»Binnen fünf Jahren auf dem roten Planeten...«

Bemannte Missionen zum Mars
»Marsianer«: Bemannte Missionen zum roten Planeten rücken in greifbare Nähe © alonesdj – stock.adobe.com

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Vision

Richard Haimann

Reichtum für alle. Automatisierte Fabriken und Roboter, die Rohstoffe gewinnen, Güter fertigen und verteilen. Wir arbeiten nur, weil wir es wollen und nicht mehr, weil wir es müssen. Die Vorstellungen, die Elon Musk von unser aller Zukunft hat, mögen fast naiv klingen. Aber die meisten Visionäre vor ihm hat man auch für ein bisschen verrückt gehalten. Das hat sie jedoch nicht abgehalten, ihre Träume zu verwirklichen und so die Welt maßgeblich zu verändern

 

Er hat den Bezahldienst PayPal mitgegründet und mit der Stromer-Autoschmiede Tesla der Elektromobilität den Weg gebahnt. Sein Raumfahrtunternehmen SpaceX schießt für die US-Weltraumbehörde NASA Satelliten in den Erdorbit und versorgt mit dem Raumschiff Dragon die internationale Raumstation ISS. Nun will er zum Mars: »Ich wäre überrascht, wenn wir nicht binnen fünf Jahren auf dem roten Planeten landen«, sagt Elon Musk.

Der im südafrikanischen Pretoria geborene Unternehmer ist ein klassisches Beispiel für einen erfolgreichen Visionär. Für einen Menschen, der mit aller Kraft seine Träume Realität werden lässt. Das hat den Sohn eines Maschinenbauingenieurs und einer Ernährungsberaterin zum derzeit reichsten Menschen der Erde gemacht – und das im Alter von 50 Jahren. Mit einem Vermögen von 266 Milliarden US-Dollar, umgerechnet rund 234,6 Milliarden Euro, steht er im jüngsten Ranking des US-Wirtschaftsmagazins Forbes vor Amazon-Schöpfer Jeffrey Preston Bezos, genannt Jeff Bezos  (198 Milliarden US-Dollar) und Microsoft-Mitgründer Bill Gates (139 Milliarden US-Dollar).

Derartigen Reichtum, basierend vor allem auf dem Wert der selbst gehaltenen Aktien an den eigenen Unternehmen, hat es nie zuvor in der Geschichte gegeben. Sehr wohl aber eine Vielzahl von Visionären, die ebenfalls mit erfolgreichen Ideen Wirtschaftsgeschichte geschrieben haben.

»Ein Visionär redet nicht nur, er handelt entsprechend seiner Ideen ...«

Zwar urteilte Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt einst flapsig: »Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.« Für Pragmatiker wie den fünften deutschen Regierungschef, der mit seiner hemdsärmeligen Art erfolgreich die Sturmflut von 1962 in Hamburg gemanagt und dabei zehntausende Leben gerettet hat sowie 1977 mit harter Hand die Terroristengruppe Rote Armee Fraktion zerschlug, sind Menschen, die scheinbare Utopien verfolgen, eher Spinner, denn Idealisten. Für sie sind Visionen – vom lateinischen visio, das Sehen, die Erscheinung – Trugbilder und obskure Heilsversprechen, jedoch nicht ein Blick auf eine potenzielle Zukunft.

Doch Verbesserungen und Innovationen sind nur möglich, wenn Menschen Schwachpunkte erkennen und Wege finden, Abhilfe zu schaffen. »Eine Person ist dann ein Visionär und kein Träumer, wenn er ein Macher ist«, erläutert Jochen Mai, Gründer der »Karrierebibel«, einem Webportal für Young Professionals, Fach- und Führungskräfte. »Ein Visionär redet nicht nur, er handelt entsprechend seiner Ideen und Vorstellungen.«

