Center seit den Sechzigern

Handel und Immobilien
Passion
Lena Knopf
Was haben Michelle Obama, Lenny Kravitz und Jeff Bezos mit dem Main-Taunus-Zentrum und dem Ruhr Park gemeinsam? Wahrscheinlich sind sie auch gute Partner beim Shoppen – was aber sicher ist, dass alle gleich alt sind und im Jahr 1964 das Licht der Welt erblickten.
Die beiden genannten Center waren die ersten zwei großen gemanagten Einzelhandelsdestinationen in Deutschland und entstanden beide außerhalb der gewachsenen Städte auf der grünen Wiese. Sie bildeten den Anfang der ersten Generation der Shopping Center, die sich noch sehr am amerikanischen Vorbild orientierte – umfangreiche und weitläufige Center, die ebenerdig und an nicht integrierten Standorten errichtet wurden.
Etwa Anfang der 70er Jahre wurden vereinzelt die ersten Standorte in Stadtteilen und Innenstädten mit Shopping Centern erschlossen – so eröffneten 1970 beispielsweise das Alstertal Einkaufs-Zentrum in Hamburg und die Stachus Passagen in München, im Jahr 1974 die City Galerie Aschaffenburg. Die Center der 70er Jahre wurden aufgrund der zentralen Lage mehrgeschossig und architektonisch bereits anspruchsvoller gestaltet.
Fokus auf Aufenthaltsqualität
Die 80er Jahre brachten eine weitere Generation der Shopping Center hervor, aber insgesamt deutlich weniger Center als die 70er Jahre. Das Thema Aufenthaltsqualität rückte immer mehr in den Vordergrund, dem wurde durch ansprechende Inneneinrichtung und wenn möglich dem Arbeiten mit Tageslichteinfall Rechnung getragen. Center, die beispielhaft für diese Generation stehen, sind unter anderem das PEP Einkaufscenter Neuperlach in München (1981), die Kö-Galerie in Düsseldorf (1986), das Wandsbek Quarree in Hamburg oder der Sophienhof in Kiel (beide 1988). Dass die Welle der Shopping Center Eröffnungen hinsichtlich ihrer Anzahl in den 80ern zunächst etwas abebbte, kann zum Teil auf die Anpassung der BauNVO im Jahr 1977 zurückgeführt werden. In deren § 11 III wurde mit der Regelvermutung zum großflächigen Einzelhandel die Ansiedlung an nicht integrierten Standorten erschwert.
Welle der Neueröffnungen
Im Jahr 1990 begann die extreme Welle der Neueröffnungen – darunter auch viele Standortlagen außerhalb der Innenstädte. Besonders viele Shopping Center entstanden nach der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern – ein hungriger Markt, günstige Grundstückspreise, rasch Fahrt aufnehmende nachholende Entwicklungen und eine auf die zügige Schaffung von Versorgungsstrukturen ausgerichtete Genehmigungspraxis waren die Rahmenbedingungen einer immensen Expansion der Shopping Center. Typisch für diese Zeit waren einerseits die großen Fachmarkt-Center mit zahlreichen kostenlosen Parkplätzen ringsum wie zum Beispiel das Löwen-Center Leipzig, der Flora-Park Magdeburg, der Elisen Park in Greifswald (alle 1993), das Bethanien Center in Neubrandenburg (1994) oder das T.E.C. in Erfurt (1996). Es entstanden aber auch klassische Shopping Center außerhalb der Innenstädte wie der Saale-Park (heute Nova) in Leuna (1991), das Paunsdorf Center (1994) und zwei Jahre später das Allee Center in Leipzig (1996) – und in den Innenstädten wie die Goethe Galerie Jena (1996) oder die Gera Arcaden (1998).
Big Boom in Berlin
Die Shopping-Center-Neueröffnungen nahmen in den 90er Jahren auch in den alten Bundesländern deutlich an Fahrt auf und ganz besonders in Berlin – in der Hauptstadt eröffneten in einem Jahrzehnt 16 Center. Im Zuge dieser hochdynamischen Entwicklung waren die 90er Jahre auch von vielen Innovationen geprägt – mit dem CentrO (heute Westfield Centro) Oberhausen wurde im Jahr 1996 der Begriff des Urban Entertainment Centers geprägt, außerdem entstand mit dem Ochtum Park 1996 das erste geplante Factory Outlet Center in Deutschland neben der Outletcity Metzingen, die schon zuvor aus einem Werksverkauf von Hugo Boss entstanden war.
