Brennende Leidenschaft

Bernhard Paul
Bernhard Paul, Gründer und Inhaber Circus Roncalli © Circus-Theater Roncalli

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Passion

Susanne Müller

Wenn in der Manege die Lichter erstrahlen, erwacht bei Roncalli eine wundersame Welt zum Leben. Artistik in Vollendung geht Hand in Hand mit Kunst, Fashion und Musik. Bernhard Paul ist Gründer und Inhaber des weltberühmten Zirkus-Imperiums. Die Geschichte eines Visionärs und seiner Leidenschaft – mit bittersüßen Untertönen.

Die künstlerische Ader hat Bernhard Paul in die Wiege gelegt bekommen: Sein Urgroßvater Josef Weyl war Librettist des berühmten Komponisten Johann Strauss, sang den Originaltext des „Donauwalzers“. Doch der Urenkel schlug zunächst ganz andere Wege ein, studierte Hoch- und Tiefbau sowie Grafik. Und konnte sich zwischen den Metiers nicht recht entscheiden.

„Mein Professor hat mich damals inspiriert, von der Architektur auf die Grafik umzusteigen. Ich bin ein guter Zeichner, und wir haben viel im Freien gearbeitet. Als Art Director der Zeitschrift ‚Profil‘ und bei einer internationalen Werbeagentur saß ich schließlich beruflich fest im Sattel. Doch mit 28 Jahren wurde ich unruhig und habe mich gefragt: Kann das alles gewesen sein?“

Funke aus der Kindheit

Denn da war ja noch der unwiderstehliche Kindheitstraum vom Zirkus. „Ich war fünf oder sechs Jahre alt, als die Artisten ins Dorf kamen – und sofort Feuer und Flamme“, erinnert sich der gebürtige Österreicher, der im niederösterreichischen Wilhelmsburg aufwuchs. Dieses Gastspiel war ein Schlüsselerlebnis. „Dann zog der Zirkus in die nächstgrößere Stadt und an weitere Spielorte, und ich saß jedes Mal wie gebannt im Publikum. In der Tat habe ich sehr früh gewusst: Das will ich auch einmal machen.“

Reiz der Vielfalt

Ein Luftschloss war die ungewöhnliche Idee keineswegs: „Zirkus hat von allem etwas: Architektur, Grafik, Medien, diese Sparten fließen samt und sonders in die Arbeit ein.“ Insofern hatte Bernhard Paul das allerbeste Handwerkszeug. Und so reichte er 1975 die Kündigung ein, gründete in Wien den Circus Roncalli, zusammen mit André Heller und einem alten Zirkuswagen als Grundausstattung. Eine vielgelobte Welturaufführung beim Bonner Sommer folgte, doch bereits nach einer Saison war vorerst Schluss. Bernhard Paul musste sich durchschlagen, tingelte als Clown durch Kaufhäuser und zu Festivals, reiste mit einem historischen Panoptikum über die Jahrmärkte.

Jahre des Kampfes

Befragt nach den mühseligen Anfangsjahren, nimmt Bernhard Paul kein Blatt vor den Mund: „Furchtbar schwer war das, grenzwertig, kaum auszuhalten! Eine Herabsetzung von allem, was ich war.“ Ans Aufgeben hat er trotzdem nie gedacht. „Wissen Sie, wenn jemand die Eigernordwand besteigt und auf halber Höhe ist, schaut er über den Rücken und blickt hinunter in einen tiefen Abgrund. Er hat vielleicht kaum noch Kraft – doch herunter geht’s nicht, das würde den Absturz bedeuten. Also bleibt nur ein Weg: nach oben.“ Eine Lebensweisheit, die sich mancher hinter den Spiegel stecken kann.

Zeit der Triumphe

Bernhard Paul hat sie erklommen, die Spitze. Der Durchbruch kam 1980 mit „Die Reise zum Regenbogen“ in Kooperation mit dem Schweizer Kabarettisten Emil Steinberger. Nicht lange, und die Zuschauer stehen Schlange bei Roncalli. Der Rest ist Geschichte. Immer wieder Expansion, die Gründung von Roncalli’s Appollo-Varieté in Düssedorf, das eigene Orchester, umjubelte Gastspiele in spektakulären Locations, Auslandsreisen von Moskau über die Niederlande bis Luxemburg, erfolgreiche Fernsehproduktionen – bis heute eine ellenlange Liste der Triumphe.

