Corona überlagert alles – das ist gefährlich

Online-Suche
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Handel und Immobilien
Strategie

Prof. Dr. Tobias Just

Die Corona-Pandemie hat unser Leben seit Monaten fest im Griff und bestimmt den beruflichen sowie den privaten Alltag. Wie eng dieser Klammergriff ist, lässt sich an unserem Suchverhalten ablesen. Mithilfe des Suchalgorithmus von Google Trends lässt sich das Suchverhalten von Menschen im Internet erfassen und illustrieren

Der Algorithmus wirft für die Suchbegriffe standardisierte Werte zwischen 0 und 100 aus, wobei 100 das höchste Suchvolumen innerhalb der ausgewählten Region und Zeitspanne abbildet. Für 2020 erreicht der Begriff »Corona« den Höchstwert 100 in der Woche vom 15. bis 21. März, als wir uns alle im Internet zu Virologen und Epidemiologen qualifizierten. Kurz vor dem zweiten Lockdown stieg dieser Suchindex noch einmal auf 61 an und liegt aktuell (letzte Novemberwoche) bei einem Wert von 31. Bei Suchbegriff-Vergleichen, z. B. »Corona« mit »Immobilie«, richten sich die ausgewiesenen Indexwerte an dem jeweiligen Maximalwert des jeweils höheren Maximalwertes aus. Im gesamten Jahr 2020 erreichte in diesem Vergleich der Begriff »Immobilie« in jeder Woche einen Wert unter 1.

Doch nicht nur die Immobilie ereilte das Schicksal, dass sie von Corona regelrecht ins Seitenaus unserer Aufmerksamkeit geschoben wurde. Auch nach dem Begriff »Klimawandel« wurde relativ wenig gesucht – auch bei dem lagen die Suchindexwerte stets unter 1. Dasselbe gilt für das Wort »China« – nach dem Wort »USA« wurde nur in der Woche vor dem Wahltag häufiger gesucht, in allen anderen Wochen waren uns die USA herzlich egal (Werte unter 1). Sogar der omnipräsente Präsident der Vereinigten Staaten erzielte nur in der Wahlwoche einen Wert von 14 und dümpelt ansonsten bei deutlich einstelligen Suchindexwerten herum. Corona hat sich wie Mehlstaub über all unsere anderen Interessen gelegt und diese überlagert, sagt die neutrale Google-Statistik.

Dies ist verständlich, da für uns die Situation und Bedrohungslage neu und die Einschränkungen direkt und massiv sind. Doch es ist auch gefährlich, seine gesamte Aufmerksamkeit allein auf die Pandemie zu richten, denn keine der Herausforderungen, die wir in der Immobilienwirtschaft und Gesellschaft 2019 diskutiert haben, ist verschwunden. Der Supermachtkonflikt zwischen den USA und China, bei dem Europa planlos und unentschlossen zwischen den Parteien nach einer Rolle sucht, wird auch unter Bidens Führung weiter schwelen. Der Brexit wirft weiterhin seinen flatterhaften Schatten über die Märkte. Die Klimakrise ist nicht überwunden, nur weil wir Greta Thunberg seltener sehen. Verteilungsfragen, die unter anderem in einer strengen Mietenregulierung ihren immobilienwirtschaftlichen Ausdruck finden, werden vertagt. Terroristische Akte in Europa schaffen es nur für wenige Tage in unsere Aufmerksamkeitsspanne, und die Sorge um die Stabilität des europäischen Finanzsystems bleibt in Expertenzirkeln bewahrt.