Zunehmende Digitalisierung
Die Formate differenzierten sich immer weiter, nach der Jahrtausendwende spielen allerdings Center auf der grünen Wiese bei den Neueröffnungen kaum noch eine Rolle. Die Welle schwappte zunehmend in die Innenstädte und von den Großstädten vermehrt in die Mittelstädte. Die Digitalisierung nahm Fahrt auf, elektronische Informationen wurden für alle Konsumenten nutzbar und auch überall zugänglich – zum Beispiel wurde Wikipedia 2001 gegründet, und Apple brachte 2007 das erste iPhone auf den Markt. Im Handel nahm dadurch das Innovationstempo nochmal zu, gleichzeitig gerieten solche Formate in Schwierigkeiten, die sich den wechselnden Konsumbedürfnissen nicht anpassen konnten. Verschiedene Warenhauskrisen zum Beispiel von Hertie und KarstadtQuelle prägten die 2000er und 2010er Jahre, und auch die Insolvenzen von Praktiker, Max Bahr und Schlecker waren wichtige Einschnitte in dieser Zeit. Durch die zunehmende Marktsättigung brach die Welle der Centereröffnungen etwa in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre ab. Seitdem sind deutlich weniger Neuentwicklungen zu beobachten.
Heute: große Herausforderungen
Im Jahr 2023 stehen wir aktuell bei 509 Shopping Centern, die großen Herausforderungen gegenüberstehen. Nicht nur die Corona-Pandemie, sondern seit letztem Jahr auch die Themen Inflation und Konsumzurückhaltung prägen die Einzelhandelslandschaft in den frühen 2020er Jahren. Die Händler feilen an ihren Konzepten und optimieren ihre Storeformate immer weiter. Oft geht es dabei um das Shoppingerlebnis, das Storytelling, die perfekte Inszenierung der Produkte und das richtige Sortiment – auch die Strategien hinsichtlich Art und Anzahl der Standorte und Größenzuschnitte werden weiterentwickelt und verändern sich.
Bei den Shopping Centern hat seit einigen Jahren ein Kurswechsel stattgefunden: Angesichts eines weitgehend gesättigten Marktes rücken die Investoren und Entwickler immer mehr von Neuentwicklungen ab und konzentrieren sich auf das Thema Refurbishment. Hier gibt es einige Haupttrends.
Konzentration der Retailflächen: Die Vertikalität der Handelsnutzungen ist inzwischen sehr schwierig geworden, da die Frequenz schnell abreißen kann. Fachmärkte mit starker Magnetfunktion oder eine Foodmall können oft noch ein zweites Geschoss beleben. Darüber hinaus werden in vielen Refurbishments schon Handelsflächen für andere Nutzungen umgewandelt.
Nahversorgung: Innerstädtische Center und Stadtteil-Center schärfen oft ihre Nahversorgungsfunktion durch die Ansiedlung von Supermärkten, Discountern oder Drogerien sowie gastronomischen Angeboten für die Wohn- und Arbeitsbevölkerung im Umfeld.
Mixed-Use: Bei der angesprochenen Umwandlung von überschüssigen Retail-Flächen in Nicht-Retail-Flächen sind Büroflächen sehr beliebt, darüber hinaus ziehen in manchen Centern aber zum Beispiel auch Hotels ein, Freizeitnutzungen, medizinische Einrichtungen, soziale oder Bildungseinrichtungen oder Eventflächen, bei Neuentwicklungen handelt es sich in der Regel um Quartiersentwicklungen mit zahlreichen Wohnungen.
Profilierung: Das Refurbishment soll von den bestehenden oder neu zu erschließenden Kundengruppen unmittelbar wahrgenommen werden, der neue Entwicklungsschritt soll allen bewusst sein. Daher werden häufig Center passend zu ihrem neuen Konzept umbenannt. Die ehemaligen Wilmersdorfer Arcaden beispielsweise betonen mit dem neuen Namen WILMA Shoppen die Evolution zur Community-Plattform im Viertel. Ein anderes Beispiel: The Playce ist der neue Name der früheren Potsdamer Platz Arkaden und greift in dem vielschichtigen Wortspiel unter anderem die Themen Spielen und Entertainment auf, die sich auch im Mietermix und in den Events widerspiegeln.
In den nächsten Jahren sind zahlreiche weitere Refurbishments geplant. Dabei ist es unerheblich, ob es sich bei den Centern altersmäßig um Teenager oder Silver Ager handelt. Die Center müssen in einem dynamischen Retail-Markt wach und aktiv bleiben und sich mit ihrem Umfeld und ihren Entwicklungschancen frühzeitig auseinandersetzen.
Lena Knopf
Projektleiterin Forschungsbereich
Handelsimmobilien und Expansion
EHI Retail Institute