Comeback der Investoren

BioNTech
Nomen est Omen: Der vom deutschen Biotechnologie-Unternehmen BioNTech entwickelte Impfstoff könnte sich als Goldgrube für die Firma entpuppen © Marcus Krauss / Alamy Stock Photo

Strategie

Hubertus Siegfried

Nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie waren Shopping-Center-Aktien so wenig begehrt wie eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus. Das hat sich geändert, seit die Welt die Nachricht ereilt, dass erste Impfstoffe zugelassen wurden. Die Börsennotierungen der Branchenunternehmen rasen seither in die Höhe. Dabei hatten die Gesellschaften schon zuvor für das dritte Quartal weit bessere Zahlen geliefert als Analysten sich erträumt hatten …

Im November senkt Jan Lennertz den Daumen für die Deutsche Euroshop: Hatte der Analyst des Frankfurter Finanzdienstleisters Independent Research bislang die Aktie des Besitzers von 21 Einkaufszentren in Deutschland, Österreich, Polen, Tschechien und Ungarn mit »Halten« eingestuft, lautet sein Urteil nun »Verkaufen«. Die Corona-Pandemie werde das Unternehmen »noch bis zur Verteilung eines Impfstoffs belasten«.

Die Reaktion an den Börsen fällt jedoch ganz anders aus: Am Montag, 9. November, sowie am folgenden Dienstag schießt der Aktienkurs der Hamburger Gesellschaft um  37,7 Prozent in die Höhe. Nicht anders ergeht es den Papieren der Mitbewerber. Die Aktie von Unibail-Rodamco-Westfield, Eigentümer von 92 Shopping Centern weltweit, klettert in diesen beiden Tagen sogar um 66 Prozent in die Höhe.

Was Investoren von jenem Tag an in die Branchenwerte treiben, ist eine Meldung des deutschen Pharmaunternehmens BioNTech. Die Mainzer geben am Morgen bekannt, dass ihr gemeinsam mit dem US-Konzern Pfizer entwickelter Covid-19-Impfstoff BNT162b2 im laufenden Phase-3-Test »Wirksamkeit im Schutz« vor der durch das SARS-CoV-2-Virus ausgelösten Krankheit zeigt. »Dies ist ein Sieg für die Innovation, Wissenschaft und weltweite Zusammenarbeit«, sagt Professor Ugur Sahin, Mitbegründer und CEO von BioNTech. »Heute, wo wir uns alle mitten in einer zweiten Welle befinden und viele von uns im Lockdown sind, wird dieser Meilenstein für uns umso bedeutsamer auf unserem Weg zur Rückkehr zur Normalität.« Neun Tage später, am 18. November, ist der Phase-3-Test erfolgreich beendet, ein Liefervertrag über erste 200 Millionen Impfstoffdosen mit der EU abgeschlossen. Die Pandemie scheint ihren Schrecken verloren zu haben.

Beispiellose Rallye in den USA

Börsianer ändern daraufhin weltweit ihre Strategie. Nach Beginn des Seuchenzugs im Frühjahr und den ersten von Regierungen verhängten Lockdowns hatten Investoren Aktien von Shopping-Center-Besitzern abgestoßen, als würde der Virus an den Papieren haften. Um bis zu 90 Prozent rasten die Börsennotierungen einzelner Branchenwerte binnen Tagen in die Tiefe. Aktionäre fürchten horrende Mietausfälle und massive Wertberichtigungen des Immobilienbestands. Sie sehen die Gesellschaften auf Jahre hinaus nicht in der Lage, Dividenden zu zahlen. Jetzt hat sich das Blatt gedreht, und die Kurse kommen wieder auf Touren.

Auch in den USA springen mit Meldung von BioNTech und Pfizer die Kurse der Branchenwerte zu Beginn der 46. Kalenderwoche rapide an. Jenseits des Atlantiks genießen Immobilienaktien den steueroptimierten Status eines Real Estate Investment Trusts (REIT). Sie müssen ihre Gewinne nicht versteuern, sondern zu mindestens 90 Prozent an die Aktionäre ausschütten, bei denen dann der Fiskus zugreift. Das treibt nun Pensionskassen, die an hohen kontinuierlichen Dividenden interessiert sind, in die Werte – und löst eine beispiellose Rallye aus. »Unter dem Strich haben Shopping-Center-REITs ihren Aktionären vom 1. bis zum 26. November einen Total Return aus Kursgewinnen und Dividenden von 43,66 Prozent gebracht«, sagt John D. Worth, Vice President Research & Investor Outreach beim US-REIT-Verband Nareit. »Bei Regional Malls betrug das Plus 38,3 Prozent.« Der Großteil der Kursgewinne sei seit dem 9. November angefallen.

Nur 7,3 Prozent der Mieter sind insolvent

Schon zuvor hat sich gezeigt, dass die Ängste der Investoren aus dem Frühjahr weit übertrieben waren. Als Analyst Lennertz den Daumen über der Aktie der Deutschen Euroshop senkt, steht das Unternehmen weit besser da, als Börsianer sich das Monate zuvor vorstellen konnten. Für das dritte Quartal rapportiert CEO Wilhelm Wellner für die 21 Einkaufszentren der Gesellschaft eine durchschnittliche Besucherrate von 78 Prozent des Vorkrisenniveaus. Die Mieteinnahmen belaufen sich im dritten Drei-Monats-Zeitraum des Jahres auf 92 Prozent des Sollwerts. »Im Oktober sind es sogar 96 Prozent«, ergänzt der Vorstandschef. Lediglich 7,3 Prozent der Mieter haben Insolvenz angemeldet. »Wegen der Belastungen aus der Corona-Pandemie hat der auf Einkaufscenter spezialisierte Immobilieninvestor eine leichte Verschlechterung der Umsatzerlöse (…) hinnehmen müssen«, lautet das Fazit von Michael Seufert, Immobilienaktienanalyst der NordLB.

