Bochum hautnah

Kommunal-Konferenz
Die Kommunal-Konferenz des GCSP in Bochum. © GCSP

Vor Ort
Courage

Susanne Müller

Die mannigfaltigen Gesichter der Stadt Bochum lernten mehr als 70 Teilnehmende bei der zweiten Kommunal-Konferenz des German Council of Shopping Places (GCSP) live vor Ort kennen. Nach Hanau im Vorjahr präsentierte dieses Mal die Ruhrgebietsmetropole ihre innovativen Ideen. Unter dem Motto „Werkzeugkasten Zukunft Innenstadt“ gab’s an zwei Tagen zudem zahlreiche Denkanstöße.

Stärker auf die Kommunen zuzugehen und gemeinsam an einem Strang zu ziehen, sei die Intention des noch neuen GCSP-Formates, erläuterte Generalsekretär Ingmar Behrens in seiner Begrüßung. Ralf Meyer, Geschäftsführer WirtschaftsEntwicklungsGesellschaft Bochum mbH, machte Lust auf einige Projekte und betonte, bei der Entwicklung der Stadt stehe stets auch die Wirtschaft im Fokus, zwecks Verbesserung des Standortes: „Wir wollen Aufbruch erzeugen.“

Abgucken erlaubt

Im Folgenden gab Dr. Wolfgang Haensch, Partner und Büroleiter CIMA Beratung + Management Köln, einen Überblick über die aktuelle Entwicklung in deutschen Innenstädten. In der Post-Corona-Ära erhielte das Gros der City „Schulnoten“ rund um die Drei: „Damit kann keine Stadt zufrieden ein“, stellte er fest. Abgucken sei durchaus erlaubt, verwies er auf das Projekt Stadtimpulse mit rund hundert Best-Practice-Beispielen. Besonders gut gelinge Stadtbespielung dort, wo Zusammenhalt aller Akteure herrsche. Als Pionierprojekte nannte er unter anderem die „essbare“ Biosphärenstadt Blieskastel und den Summer of Pioneers in Wittenberg, bei dem Digitalexperten aus Großstädten zum Landleben eingeladen werden.

Vision Innenstadt 2030

Bei der anschließenden Fachexkursion lernten die Teilnehmer unter Regie von Stadtentwickler Ralf Meyer die Stadt Bochum auf vielen Ebenen kennen. Eine „Vision Innenstadt 2030“ als Leitbild zielt dort auf ein Zusammenspiel aus digitalem und physischem Stadterlebnis ab. Auf dem Besichtigungsplan stand unter anderem das im Bau befindliche Haus des Wissens:  Die alte Hauptpost beherbergt demnächst Bibliothek, VHS, Uni-Räume sowie eine Markthalle. Weitere Stationen waren unter anderem das Mixed-use-Objekt Husemann Karree, dessen Konzept Reinhard Mussehl (HBB) erläuterte, das stetig weiter entwickelte Freizeit- und Gastronomieviertel Bermuda3Eck, das Anneliese Brost Musikforum und Urban Sports am City-Tor Süd für Fitness in der Innenstadt. Auch die komplett digitalisierte Bochumer Stadtverwaltung stand auf dem Plan. Bochums Oberbürgermeistern Thomas Eiskirch zog am Abend Fazit: „Der Blick auf die Innenstädte hat sich gewandelt, nicht nur Einkaufen macht heute eine City aus. Städte müssen mehr bieten und 24/7 funktionieren.“ Wichtig seien öffentliche Impulse, zum Beispiel Platzgestaltung oder Kreativquartiere.

Stellschrauben für Zentren

Am zweiten Tag gab’s in der Jahrhunderthalle spannende Einblicke. GCSP-Vorstand Harald Ortner benannte die Schwerpunkte Transformation und Digitale Stadt. Bernd Düsterdieck, Beigeordneter Deutscher Städte- und Gemeindebund, referierte über Stellschrauben für zukunftsfähige Innenstädte und Zentren. Die Kommunen stünden vor gewaltigen Herausforderungen und seien als unterste staatliche Ebene in der Pflicht, mannigfaltige Vorgaben umzusetzen – von Wohnraum über Migration und Verkehrswende bis Klimaanpassung. „Innenstadtentwicklung findet heute auch in Mittel- und Kleinstädten statt“, hat er beobachtet, und benannte eine „Renaissance des ländlichen Raumes“. Hemmschuhe der erfolgreichen Ortskernentwicklung seien in etwa mangelnde Digitalisierung, schlechte Anbindung sowie das Vergaberecht. Lösungen von der Stange gebe es nicht, denn „jede Stadt ist anders“. Ziel sei hier die Schaffung nutzungsintensiver statt eindimensionaler Innenstädte mit dem Einzelhandel als maßgeblicher Frequenzbringer, aber auch mit Gastronomie, Gewerbe, Bildung, Kultur und Wohnen. Er empfahl den Blick auf staatliche Förderprogramme.