Solche Menschen hat es die Jahrhunderte hindurch immer gegeben. Besonders häufig zu finden sind sie in der Welt des Handels. Intellekt, Vorstellungsvermögen und die Kraft, die daraus gewonnenen Erkenntnisse in die Tat umzusetzen, haben Kaufleute wie den Venezianer Marco Polo im 13. Jahrhundert dazu gebracht, quer durch Asien bis nach China zu reisen, um Seide, Edelsteine und Perlen zu den europäischen Märkten zu bringen. Der 1299 von ihm verfasste Bericht seiner Fernost-Fahrt, »Le divisament dou monde« – zu deutsch: »Die Aufteilung der Welt«, beflügelt in den folgenden Jahren den Handel zwischen Asien und Europa. Immer mehr Kaufleute aus Italien brechen auf, um edle Textilien aus China sowie Gewürze aus Ceylon, Indien und Sumatra entweder direkt vor Ort oder bei Zwischenhändlern in der Levante zu erstehen.

1838: das erste Kaufhaus der Geschichte in Newcastle upon Tyne

Im 16. Jahrhundert versperren die Kriege mit dem Osmanischen Reich die Handelswege nach Fernost. Portugiesische Kaufleute, unterstützt von Heinrich de Avis, Sohn des Königs Johann I., machen sich deshalb mit ihren Karavellen auf, einen Seeweg rund um Afrika herum nach Indien zu finden. Es ist der Beginn des portugiesischen Kolonialreichs. Des Königs Sohn, der selbst nie zur See fährt, aber Kapital und Schiffe stellt sowie eine Nautische Schule zur Ausbildung weiterer Kapitäne gründet, geht als »Heinrich der Seefahrer« in die Geschichte ein.

Die Vision Heinrichs und der portugiesischen Händler wird am 20. Mai des Jahres 1498 Realität: Vasco da Gama, Graf von Vidigueira, erreicht mit seinen drei Karacken, São Gabriel, São Raffael, Bérrio und einem Transportsegler, samt 170 Mann den Hafen von Kalikut im Südwesten Indiens. Vollbeladen mit kostbaren Gewürzen erreicht die kleine Flotte am 14. Juli 1499 wieder Lissabon.

Nicht zwangsläufig zieht es visionäre Händler und Unternehmer in ferne Länder oder gar zum Mars. Erkenntnis, Ideenreichtum und Vorstellungskraft gepaart mit Risikobereitschaft sind auch nötig, um mit Altbewährtem zu brechen und neue Wege einzuschlagen. Ein Beispiel dafür ist Emerson Muschamp Bainbridge, der 1838 in der reichen nordostenglischen Bergbau-Stadt Newcastle upon Tyne das erste Kaufhaus der Geschichte gründet.

Shoppen bei Harrods

»Time is money« – »Zeit ist Geld« – es ist der Wahlspruch der gehetzten Geschäftsleute in dieser Frühphase der Industrialisierung, der Bainbridge auf die Idee bringt, unter einem Dach all das anzubieten, was bislang nur separat in einzelnen Fachgeschäften zu finden ist: Kleidung, Stoffe, Haushaltswaren, Seife, Parfüm und Lebensmittel. Mit einem Besuch bei »Bainbridge« können Kunden auf einen Schlag alle Besorgungen tätigen. »Department Store« nennt der Unternehmer seine Innovation; zu deutsch: Geschäft mit getrennten Abteilungen. Es ist noch heute die Bezeichnung für Kaufhaus in der englischen Sprache.

Um zu erkennen, welche Waren besonders nachgefragt werden und welche kaum begehrt sind, lässt sich Bainbridge jede Woche von den 23 separaten Abteilungen detaillierte Verkaufs- und Bestandslisten vorlegen, heruntergebrochen bis zur Farbe von Nähgarn und Knöpfen. Es ist der Einstieg in das moderne Warenbestandsmanagement.

Das Kaufhaus, 1976 von der Market Street in das neue Eldon Square Shopping Centre verlegt, existiert noch heute. Offiziell trägt es zwar den Namen des aktuellen Eigentümers, der Warenhaus- und Supermarktkette John Lewis Partnership. Für die Menschen in Newcastle ist es aber weiterhin das »Bainbridge«.

