Corona ist das Streichholz am Pulverfass

Andreas Loepfe
Andreas Loepfe

Interview
Strategie

Richard Haimann

Die massiven Interventionen der Notenbanken zur Stützung von Staaten, Unternehmen und Beschäftigten in der Covid-19-Pandemie könnten am Ende zu einer Rückkehr der Inflation führen, warnt Andreas Loepfe vom Center for Urban & Real Estate Management, CUREM, der Universität Zürich. Der Schweizer Ökonom war einer der ersten, die nach der Jahrtausendwende eine lange Ära immer weiter sinkender Zinsen – zutreffend – vorhergesagt haben

Herr Loepfe, die Corona-Pandemie hat den perfekten Sturm geschaffen. Unternehmen benötigen massive Staatshilfen, um durch die Krise zu gelangen. Dabei geht es auch darum, Kreditausfälle zu verhindern, damit es nicht zu einer neuen Bankenkrise kommt. Als Lichtblick erscheinen die Notenbanken, die unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen. Ist an der ökonomischen Front die Krise damit unter Kontrolle?
Andreas Loepfe: Durch die Interventionen der Zentralbanken können Regierungen Unternehmen am Leben halten, Arbeitslose unterstützen und die Liquidität im Bankensystem aufrechterhalten. Vieles spricht aber dafür, dass uns nach der Corona-Rezession eine lange Periode mit substanzieller Inflation bevorsteht.

Schon 2001 und 2009 haben die Notenbanken stark interveniert. Jedes Mal hieß es: Nun kommt die Inflation – und nichts geschah.
Ja, gerade darin liegt das Problem. Das Pulverfass ist die Überschuldung der Vergangenheit; Corona ist nur das Streichholz. Der schnellste Wirtschaftszusammenbruch aller Zeiten hat ein letztes Tabu zu Fall gebracht: Notenbanken finanzieren Staatsausgaben. Während das Notenbankgeld bisher in den Geschäftsbanken versickerte, fließt die Kaufkraft jetzt direkt dem Konsumenten zu.

Die Zentralbanken sind eher besorgt, dass es zu einer Deflation kommen könnte …  
Theoretisch wäre denkbar, dass die Zukunftsangst der Menschen so groß ist, dass auch das nun geschaffene »Helikoptergeld« nicht ausgegeben wird. Wir haben aber weder eine Banken- noch eine Dotcom-Krise und glücklicherweise auch keinen Krieg. Die Corona-Krise ist eine Art freiwilliges, kollektives Fasten zugunsten der Risikogruppe.

Viele Marktbeobachter halten die Corona-Krise für ein Schwarzer-Schwan-Ereignis, dessen Auswirkungen nicht prognostizierbar sind …
Corona ist – bis jetzt – kein Black-Swan-Ereignis. Auch wenn wir heute noch nicht genau wissen, wie tödlich das Virus wirklich ist. Corona ist eine Seuche, wie es schon viele gab und auch noch viele geben wird. Viren gehören zu unserem Ökosystem.

Zur Inflation kommt es Wirtschaftstheoretikern zufolge dann, wenn Menge und Umlaufgeschwindigkeit des Geldes zunehmen und die Produktion sinkt …
Die Corona-Krise führt zur De-Globalisierung und reduziert so die Effizienzgewinne der internationalen Arbeitsteilung. Dies geht weit über die Nationalisierung krisenrelevanter Produktionsketten hinaus. Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise und rezessi-
onsbedinger Konkurse werden die Produktion zusätzlich verteuern. Jetzt rächt sich, dass viele Unternehmen im großen Stil eigene Aktien gegen Ausgabe von Anleihen aufgekauft haben, um den Aktienkurs in die Höhe zu treiben.

Die durch die Notenbank finanzierte Kaufkraft der Konsumenten trifft also auf eine teurere Produktion?
Ja, die Situation ist vielleicht vergleichbar mit der als Stagflation bezeichneten Phase des »Ölschocks« in den 1970er Jahren. Damals zeigte sich, dass eine hohe Arbeitslosigkeit und eine hohe Inflation gleichzeitig auftreten können.

Länder wie Ihre Heimat, die Schweiz, und Deutschland haben im internationalen Vergleich eine geringe Verschuldung und können deshalb immer noch Geld zu tiefen Zinsen auf dem Kapitalmarkt aufnehmen.
Stimmt, da dürfen wir uns auch mal auf die Schulter klopfen. Allerdings profitiert die Schweiz als kleine, offene Volkswirtschaft viel mehr von der internationalen Arbeitsteilung als größere Staaten und ist deshalb auch stärker davon abhängig.

Was bedeutet das konkret?
Jede Währungsregion hat grundsätzlich eine eigene Inflationserwartung. Einige Länder fallen vielleicht in die Japan-Starre, anderen wird es gehen wie der Türkei, die bereits eine sehr hohe Inflation aufweist. Global von Bedeutung sind sicher die USA: Präsident Trump war gewillt, unendlich Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Das mag vorübergehend auch unausweichlich gewesen sein. Wer glaubt aber ernsthaft daran, dass die Flutung wieder gestoppt wird?

Und die Eurozone?
Die Einführung des Euro brachte der EU Effizienzgewinne im Handel. Der Euro ist aber eigentlich eine Fehlkonstruktion mit hohen politischen Kosten, da eine gemeinsame Geldpolitik praktisch unmöglich ist. Corona könnte da im Schumpeterschen Sinne als schöpferischer Zerstörer wirken. Einige Länder werden danach vielleicht wieder eine eigene Währung haben.

Mit steigender Inflation müssten auch die Zinsen steigen. Ist das nicht ein Widerspruch zu Ihrer vor Jahren entwickelten Theorie des »Low for Long«? Der Idee, dass Zinsen und Renditen lange tief bleiben, weil zu viel angespartes Kapital zu wenig Anlagemöglichkeiten findet …
Die Haupterkenntnis des Low for Long ist, dass vor allem die Inflation low ist; negative Realzinsen hatten wir in der Vergangenheit immer wieder. Es ist also durchaus möglich, dass die Realverzinsung trotz Inflation und positiven Nominalzinsen weiterhin low bleibt.

Was bedeuten steigende Nominalzinsen für die Wertentwicklung der verschiedenen Assetklassen?
Das vergangene Jahrzehnt war ein Sparer-Paradies: Mit stetig sinkenden Zinsen gewannen die Obligationen an Wert, und die Suche der Investoren nach anderen Einnahmequellen trieb die Aktien- und Immobilienwerte in die Höhe. Steigen die Zinsen, kehrt sich der Prozess um. Wenn nun allerdings neue Inflation hinzukommt, wird die »Flucht in die Sachwerte« Aktien und Immobilien weiter stützen. Zu einem eigentlichen Werteinbruch der Sachwerte, dem Asset Meltdown, wird es wohl erst kommen, wenn auch die realen Zinsen wieder steigen.

Das Interview führte
Richard Haimann,
freier Journalist

Andreas Loepfe. Der 56-Jährige hat Architektur, Ökonomie und Immobilienökonomie studiert und ist Business Developer beim CUREM – Center for Urban & Real Estate Management der Universität Zürich sowie CEO der auf institutionelle Investoren fokussierten Immobilienanlageberatungsgesellschaft INREIM – Independent Real Estate Investment Managers.