Das neue Görtz-Konzept

Interview
Optimismus
Susanne Müller
Mit einem innovativen Format will der Investor der maroden Schuhhauskette Görtz, Bolko Kissling, die Läden komplett umkrempeln. Profitieren sollen davon die Menschen in der unmittelbaren Umgebung der Stores. Auf den Verkauf von Schuhe will sich der neue Alleininhaber nicht beschränken – und selbst der wird revolutioniert.
Für Bolko Kissling, Geschäftsführer der CK Technology Solutions GmbH, ist der stationäre Retail Neuland, doch er freut sich auf seine Aufgabe. „In der Vergangenheit habe ich über mein Unternehmen natürlich viel mit dem Einzelhandel zu tun gehabt“, stellt er klar. „So war unter anderem Starbucks unser Partner, und ich habe in diesem Zusammenhang zahlreiche Termine absolviert und am Aufbau mitgewirkt.“
Vorreiter in der Schuhbranche
Das Einzelhandelskonzept, das er jetzt in den Görtz-Läden umsetzen will, habe er schon vor 2020 in der Tasche gehabt, während der Pandemie aber keine Einsatzmöglichkeit gesehen. Die Gelegenheit zur praktischen Umsetzung ergab sich dann in diesem Frühling mit der Insolvenz der Schuhkette. „Görtz ist eine unglaubliche Marke und wert, sie zu retten“, findet Bolko Kissling. „Generell benötigt die Schuhindustrie ein Makeover.“ Mit seinen Convenience-Stores will er nun als Pionier vorangehen.
Coffee-Ecke und Reiseträume
Geplant sind Nachbarschaftsläden in Form von Lounges. So will Bolko Kissling Food involvieren – so genannte Coffee-Shops. „Besucher können auch solo auf einen Kaffee vorbeischauen, ohne etwas zu kaufen, oder dort eine angenehme Zeit verbringen, während der Partner shoppt“, beschreibt er. Damit ist das Füllhorn an Nutzungen jedoch noch längst nicht erschöpft. „Wir gehen eine Partnerschaft mit einer Reisekette ein, die Urlaubsziele über Videos per Display präsentiert. Personal zur Beratung oder Buchung eines Trips kann nach Terminabsprache vorbei kommen.“
Praktische Services fürs Viertel
Der Reinigungsservice mit Annahme und Ausgabe von Textilien könnte manchem Haushalt in der Nachbarschaft gut zupass kommen. Ebenso angedacht ist eine Schuhreparatur. Auch lokale Banken will der neue Alleininhaber von Görtz ins Boot holen: „Filialen von Kreditinstituten schließen überall. Durch ein Terminal oder persönliche Gespräche nach Vereinbarung geben wir ihnen eine Möglichkeit, weiterhin Präsenz zu zeigen.“
Ordern und abholen
Kerngeschäft ist natürlich weiterhin der Schuhhandel – allerdings nicht ganz so, wie Verbraucher das bisher gewohnt sind. Bolko Kissling: „Wir werden Schuhe in verschiedenen Formen, Farben und Größen im Geschäft ausstellen. Kunden können dort auswählen, anfassen und anprobieren, die Ware allerdings nicht gleich mitnehmen. Vielmehr bestellen sie ihr Wunschpaar und holen es dann entweder am nächsten Tag im Store ab oder lassen es bequem nach Hause liefern.“ Für reibungslose Abläufe gibt’s ein spezielles Logistiksystem, das Anlieferung binnen 30 Minuten, spätestens über Nacht, sicherstellt. Rückgabe oder Umtausch ist selbstredend immer noch möglich. Übrigens wird eine Auswahl an Bekleidung das Angebot ergänzen.
Rollout ab nächstem Jahr
„Die ersten fünf bis acht Läden gehen bis zum Jahresende in die Testphase“, so Kissling. „In 2024 starten wir das Rollout.“ Dabei beschränkt er sich nicht auf den Umbau der bestehenden Locations, sondern hat bereits jetzt die Expansion im Blick: „Mittlere Städte um die 30.000 Einwohnern haben wir fest im Visier, planen viele hundert neue Lounge-Filialen.“
Ideal bei Leerständen
Kunden können die Schuhe auch bei Amazon bestellen und an die Görtz-Adresse liefern lassen. „Der Online-Handel hat durchaus seine Berechtigung“, sagt Bolko Kissling. „Eine gewisse Anzahl an Menschen bevorzugt den E-Commerce, andere Kunden aber eben nicht. Gerade beim Erwerb von Schuhen gestaltet sich der Online-Kauf schwierig, denn da kommt’s ja doch immer sehr auf die Passform und die Wirkung am Fuß an. Mit dem neuen System lassen sich hohe Retourenquoten vermeiden. Außerdem sind die Neighbourhood-Stores ideal, um Leerstände zu füllen. Insofern hat das Konzept großes Potenzial für die Handelsimmobilienbranche.“
Susanne Müller