Die Idee findet schnell Nachahmer. In London erweitert Charles Henry Harrod sein Geschäft für Leinenvorhänge in der Borough High Street um weitere Waren in angemieteten Läden in der Nachbarschaft. 1849 werden alle Abteilungen in einem großen Neubau an der Brompton Road im Stadtteil Knightsbridge zusammengelegt. Das Kaufhaus Harrods ist geboren.

Rudolph Karstadt eröffnet in der Krämerstraße 4 in Wismar

Nach demselben Prinzip verfährt der Pariser Unternehmer Aristide Boucicaut, der 1852 das Textilgeschäft der Familie Videau samt der zwölf Angestellten übernimmt und daraus das Kaufhaus Le Bon Marché formt. Auch Boucicaut mietet erst weitere Ladengeschäfte im Umfeld an, um seinen Kunden an einem Ort ein stetig wachsendes Sortiment zu präsentieren. Dann beauftragt er den Architekten Louis-Auguste Boileau und den Ingenieur Gustave Eiffel, den späteren Schöpfer des Eiffelturms, an der Rue de Sèvres ein repräsentatives Gebäude für das Kaufhaus zu schaffen. Drei Stockwerke hoch, vier Straßenzüge lang, die Außenfassaden mit Ornamenten überzogen und im Inneren mit einem prunkvollen, von der einer Glaskuppel überdachten Treppenhaus versehen, wird das Le Bon Marché zur Attraktion der französischen Hauptstadt.

Deutschland erreicht das neue Geschäftsmodell erst deutlich später. Am 14. Mai 1881 eröffnet der Einzelhandelskaufmann Rudolph Karstadt in der Krämerstraße 4 in Wismar sein »Manufactur-, Confections- und Tuchgeschäft«. Ein Jahr später eröffnet Oscar Tietz mit dem Kapital seines Onkels Hermann Tietz das »Garn-, Knopf-, Posamentier-, Weiß- und Wollwarengeschäft Hermann Tietz« in Gera. Es ist der Beginn der Kaufhausketten Karstadt und Hertie. Letztere Wortmarke schaffen erst die Nationalsozialisten. Sie zwingen 1934 die jüdische Eigentümerfamilie Tietz ihre Anteile an der bisherigen Hermann Tietz OHG zu weniger als fünf Prozent des Unternehmenswertes an eine neugegründete Hertie GmbH abzutreten. Die dafür genutzte Zusammenziehung des Vor- und Nachnahmen von Hermann Tietz soll den Kunden einerseits den Besitzerwechsel, andererseits Kontinuität bei der Qualität der Waren demonstrieren.

Revolutionär: Einfamilienhaus mit Garten

Rudolph Karstadt und Oscar Tietz haben die gleiche Vision: Anders als Bainbridge, Harrod und Boucicaut wollen sie nicht nur ein Kaufhaus schaffen. Sie wollen Deutschlands Städte mit einem Netz von Warenhäusern überziehen, um überall Kunden die Möglichkeit zu geben, ihre Einkäufe zentral an einem Ort zu erledigen. Tietz eröffnet 1886 eine Filiale in Weimar, 1889 folgen Bamberg und München, 1896 Hamburg, 1900 Berlin. Karstadt macht bereits 1884 sein zweites Haus in Lübeck auf. Unter den Kunden am Eröffnungstag sind die Schriftsteller-Brüder Heinrich und Thomas Mann. 1888 folgt Neumünster, 1890 Braunschweig, 1893 Kiel, 1895 Mölln, 1896 Eutin, bald darauf Bremen, Hamburg, Hannover, Wilhelmshaven, 1911 schließlich Berlin. Um nach dem Ersten Weltkrieg Herrenhemden und -anzüge in stets gleichbleibender hoher Qualität zu günstigen Einkaufspreisen bieten zu können, gründet Karstadt 1919 seine eigene Herrenkleiderfabrik in Stettin.