Und auch für die Akteure der Immobilienwirtschaft bestimmt natürlich Corona den Gesprächs- und Arbeitstakt. Doch nun, da die ersten Impfstoffe zur Zulassung angemeldet sind, sollten wir unseren Blick wieder weiten, damit wir die Chancen und Risiken, die sich unter anderem aus den oben genannten Problemfeldern ergeben, nicht übersehen. Damit ist natürlich nicht gemeint, wir könnten die geopolitischen oder finanzwirtschaftlichen Herausforderungen als Branche lösen. Es muss aber heißen, dass wir die Agenda unserer Marktanalysen wieder justieren sollten und die durch die Corona-Pandemie aufgeworfenen Fragen hinsichtlich der Anforderungen an resiliente Gebäude und Städte in den (bereits zuvor bearbeiteten) Fragenkanon integrieren. Das ist eine Herkulesaufgabe, doch auch wenn es immer Marktphasen gab, in denen auf Immobilienmärkten vergleichsweise einfach Geld verdient werden konnte, so galt auch in der Vergangenheit, dass nachhaltiger Erfolg auf Immobilienmärkten nur möglich ist, wenn Immobilienprofessionals auf mehreren Kompetenzfeldern trittsicher agieren können. Dieser interdisziplinäre Ansatz ist uns in der IREBS an der Universität Regensburg – sowohl in der Grund- als auch in der Weiterbildung – von dem Gründungsvater Karl-Werner Schulte ins Buch geschrieben worden, und wir leben diesen Ansatz bis heute. Dabei bilden die Studierenden auf vier unterschiedlichen Feldern Kompetenzen aus: Sie müssen natürlich erstens finanzwirtschaftliche Kompetenzen erwerben, denn Immobilienmärkte sind hochkompetitiv, richtiges Rechnen und Bewerten ist notwendig. Damit in den Cash-Flow-Modellen die richtigen Annahmen getroffen werden, bedarf es zweitens eines tiefen Marktverständnisses. Dies umfasst gesamtwirtschaftliche Analysekompetenzen sowie die Einsicht, dass der Gesetzgeber auf sehr vielen Ebenen unsere Branche prägt. Jede Immobilieninvestition findet innerhalb eines spezifischen Marktumfelds statt und kann sich diesen Marktkräften nie vollständig entziehen. Doch das Marktumfeld bestimmt nicht alles. Immobilien sind sehr unterschiedlich. Drittens helfen Objekt- und Technikkenntnisse, die wahren Trüffel zwischen den Schwammerln zu finden. Erfahrung ist wichtig für Trüffelschweine, doch eine qualifizierte Ausbildung hilft, die schmerzhaftesten Erfahrungen zu vermeiden. Schließlich sollten neben diese harten Kompetenzen die weicheren Managementfähigkeiten treten, die in der Immobilienwirtschaft unerlässlich sind, da in der Branche oft ein Team aus Menschen mit sehr unterschiedlichen Mentalitäten und Fertigkeiten zusammengeführt werden muss. Immobilien sind das Ergebnis von Träumern, Krämern, Visionären, Ingenieuren, Dickschädeln, fluideren Charakteren und jeder Menge Geld und Schweiß. Gerade diese Managementkompetenz und Kommunikationsfähigkeit ist in einer Phase von Unsicherheit wichtig, da Holzschnittantworten eben nicht möglich sind.

Studienprogramme der IREBS helfen den Teilnehmern dabei, diese vier Kompetenzen aufzubauen – mit unterschiedlichen Akzentsetzungen. Dies tun wir überwiegend in Präsenzschulungen, weil viele immobilienwirtschaftliche Fragen Interaktion bei der Lösungsfindung erfordern. Doch bereits lange vor der Pandemie haben wir mit digitalen Inhalten und Ausbildungsformaten experimentiert, und 2020 hat uns hier auf der Lernkurve weiter nach oben getrieben, sodass wir nun die Vorteile digitaler Ausbildung dort mit unserem traditionellen Lehransatz verbinden, wo dies didaktisch Sinn ergibt.

