Das Kräfteverhältnis hat sich verschoben

Lars Jähnichen
Lars Jähnichen © IPH Handelsimmobilien GmbH

Interview
Fair Future

Susanne Osadnik

Lars Jähnichen, Geschäftsführer IPH Handelsimmobilien GmbH, über das veränderte Verhältnis zwischen Mietern und Vermietern, Vertragsgestaltung in Post-Corona-Zeiten und die Zukunft »grüner« Mietverträge

Herr Jähnichen, während der Corona-Pandemie hat sich das Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter verändert. Ein dauerhafter Wandel?
Lars Jähnichen: Auf jeden Fall. Das Kräfteverhältnis hat sich verschoben. Ansätze dazu waren schon vor dem Ausbruch der Pandemie mit ihren weitgehenden Folgen für den Handel sichtbar, haben sich aber im Laufe der vergangenen eineinhalb Jahre weiter verschärft. Der wachsende Online-Handel, der Rückzug zahlreicher Filialisten aus dem stationären Geschäft an vielen kleineren Standorten zugunsten größerer Flag-Ship-Stores an Top-Adressen, der aktuelle Mangel an neuen Einzelhandelskonzepten aus Asien oder den USA – das alles hat Einfluss auf den Flächenverbrauch und führt selbst in High-Street-Lagen zu Flächenüberhang. Noch bis in die Jahre 2015/2016 hinein stiegen die Gewerbemieten stetig, und Ladenlokale konnten zu fast jedem Mietzins vermietet werden. Das hat mit sinkender Expansionsfreude der Retailer schon länger zu Veränderungen geführt. In der Post-Corona-Zeit werden infolge bevorstehender Schließungswellen immer mehr Zugeständnisse an die Mieter gemacht werden müssen.

Was zudem im besten Fall von Corona bleibt, ist ein größeres gegenseitiges Verständnis zwischen Mieter und Vermieter, das vor allem auf einer viel höheren Transparenz der relevanten Daten beruht. Beide Seiten haben in den vergangenen Monaten intensive Verhandlungen geführt mit dem gemeinsamen Ziel, für einen jeden Standort eine wirtschaftlich tragbare Lösung zu erarbeiten, die den Interessen beider Seiten gerecht wird.

Was geht mit dem größeren Verhandlungsspielraum der Mieter einher?
Die fortschreitende Digitalisierung reduziert den Flächenbedarf, was dem Mieter eine bessere Ausgangsbasis für Mietverhandlungen verschafft. Mieter prüfen inzwischen sehr sorgfältig die Standortperspektiven, aber auch die Immobilie selbst. Vermieter müssen sich mehr ins Zeug legen und gut argumentieren können, um einen Abschluss zu erzielen. Selbst in sehr guten Lagen sind Vermietungen kein Selbstläufer mehr. Dabei geht es nicht nur um die Höhe der Miete, sondern auch um Standortpotenziale. Heutzutage ist es auch für einen Mieter, der sich eine A-Lage vor Corona nie hätte leisten können, möglich, sich an einem Top-Standort niederzulassen. Hier kommen gleich zwei Komponenten zum Tragen: Zum einen der geringere Mietzins, zum anderen die Neugestaltung von Innenstädten. Exzellente stationäre Handelskonzepte werden die City-Lagen verändern. Dazu bedarf es aber auch Flächen, die individuelle Konzepte mit persönlicher Kundenansprache und Kundenbindung erlauben und eine besondere Affinität zum Händler schaffen.

Laut einer Umfrage aus Ihrem Haus gaben schon 2019 zwei Drittel der Befragten  an, mehr Sonderkündigungsrechte zu ihren Gunsten auszuhandeln, als es 2015 der Fall war. Wird sich dieser Trend weiter fortsetzen?
Ein Vergleich der Mietkonditionen im Handel zwischen 2015 und 2019 zeigte bereits, dass sich die Verhandlungsposition der Mieter insgesamt verbessert hat. Sowohl bei Stand-Alone-Standorten und Shopping-Center-Objekten als auch in den Innenstadtlagen dominierten im Jahr 2019 Verträge mit einer minimalen Laufzeit von fünf Jahren. Bei Fachmarktzentren hingegen wurden 2019 eher Laufzeiten von mindestens 10 Jahren abgeschlossen. 2015 überwogen für alle Lagen Verträge mit Mindestlaufzeiten von 10 Jahren. Die gängigste Mietart 2019 und 2015 war die indexierte Fixmiete, die sich hauptsächlich am Lebenshaltungskosten-Index orientiert. 85,7 Prozent vereinbarten im Jahr 2019 diesen Mietzins, 2015 waren es 71,4 Prozent. Heutzutage hat sich die Ausgangslage für Mietverhandlungen aufgrund der Corona-Krise nochmals zugunsten der Mieter verändert. Dabei spielt die Lage der Immobilie im Handelsgefüge der jeweiligen Stadt weiterhin eine sehr wichtige Rolle, da sich aufgrund der geringeren Flächennachfrage die A- wie auch die B-Lage verkürzt haben. So fallen die Mieten in den guten Lagen deutlich weniger stark als an deren Rändern, wo immer häufiger handelsferne Nutzungen wie Freiberufler ehemalige Ladenlokale nutzen. Diesen Trend stellen wir bereits seit 2015 fest. Er wird durch die aktuelle Krise verstärkt.

