtkonzepte für die Zukunft mehr in den Vordergrund rücken?
Es kommt auf die Kombination von Personen und Themen an. Und die Themen waren ja nie ganz weg. Zurzeit dominiert zwar die Corona-Krise und die Frage, wie wir möglichst bald aus der Misere herauskommen. Aber erinnern wir uns an die vergangene Bundestagswahl. Da stand das Thema Flüchtlingspolitik im Vordergrund. Bei der Europawahl fokussierte man sich auf den Klimawandel, was den Grünen enormen Stimmenzuwachs beschert hat. Das ist noch gar nicht lange her, aber schon fast in Vergessenheit geraten durch die aktuelle Zwangslage. Jede Partei versucht das Thema zu pushen, bei dem sie als kompetent gilt. Dann kann sie profitieren. Aber nicht immer dringen Parteien mit ihren Themen in der öffentlichen Debatte durch.

Wäre aber nicht gerade jetzt die Chance, auch zu zeigen, dass man eben nicht nur Klima kann, sondern auch Wirtschaft? Oder nicht nur Wirtschaft, sondern auch zukunftsfähige Landwirtschaftspolitik?
Es gibt in der Tat nur wenige Politiker, die viele Themen in ein Gesamtkonstrukt einbetten. Christian Lindner hat das mal vor vielen Jahren versucht. In letzter Zeit nimmt man ihn seltener so war. Oder nehmen sie Wirtschaftsminister Altmaier. Er müsste beispielsweise im Rahmen der Energiewende die soziale Marktwirtschaft neu definieren und damit ein Gesamtkonzept für die Zukunft präsentieren. Bislang haben wir das aber nicht gesehen.

Wie wirkt sich die aktuelle Situation auf die Parteibasis aus, die ja gewöhnlich stark involviert ist in den lokalen Wahlkampf?
Da fehlt auf jeden Fall das soziale Element. Das Biertrinken vor Ort und das Gemeinschaftsgefühl, das in Wahlkampfzeiten besonders stark ist oder zumindest sein sollte, kann eine Video-Konferenz in einem sterilen Studio oder in der leeren Dorfkneipe nicht ersetzen. Das wird für die Parteibasis vor Ort ein schweres Stück Arbeit sein, sich selbst und andere zu motivieren. Was übrig bleiben wird, ist das Verteilen von Flyern in die Haushalte. Möglicherweise sieht das Ganze aber im September zur Bundestagswahl schon anders aus. Wenn bis dahin schon viele Menschen geimpft sein sollten, könnte ein Wahlkampf unter ganz anderen Bedingungen stattfinden als sie gerade bei den Landtagswahlen im März gegeben waren.

Die Menschen sind zurzeit nicht nur coronamüde, sondern zunehmend auch erschöpft von täglichen Videokonferenzen und gestreamten Veranstaltungen. Wie wird sich das auf die Bereitschaft der Wähler auswirken, einem Online-Wahlkampf zu folgen?
Mag sein, dass es fast schon zu viele Veranstaltungen gibt, sodass die schiere Menge etwas überfordert. Aber man muss es ja nicht anschauen. Ende vergangenen Jahres haben wir im Oberbürgermeister-Wahlkampf in Stuttgart gesehen, dass beispielsweise die von den Zeitungen initiierten gestreamten Podiumsveranstaltungen gut angekommen sind. Immer dann, wenn mehrere Kandidaten in direkter Konkurrenz zueinander zu vergleichen waren, war auch die Resonanz groß. Das wird sicher auch bei den Landtagswahlen und der Bundestagswahl so sein.

Wie schätzen Sie die Bedeutung der Sozialen Medien beim Wahlkampf ein?
Wir haben da schon eine interessante Entwicklung beobachten können. Bei der OB-Wahl in Stuttgart hatte sich binnen einer Wahlperiode die Bedeutung von Twitter, Facebook & Co. verdreifacht. Insofern kann man sicher behaupten, dass die Sozialen Medien eine immer wichtigere Rolle spielen. Man darf aber nicht vergessen, dass Parteien darüber meist die eigenen Anhänger erreichen und selten die Unentschiedenen, die sie überzeugen wollen. Aber es ist ein probates Mittel, junge Menschen anzusprechen, die ausschließlich Kanäle wie Instagram oder YouTube nutzen und Politik kaum noch über die klassischen Medien wahrnehmen.

Welche Rolle werden Wutbürger, die Dampf ablassen, und Bots, die manipulativ eingesetzt werden, bei den Wahlkämpfen spielen?
Soziale Medien sind meist nicht der Ort eines gepflegten, zivilisierten Diskurses. Stattdessen sehen wir immer wieder Pöbeleien, auch ein Hochschaukeln der Aggression, eine Hemmungs- und Respektlosigkeit. An die Stelle von Argumenten treten Verschwörungsbehauptungen, einseitige Sichtweisen, manchmal auch Hass. Da sind jede Menge Frustrierte und vermeintlich Ängstliche dabei, die ihrer Wut und Unsicherheit Ausdruck verleihen. Aber sie bilden nicht die Mehrheit in unserem Land ab. Es ist ja nicht so, dass denjenigen, die am lautesten schreien, von der Mehrzahl der Bevölkerung mit Wohlwollen begegnet wird. Und sie bilden ihre Meinung auch nicht auf der Basis von Social-Media-Inhalten. Sondern sie nutzen die klassischen Massenmedien – online wie offline –, vertrauen der Wissenschaft und eigenen Erfahrungswerten. Ob dann die Hasstiraden im Netz von Bots kommen oder von schreienden Menschen, wird daher für die Mehrheit der Wähler keine Rolle spielen.