Vielfalt statt Monokultur

Marco Atzberger (EHI) widmete sich dem Überleben in der Innenstadt. „Die Monokultur von Mode und Textilien neigt sich dem Ende zu – zugunsten von mehr Vielfalt“, stellte er fest. Wenn der stationäre Handel massiv weniger Umsatz mache, habe das Auswirkungen auf den Flächenbedarf sowie Einflüsse auf die Mieten und die Bewertung der Immobilien. Immerhin ist er überzeugt: „Die Kunden kaufen wieder mehr stationär. Für dieses Jahr erwarten wir ein Prozent Realwachstum. Allerdings braucht der Handel starke Partner wie die Gastronomie.“ Interessanteste Standorte für Investoren seien derzeit Fachmarktzentren und die Stadtkerne von Mittelzentren.

Yes, we can!

Bei der Panel-Diskussion „Yes, we can!“ unter Moderation von Gudula Böckenholt, Partnerin und stellvertretende Büroleiterin CIMA, dominierten folgende Erkenntnisse: Kommunen müssen sich selbst Freiräume schaffen, um zu investieren, statt auf Hilfen von Land und Bund zu warten, vorausschauende Planung ist angesagt, und auf starke Signale der Städte folgen in der Regel auch die Investoren. Erforderlich sei die Partnerschaft aller Beteiligten – auch der Bevölkerung – in Kombination mit Kompetenz.

Jannik Weinz, Immobilienbewertung bei Imtargis, nahm Eins-A-Lagen anhand von sechs Innenstädten unter die Lupe: Nürnberg, Hannover, Dortmund, Bremen, Bochum und Essen. Fast durchgehend sind dort die Anteile des Textil-, Schmuck- und Schuhhandels um durchschnittlich zehn Prozent zurückgegangen. „Innenstädte müssen wie Shopping Center gemanagt werden, und zwar ganzheitlich mit Fokus auf die Obergeschosse“, gab er den Teilnehmern mit auf den Weg.

Singles auf dem Vormarsch

Wohnen in der Stadt hatte sich Jan Finke, Niederlassungsleiter Essen der bulwiengesa AG, zum Thema erkoren. Dieses habe eine hohe Bedeutung bekommen: „Wir müssen Mixed-use denken und die Verknüpfung verschiedener Ebenen hinbekommen.“ Gewinner seien dabei die großen urbanen Wohnungsmärkte und der süddeutsche Raum sowie A- und B-Städte samt Umland, auch Rhein- und Ruhrstädte. Verheiratete Deutsche ziehen demnach am häufigsten aufs Land, in den Cities nehmen Singlehaushalte zu. Patchwork-,  Groß- und Mehrgenerationenfamilien tauchen immer häufiger auf dem Radar auf. Als Faustregeln nannte er: „Hohe Kaufkraft braucht Qualität, geringere bezahlbaren Wohnraum.“

Identität schaffen

Architekt Marco Uliveri (Projektentwickler Ehret + Klein) plädierte dafür, „ganz viele Quartiere zu entwickeln, die verschiedene Funktionen vereinen“. Der „neue Handel“ seien Gesundheit, Bildung und Kunst. Seine Tipps: Handelsflächen in Showrooms verwandeln, in Zukunftsstädte investieren, durch Anziehungspunkte Identität schaffen, die Innenhöfe öffnen und Außenterrassen etablieren – und bei alldem die Bürger einbinden. „Zwischennutzungen und Experimente halten Städte am Leben“, betonte er.
Geleitet von Birgitt Wachs (Geschäftsführerin GMA und Mitglied „Die Stadtentwickler“), brachte ein weiteres Podiumspanel unter anderem folgende Statements hervor: Wenn das Stadtgefüge stimmt, steigt der Wert, mehr Digitalisierung würde die Prozesse beschleunigen, für die Interessen der Bewohner wird zu wenig getan.

Fokus auf Digitalisierung

Last but not least ging’s um die Digitalisierung. Denes Kücük, Chief Digital Officer bei der Stadt Bochum, erläuterte die dortige Umrüstung der Verwaltung. Der Digitalisierung von Städten, Wirtschaft und Restgesellschaft bescheinigte er „Schneckentempo“ und benannte Estland als Vorbild eines digitalen Staates. Die intelligente, vernetzte Stadt Bochum vitalisiere den gesamten Standort, berichtete er aus der Praxis. Das Projekt „Smart City Innovation Limit“, in dem verschiedene Akteure ihre Perspektiven und Visionen eingebracht hätten, sei deutschlandweit bisher einmalig. Und er verwies auf Errungenschaften wie moderne Gewässersensorik oder auch die Bochum-App als Alltagshelferin für die Menschen.

„Ethic-Hacker“ Immanuel Bär von der ProSec GmbH zeigte live und sehr eindrucksvoll, dass Cyber-Kriminelle leichtes Spiel haben. Er verwies darauf, dass auch Kleinstunternehmen potenzielle Opfer sind und Spezialisten verdient haben – erst recht digitale Städte böten Angriffsfläche. „Cyberkriminalität ist das erfolgreichste Geschäftsmodell der Welt“, machte er deutlich. Städten und Kommunen sowie auch größeren Unternehmen empfahl der Experte regelmäßig tagende Krisenstäbe mit Fokus auf Schwachstellen und Lücken. Sein eindringlicher Appell: „Lernt euch und eure Systeme kennen!“

Susanne Müller