In den kommenden Jahren wird sich vermutlich auch das Thema Klimaschutz in künftigen Mietverträgen widerspiegeln. Wie weit ist man in der Praxis mit sogenannten grünen Mietverträgen?
Die Treiber dieser Entwicklung sind überwiegend die Investoren von Einzelhandelsimmobilien. Die Mieter sind bereit, solche grünen Mietverträge abzuschließen, wenn sie kostensensibel gestaltet werden können. Vor allem in naher Zukunft, wenn die Branche mit den Folgen der Corona-Krise zu kämpfen hat, wird das aber nicht im Fokus stehen. In den vergangenen zwölf Monaten haben wir nicht erlebt, dass Mieter gewillt waren, mehr Miete für ökologische Mietverträge zu zahlen. Aber bauliche Ansätze, die Umweltbewusstsein und Klimaschutz fördern, gibt es ja schon länger. Vor allem in den Einkaufszentren tut sich eine Menge. Schon beim Bau der Pasing Arcaden in München vor mehr als zehn Jahren hat man aus der Not eine Tugend gemacht und den acht Meter hohen Grundwasserspiegel zur Generalkühlung und -heizung genutzt. Dadurch sanken die Energiekosten der Mieter um zwei Drittel. Heutzutage versorgt sich das gesamte Center auch zu 100 Prozent mit Ökostrom. Inzwischen gibt es Ladestationen für E-Autos und E-Bikes und Recycling-Areas im Center, wo man gebrauchte Batterien, Glühbirnen und Akkus abgeben kann. Und seit 2018 haben auf dem Dach der Arcaden rund 40.000 Honigbienen ein Zuhause gefunden. Das sind Beispiele, die überall Schule machen.

Andernorts gibt es längst klare Regeln für grüne Mietverträge. In Frankreich ist zum Beispiel ein grüner Anhang zu Gewerbemietverträgen seit 2013 verpflichtend. So will man mehr Transparenz beim Verbrauch von Strom, Wärme, Wasser und Abfall schaffen. Wäre ein solcher gesetzlicher Rahmen auch bei uns wünschenswert?
Natürlich schafft ein eindeutiges und einheitliches Regelwerk Klarheit und gibt damit allen Beteiligten ein gutes Stück Sicherheit beim Umgang mit grünen Mietverträgen. Gerade für international agierende Investoren, aber auch für Einzelhändler birgt dieser Ansatz Vorteile. Insoweit wäre die Etablierung eines Standards, gegebenenfalls sogar die eines gesetzlichen dafür durchaus wünschenswert. Andererseits beschäftigen wir uns in Deutschland schon seit vielen Jahren sehr intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit, gerade auch bei Handelsimmobilien. Um die angestrebten Gebäude-Klassifizierungen nach DGNB, BREEM oder Leed zu erhalten, sind ohnehin bauliche und betriebliche Standards vom Eigentümer, aber auch vom Mieter einzuhalten. Entsprechende Anlagen zu Mietverträgen sind also ohnehin schon gang und gäbe. Das Beispiel der verbrauchsabhängigen Zuordnung bestimmter Nebenkosten auf bestimmte Einheiten/Mietbereiche zeigt, dass dieses anderenorts als deutlicher Fortschritt in Zusammenhang mit grünen Mietverträgen gefeierte Prinzip der verursachergerechten Abrechnung in Deutschland schon längst die Grundlage einer jeden professionellen Nebenkostenabrechnung bildet. Insofern kann ich mir ein einheitliches Regelwerk für grüne Mietverträge für den Fall vorstellen, dass es einen eindeutigen internationalen Standard definiert und dabei die bereits bestehenden Länderspezifika berücksichtigt.

Das Interview führte
Susanne Osadnik,
GCM-Chefredaktion