Dem kulturellen Leben eine Bühne bieten

Omid Nouripour
Omid Nouripour war Keynote-Speaker beim German Council Congress 2022 © Anna-Lena Ehlers Photography

Interview
Werte

Susanne Müller

Omid Nouripour, Bundesvorsitzender von Bündnis 90 / Die Grünen, liegen die Innenstädte am Herzen. Er sieht sie als lebendige Quartiere. Wie er Cities aufwerten will: mit kluger Stadtplanung, kulturellem Austausch und Konzepten zur Anpassung an den Klimawandel.

Herr Nouripour, Innenstadt nennen Sie ein Kulturgut. Wie sieht für Sie der ideale Mix aus, und welche Werte sollten gepflegt werden?
Omid Nouripour: Innenstädte und Ortskerne, die man gerne besucht, in denen man verweilt und andere Menschen trifft, tragen enorm zu unserer Lebensqualität bei. Sie bieten kulturellen Austausch und geben dem Leben in Stadt und Land eine Bühne. Lebendige Quartiere bedeutet eine vielfältige Nutzungsdurchmischung. Arbeiten, Wohnen, Erholung, Freizeitangebote, Kultur und Gemeinschaft in allen Lebensphasen unmittelbar nebeneinander im Quartier sollten Ziel einer zeitgemäßen Stadtentwicklungspolitik sein. Die europäische Stadt folgt dem Leitbild der sozialen und funktionalen Durchmischung und ist Identifikationsort seiner Bewohnerinnen und Bewohner. Wir wollen dieses Leitbild um die Themen Nachhaltigkeit und einer breiten Bürgerbeteiligung und transparentem Verwaltungshandeln in Fragen der Stadtentwicklung ergänzen. Darüber hinaus setzen wir uns für mehr Freiflächen, Parks und Grün in der Stadt ein, um eine hohe Aufenthalts- und Lebensqualität sowie ein gesundes Stadtklima – jenseits des Konsumzwanges und der wirtschaftlichen Verwertung – zu realisieren.


Welche konkreten Maßnahmen schweben Ihnen vor, um Innenstädte zu erhalten und zu stärken?
Die Kommunen sind aufgefordert, durch kluge Stadtplanung und Aufwertungsmaßnahmen die Innenstädte vor Verödung zu bewahren. Die Ansiedlung von Shopping Centern am Stadtrand ist nun mal eine Bedrohung für kleine inhabergeführte Läden in den Innenstädten. Der Einzelhandel sollte die Chancen der Digitalisierung erkennen und ausbauen und an smarten Lösungen arbeiten, im Sinne guter Internetauftritte und Marketingkonzepte, die wiederrum mehr Kunden in die Läden vor Ort bringen.


Maßnahmen des Klimaschutzes, zur Anpassung an den Klimawandel und zur Verbesserung der grünen Infrastruktur sind ein fester Bestandteil der Städtebauförderung des Bundes. Mit dem Bundesprogramm „Anpassung urbaner Räume an den Klimawandel“ gibt es ein weiteres wichtiges Instrument, um die Städte klimaresilient und grüner zu gestalten und damit die Aufenthaltsqualität zu sichern und zu erhöhen. Eine fahrrad- und fußgängerfreundliche „Stadt der kurzen Wege“, flankiert von einem gut ausgebauten integrierten öffentlichen Personennahverkehr, runden unsere Vorstellung einer grünen und nachhaltigen (Innen-)Stadt der Zukunft ab.
Die Bundesprogramme der Städtebauförderung und das Programm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ sind als lernende Programme angelegt, die auf den andauernden Strukturwandel und sich ändernde Funktionen und Nutzungsverhalten im öffentlichen Raum angemessen reagieren sollen.


Wir haben uns vorgenommen, die Programme weiterzuentwickeln, anzupassen und auch finanziell besser auszustatten. Gute Stadtentwicklungspolitik sollte öffentliche, wirtschaftliche und private Interessen in Einklang bringen. Wirtschaftsförderung, Kurzarbeitergeld und Überbrückungshilfen haben uns vor größeren Verwerfungen in den besonders betroffenen Branchen bewahrt. Die jüngsten Entlastungspakete in Folge der enorm gestiegenen Energiepreise und Inflation sollen verhindern, dass Menschen in Armut fallen und vom öffentlichen Leben und der Daseinsvorsorge ausgeschlossen werden. Die Politik muss eine weitere Spaltung der Gesellschaft in arm und reich verhindern, dies hilft auch den Städten, dem sozialen Zusammenhalt, der lokalen Wirtschaft und am Ende dem Einzelhandel.


Gibt es Orte, an denen solche Konzepte gelungen sind?
Bei mir zu Hause in Frankfurt wurde beispielsweise das Projekt „Innenstadterlebnis Frankfurt am Main“ mit über vier Millionen Euro an Bundesmitteln gefördert. Ziel war es, die Kooperation zwischen den Innenstadtakteuren zu steigern und die Aufenthaltsqualität über kooperative Prozesse zu verbessern. Die City soll als lebendiger und attraktiver Ort für Handel, Gewerbe, Bildung, Kultur, Wohnen und Freizeit weiterentwickelt werden. Den Ansatz, mit lebendigen Quartieren Freizeit, Kultur und gesellschaftliche Begegnung zu erfahren und Gastronomie, Handel und Alltag zu genießen, halte ich für gelungen.


Was wird die Bundesregierung leisten, um die Cities zu unterstützen?
Als Ampelkoalition haben wir in den kommenden Jahren noch einiges vor. Dazu gehören vor allem auch die Beschleunigung von Planungsvorhaben und der Abbau der Richtlinien, die Nachhaltigkeit und Vielfalt in unseren Innenstädten zurzeit noch erschweren. Hier ist ein guter Interessenausgleich notwendig. Deshalb müssen wir diese Maßnahmen sorgsam prüfen. Es ist aber schon jetzt klar: Mit der Ampel werden unsere Innenstädte lebendiger. Wir stärken das Nebeneinander von Bars, Geschäften, Klubs und Cafés, beispielsweise durch die geplante Novelle zum Immissionsschutzgesetz.


In vielen kleineren Städten bereitet der Leerstand in den Innenstädten große Sorgen. Wir prüfen, ob dem mit einer Erneuerung des Vorkaufsrechts für Kommunen und einer engen Verzahnung zwischen Bebauungsplänen und Flächennutzungsplänen begegnet werden kann. Wir wollen resiliente, vielfältige und lebendige Innenstädte. Am Ende können aber nur dort, wo die Kommunen genug finanziellen Spielraum haben, Innenstädte vorangebracht werden. Es ist deshalb zentral, dass die Ampel sich der bisher verschlafenen Aufgabe stellt, die Kommunen endlich ihren Herausforderungen angemessen finanziell auszustatten.


Hierfür sind schon einige Schritte unternommen worden. Es gibt Zusagen für die Finanzierung der Hilfen für Geflüchtete, für die Verstetigung des höheren Anteils an den Kosten der Unterkunft, für das zügige und entschlossene Anfassen der Altschuldenfrage. Das alles sind wichtige Schritte. Es braucht aber noch substanziell mehr Geld für den kommunalen Klimaschutz, eine Weiterführung des finanziellen Engagements des Bundes für die Kinderbetreuung und eine deutliche Vereinfachung unseres Fördersystems. Ich freue mich darauf, dass wir auch diese Punkte gemeinsam als Ampel auf den Weg bringen werden.

Das Interview führte
Susanne Müller