Auch andere Shopping-Center-Eigentümer melden für das dritte Quartal weit bessere Zahlen als erwartet. Simon Property, mit 204 Malls der größte Shopping-Center-Eigner in den USA, vermeldet für das dritte Quartal Funds from Operations von 723,2 Millionen US-Dollar. Damit liegt das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit zwar 33 Prozent unter dem Vorjahreswert von 1,08 Milliarden US-Dollar. Es fällt aber damit fast doppelt so hoch aus, wie Analysten nur Wochen zuvor erwartet hatten. Das Unternehmen habe bewiesen, dass es »solide Rentabilität« liefern könne und »den Cashflow aus dem operativen Geschäft wesentlich verbessert«, sagt CEO David Simon.

Inzwischen hat nicht nur der Impfstoff von BioNTech und Pfizer den Phase-3-Test bestanden. Weitere Pharmakonzerne aus Europa und den USA haben Vakzine gegen das Virus erfolgreich entwickelt. In China und Russland werden selbst konzipierte Impfstoffe bereits eingesetzt. Nun sollen auch in Deutschland noch in diesem Jahr erste Vakzinationen erfolgen.

Food, Food, Food! statt Lage, Lage, Lage!

Anders als an der Börse haben am Immobilienmarkt erste Investoren bereits frühzeitig darauf gesetzt, dass Impfstoffe kommen werden. Trotz des Lockdowns im Frühjahr wurden von Jahresbeginn bis Ende September allein in Deutschland von Family Offices, Fonds, Pensionskassen und Versicherungen Einzelhandelsliegenschaften im Gesamtwert von 9,6 Milliarden Euro erworben.  »Damit  konnte sowohl das Vorjahresresultat als auch der langjährige Durchschnittswert deutlich um 27 Prozent respektive 17 Prozent getoppt werden«, sagt Christoph Scharf, Geschäftsführer der Immobilienberatungsgesellschaft BNP Paribas Real Estate in Frankfurt.

Zwar wurden Supermärkte von den Käufern am stärksten nachgefragt. »Mit mehr als 2,5 Milliarden Euro entfallen im bisherigen Jahresverlauf rund 27 Prozent des Volumens auf dieses Segment«, sagt Jennifer Güleryüz, Researcherin bei der Beratungsgesellschaft Savills. »Aus der Immobilienweisheit ›Lage, Lage, Lage‹ ist ›Food, Food, Food‹ geworden – denn bei den Mietern lebensmittelgebundener Immobilien gab es keine schließungsbedingten Umsatzeinbußen und es besteht nicht so eine große Ungewissheit über deren Zukunft wie in anderen Branchen«, sagt Jan Schönherr, Co-Head of Retail Investment bei der Beratungsgesellschaft CBRE.

Doch bereits auf Rang Zwei folgen Kauf- und Warenhäuser. »Mit 2,1 Milliarden Euro machen sie 22 Prozent des Umsatzes aus«, sagt Güleryüz. Zudem ist der in der ersten Jahreshälfte erfolgte Preiseinbruch bei Shopping Centern gestoppt. »Deren Spitzenrendite lag Ende September unverändert bei 5 Prozent«, sagt die Researcherin.

Rückkehr in die Innenstädte

Im kommenden Jahr könnten die Marktwerte wieder anziehen und spiegelbildlich die aus den Mieteinnahmen in Relation zum Kaufpreis erzielte Rendite wieder sinken. Darauf deutet eine Studie der Beratungsgesellschaft Colliers International hin. Danach waren in der ersten Hälfte des Jahres lediglich 14 Prozent aller Einzelhandelsinvestments auf Shopping Center entfallen. »Im dritten Quartal betrug ihr Anteil jedoch 17 Prozent«, sagt Dirk Hoenig-Ohnsorg, Head of Retail Investment bei Colliers International.

Einen deutlichen Anstieg bei der Nachfrage erwartet Hoenig-Ohnsorg 2021 auch bei Warenhäusern: »Es gibt zunehmend Investoren, die die Chance zur Repositionierungen innerstädtischer ehemaliger Hochfrequenzimmobilien als Mixed-Use-Objekte erkennen.« Dafür stünden neben dem Erwerb des Karstadthauses in der Hamburger Toplage Mönckebergstraße auch Retail-Immobilien in attraktiven Stadtteillagen wie das Schloss-Straßen-Center und das Globetrotterhaus im vitalen Stadtteilzentrum von Berlin-Steglitz. Die Strategie dieser Investoren könnte am Ende zu neuer Vitalität in den Innenstädten führen. »Sinkende Spitzenmieten in Ober- und Untergeschossen ermöglichen die Rückkehr von Formaten, die sich lange Zeit nicht in Innenstädten halten konnten«, sagt Hoenig-Ohnsorg. Das seien nicht nur Lebensmittler und Boutiquen, sondern sogar »kleinformatige, auf Laufkundschaft ausgerichtete Bau- und Möbelmärkte«.

Ein Beitrag von
Hubertus Siegfried,
freier Journalist