Visionäre, die die Wirtschaft mit neuen Ideen voranbringen, sind zuweilen Außenseiter. Menschen, die vom eigentlichen Kerngeschäft wenig verstehen, aber durch ihre Vorstellungskraft die Geschäftswelt verändern. Ein Beispiel dafür ist der 1869 in Chicago geborene und zeitlebens dort wirkende Architekt Howard Van Doren Shaw. Inspiriert durch Gespräche mit Ärzten gelangt Shaw zur Überzeugung, dass Menschen in engen Mietskasernen krank werden. Er beginnt daraufhin Wohnsiedlungen zu entwerfen, um deren Gebäude herum Gärten angelegt sind – und wird so zum Begründer der American-Craftsman-Bewegung, die für eine dekorativ schlichte Gestaltung der Gebäude, zugleich aber für deren Umrahmung durch Grünflächen eintritt.

Der Unternehmer Clayton Mark ist von Shaws Thesen so begeistert, dass er ihn 1915 beauftragt, für die mehr als 1.000 Beschäftigten seiner Stahlrohr-Fabrik Clayton Mark & Company im Osten Chicagos eine neue Siedlung zu entwerfen: Marktown. Ein Quartier aus Einfamilienhäusern, von denen jedes über einen eigenen Garten verfügt.

Für jeden Haushalt ein Auto

Als Marktown entsteht, hat in den USA die Motorisierung der Massen bereits begonnen. Seit 1908 rollen bei Ford die T-Modelle vom Fließband. Die »Tin Lizzie«, die »Blechliesel«, ist das erste Automobil der Geschichte, dessen Preis so niedrig ist, dass Fabrikarbeiter sich den Kauf leisten können. Shaw sieht voraus, dass jeder Haushalt in Marktown in den folgenden Jahren ein Auto besitzen wird. Um herumtollende Kinder zu schützen, lässt er die Straßen deshalb breit anlegen und verhängt ein Tempolimit von Five Miles per Hour, acht Stundenkilometer. Es sind die ersten Spielstraßen der Welt.

Reichtum für alle

Das Automobil inspiriert Shaw auch dazu, dass Market Square in Lake Forest, einem Vorort bewohnt von Begüterten im Speckgürtel von Chicago, zu schaffen. Es ist das erste Shopping Center der USA mit großem Parkplatz für die Kunden. Als das Einkaufszentrum mit 48 Geschäften und insgesamt 9.600 Quadratmeter Verkaufsfläche im Jahr 1916 eröffnet wird, können Konsumenten mit ihrem Auto erstmals direkt vor die Türen der Läden fahren und ihre Einkäufe anschließend direkt im Fahrzeug verstauen. Es ist ein Konzept, das fortan alle Gestalter neuer Shopping Center kopieren werden.

Was durch die Geschichte hinweg alle Visionäre im Handel treibt: Sie wollen ihren Kunden einen besseren Service bieten. Sei es, wie im Fall von Marco Polo und Vasco da Gama, durch den Import von begehrten, aber kaum zu bekommenden Waren aus Asien. Sei es durch ein One-Stop-Shopping in Kaufhäusern oder Einkaufszentren.

Bei Elon Musk ist das nicht anders. Seine große Vision der Welt von morgen hat er jüngst in einem Interview mit dem US-Nachrichtenmagazin Time skizziert: »Ein Utopia, in dem alle Menschen jederzeit Zugang zu allen Waren und Dienstleistungen haben, wo es genug für jeden gibt.« Automatisierte Fabriken und Roboter würden Rohstoffe gewinnen, Güter fertigen und verteilen. Reichtum wäre für alle Menschen vorhanden. »Jede Art von Arbeit, die wir dann tätigen, werden wir tun, weil wir es wollen, nicht, weil wir es müssen.« Sollte diese Vision Realität werden, dann wohl erst lange nachdem die ersten Menschen auf dem Mars gelandet sind.


Ein Beitrag von
Richard Haimann,
freier Journalist