Dennoch wissen wir, wie mithilfe von Bots versucht wurde, die Wahlen in Frankreich und den USA massiv zu beeinflussen. Hillary Clinton und Donald Trump erhielten beide beispielsweise jede Menge Unterstützer-Tweets, die nicht von Menschen, sondern von Maschinen kamen. Wie kann man auf dieser Grundlage noch sicher sein, dass Wahlprognosen zutreffen?
Wenn man einen zutreffenden Eindruck vom Stimmungsbild in der Gesellschaft haben will, sollte man keine Tweets oder Likes heranziehen, sondern seriöse Umfragen. Die basieren auf repräsentativen Stichproben von zufällig ausgewählten Menschen. Die Antworten sind dann Momentaufnahmen zum Zeitpunkt der Umfrage. Etwas anderes sind die Prognosen am Wahlabend um 18 Uhr nach dem Gong. Die werden in diesem Jahr tatsächlich schwierig. Denn normalerweise beruhen diese Prognosen auf einer Befragung von Wählern, die gerade aus dem Wahllokal kommen. Wahrscheinlich werden das aber – coronabedingt – weniger als die Hälfte sein. Die anderen haben da längst schon per Briefwahl abgestimmt. Da muss man sich etwas einfallen lassen.

Was würden Sie Spitzenpolitikern raten, wie sie mit ihren potenziellen Wählern kommunizieren und worauf sie verzichten sollten?
Mein Rat ist: Nicht das Pferd von hinten satteln. Man sollte sich gut überlegen, welche Botschaft man verbreiten möchte. Da muss das Konzept stimmen und in sich schlüssig sein. Hat man das erledigt, kann man sich überlegen, über welche Kanäle die Botschaft am besten transportiert werden kann. Dabei gilt: Weniger ist mehr. Statt jeden Tag irgend etwas über Twitter in die Welt hinauszuposaunen, ist es besser, nicht ständig präsent zu sein. Wenn man überlegt zu Werke geht, erreicht man meist mehr, als wenn man inflationär agiert. Winfried Kretschmann ist auch da ein gutes Beispiel: Er geht dosiert vor, und wenn er etwas öffentlich sagt, dann hat das Substanz.

Mit Winfried Kretschmann sind wir auch gleich bei den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Können die Bundesländer, die in diesem Jahr noch nachziehen mit ihren Wahlen, etwas aus deren Wahlkampf unter Corona-Bedingungen lernen?
Was klar zu erkennen ist: Der Wahlkampf fängt durch die verstärkte Briefwahl deutlich früher an als sonst. Das werden wir auch bei den nachfolgenden Wahlen und der Bundestagswahl sehen. Dadurch wird ebenfalls ein Phänomen abgeschwächt, das sich sonst beobachten lässt: Bei einer normalen Wahl können die letzten 72 Stunden entscheidend sein. Zu dem Zeitpunkt hat aber die Mehrzahl der Bürger in diesem Jahr schon gewählt. Für die Kandidaten könnte es somit zum Schluss ruhiger und entspannter werden als gewöhnlich. Was aber spannend sein dürfte, sind die inhaltlichen Schwerpunkte, die man zurzeit noch nicht so setzen kann, wie man möchte. Erst im Laufe des Jahres werden wir einschätzen können, welche wirtschaftlichen Folgen das Frühjahr und der Sommer mit sich gebracht haben. Noch weiß niemand, wie viele Menschen bis dahin geimpft sein werden; wie viele Kinder wieder in die Schule gehen oder welche Branchen wieder durchstarten können. Noch gibt es viele Fragezeichen, und deshalb halten sich alle inhaltlich noch zurück. Olaf Scholz ist bislang der Einzige, der schon angekündigt hat, wie er sich die Gegenfinanzierung der Corona-Hilfen und den Neustart der Wirtschaft vorstellt.

Das Interview führte
Susanne Osadnik,
Chefredaktion GCG,
noch vor der Nominierung von Annalena
Baerbock und Armin Laschet zu den Kanzler­kandidaten ihrer Parteien

Prof. Dr. Frank Brettschneider ist seit April 2006 Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Kommunikation bei Bau- und Infrastrukturprojekten, die Verständlichkeitsforschung, die Politische Kommunikation (insbesondere Wahlforschung) und das Kommunikationsmanagement. 2002 habilitierte er sich an der Universität Stuttgart zum Thema »Spitzenkandidaten und Wahlerfolg«.