Unser Kontaktstudiengang Immobilienökonomie könnte als die Einstiegsqualifikation bezeichnet werden, denn hier werden alle wichtigen Grundlagen in acht Modulen gelegt. Die Vielfalt und Vielschichtigkeit der Immobilienbranche wird deutlich, weil in jedem Modul eine andere Perspektive im Mittelpunkt steht, und all diese Perspektiven müssen für die Abschlussprüfung – eine Teamleistung, bei der eine Projektentwicklung von der Grundstückssuche bis zur Vermarktung durchdekliniert werden muss – zu einer Gesamtvision zusammengeführt werden, die letztlich auch kaufmännisch Sinn ergeben muss. Dieser Studiengang wurde bereits mehr als 120-mal durchgeführt, und er wird auch 2021 an vier Standorten starten (in Berlin und Frankfurt im Januar sowie in Düsseldorf und München im Juli). Insbesondere für junge Professionals, die noch einen geeigneten Karriereweg für sich suchen, eröffnet dieser Studiengang einen guten Überblick über die Möglichkeiten in der Immobilienbranche, und für Akteure in der Handelswelt sind hier insbesondere die Schwerpunkte im Bereich Projektentwicklung wichtig, denn Millionen Qua­dratmeter Handelsfläche müssen wohl in den nächsten Jahren modernisiert, umgebaut oder neuen Nutzungen zugeführt werden.

Und weil in den nächsten Jahren der Erfolg einer Immobilieninvestition weniger in mutigen Finanzierungskonstrukten liegen dürfte, sondern eher in handfester Arbeit am Objekt und im Dialog mit den aktuellen oder potenziellen Nutzern, muss die Rolle von Asset Managern aufgewertet werden. Unser Intensivstudiengang zum Handelsimmobilienökonom (Intensivstudium Handelsimmobilien Asset Management), den wir gemeinsam mit dem GCSP entwickelt haben, ermöglicht genau diese Wertsteigerung der Mitarbeiter, die einen fundierten Überblick über das Transaktionsmanagement und die Wertsteigerungsstrategien für Handelsimmobilien erhalten. Es geht natürlich um eine symbiotischere Beziehung aus On- und Offline-Handelswelten, um die Zukunft des Handels und seiner Formate und darum, wie Objekte ertüchtigt werden können.

Wer aber in seinem Reisegepäck für die eigene Karriere den Marschallstab oder wenigstens den Abteilungsleiterfüller fühlt, benötigt Managementkompetenzen. In einer unsicheren, zusammengewachsenen Welt, in der komplexe Güter und Dienstleistungen erstellt werden, sind Manager nicht die besten Fachleute ihres Gebietes, sondern sie müssen motivieren, verhandeln, konzipieren, innovieren und vor allem kommunizieren – mit sehr unterschiedlichen Menschen. Dies ist gerade für die Immobilienwirtschaft wichtig, weil hier so viele Gewerke zusammenlaufen. All dies lässt sich lernen, entweder auf die harte Tour on the job oder angeleitet interaktiv in der Klassenatmosphäre. Es mag heute noch mutig klingen, dass wir auch 2021 unseren internationalen MBA anbieten werden, der Teilnehmer unter anderem nach Harvard, Singapur und Reading führen wird. Doch wir sind überzeugt, dass wir gerade jetzt mit viel Offenheit auf Asien schauen sollten, denn dort wurde während der Pandemie viel mehr richtig gemacht als bei uns. Und wir sollten natürlich als Immobilienprofessionals auf die USA schauen, denn die Dynamik, die Innovationskraft und die wirtschaftliche Stärke sind ja unter Trump nicht verschwunden, sondern wurden in den Gazetten nur durch den ungewöhnlichen Präsidenten überdeckt. Die Kapitalmärkte scheinen diese Erwartung zu teilen, auch wenn Präsident Trump versucht, sich die Höchststände des Dow-Jones sozusagen als Bonuszahlung für seine Präsidentschaft anzurechnen. Doch so funktionieren Aktienmärkte nicht, sie bewerten Erwartungen.

2021 wird sicherlich kein immobilienwirtschaftliches »Spaziergänger-Jahr«, doch gerade daher sollten sich Ihre Mitarbeiter fit machen. Spaziergänge waren richtig für die Lockdown-Phasen, doch diesen sollten wir im nächsten Jahr enteilen. Und das geht nur mit einem hervorragend geschulten Team.

Ein Beitrag von
Prof. Dr. Tobias Just,
IREBS, Universität Regensburg