Einzigartigen Stil kreiert

Seine Inszenierungen gelten als wahre Meisterwerke. Immer wieder verwebt Bernhard Paul klassische und zeitgenössische Musik sowie kreative Elemente wie Seifenblasen-Poesie oder Holografie-Technik in die Aufführungen. Internationale Gaststars haben sich bei Roncalli die Klinke in die Hand gegeben, von Heinz Rühmann mit dem „Lied vom Clown“ über BAP, Sting, Lords, Siegfried & Roy, Chris Rea, Westernhagen, Maurice Gibb und den Höhnern bis hin zur Kelly Family und vielen weiteren Künstlern. Die Einzigartigkeit seiner Kunst hat Bernhard Paul höchste Anerkennung, unter anderem den Life Entertainment Award und aktuell die Auszeichnung „Düsseldorfer des Jahres“ für sein Lebenswerk, sowie exzellente Engagements eingebracht.

Ziel Gesamtkunstwerk

Wo holt er sich immer neue Inspirationen für diesen schillernden Kosmos? „Man muss mit offenen Augen durchs Leben gehen und darf auch vor Extremen nicht zurückschrecken. Auf Schritt und Tritt sehe ich etwas Neues. Eine Modenschau in Paris beflügelt mich weit mehr als ein Wanderzirkus in Deutschland. Ziel ist immer das Gesamtkunstwerk. Unsere aktuelle Show enthält zum Beispiel Parts aus dem Triardischen Ballett von Oskar Schlemmer. Kunst in jeder Phase und all ihren Facetten – sie ist das, was mich beflügelt.“ Dabei verarbeitet er auch Erlebnisse beispielsweise aus den Kinder- oder Studienjahren: „Irgendwann im Leben muss man sie herauslassen.“ Seine Fähigkeiten kommen ihm in allen Bereichen zupass. So entstehen auf seinem Reißbrett faszinierende Zirkuswagen, er entwirft außergewöhnliche Bühnenkostüme, designt das Roncalli Grand Café in Hamburg, erschafft in Köln das Winterquartier.

Erfolg als Belohnung

Auf die Frage nach seiner Work-Life-Balance winkt der dreifache Familienvater ab: „Den Begriff kann ich nicht hören. Wer etwas von Herzen liebt und sich damit beschäftigen darf, ist im Einklang mit sich selbst. Arbeit macht Spaß, und der Erfolg ist die Belohnung. Etwas zu kreieren und zu schaffen, ist das höchste Gut.“ Und dann sagt er diesen einen weisen Satz, der Passion pur ausdrückt: „Nur wer brennt, kann entzünden.“

Händler und Gaukler

Wirtschaft und Handel seien ja eigentlich eng verwandt mit dem Zirkus, meint Bernhard Paul und verweist auf die mittelalterlichen Marktplätze: „Dort kamen Gaukler, Händler und Quacksalber zusammen. Diese Gewerke sind heute etabliert und anerkannt – nur der Zirkus ist immer noch vogelfrei.“ Gewerbesteuern fielen zwar an wie bei allen anderen Berufszweigen – bei der Platzbuchung beispielsweise oder anderen Hilfsgesuchen sei jedoch keinerlei Unterstützung zu erwarten. „Seit den Zeiten von Helmut Kohl kämpfe ich darum, den Zirkus als Kulturevent einzustufen, gleichberechtigt mit Veranstaltungen, die zum Großteil weit weniger anspruchsvoll sind. Bis heute ist mir das leider nicht gelungen.“

Rückkehr zur Vernunft

Zirkus ist ein Lebensgefühl – nicht nur für die Artisten, sondern auch für die staunende Menge. Gerade jetzt, wo vielfach Angst und Unsicherheit herrschen, entführen die glamourösen Shows das Publikum aus dem Alltag in einen Kosmos der Illusionen, der noch lange nachhallt. Doch dahinter steckt auch ein ernster Ansatz. „Menschen zum Lachen zu bringen, ist ein schwieriger Beruf“, sinniert Bernhard Paul. „Schauspieler sind diejenigen, die sie zum Weinen bringen können – ja, und ebenso Politiker.“ Dass der gefeierte Clown und Art Director von Roncalli natürlich auch ein gewiefter Geschäftsmann ist und sich viele kritische Gedanken macht, lässt sich erahnen. Sein Rat: „Die Menschen dürfen nicht alles glauben, was sie im TV sehen oder in der Zeitung lesen. In der Tat sollte die Bevölkerung kritischer sein und bei den Wahlen genau überlegen, wo sie ihr Kreuzchen setzt. Leider ist die Vernunft vielfach ausgestorben.“

Susanne Müller