Der Tiger hat Zähne

Pressekonferenz mit Hubertus Heil und Gerd Müller
Im Rahmen einer Pressekonferenz im Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Berlin, präsentieren der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller (CSU, li.) und der Bundes­minister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil (SPD, re.), eine fair und ohne Kinderarbeit in Bangladesh hergestellte Jeans mit dem Fair-Label »Grüner Knopf« © IMAGO / epd – ChristianxDitsch

Fair Future

Hubertus Siegfried

Das Lieferkettengesetz verpflichtet Hersteller vom übernächsten Jahr an, dafür zu sorgen, dass ausländische Zulieferer in ihren Fabriken Menschenrechte berücksichtigen und Umweltschutzauflagen einhalten. Obwohl das Regelwerk hart umstritten war, konnten sich Gerd Müller (CSU) und Hubertus Heil (SPD) durchsetzen – nicht zuletzt dank Unterstützung namhafter Unternehmen

Er gilt als »das gute Gewissen der CSU«: Gerd Müller hat als Bundesentwicklungsminister den »Grünen Knopf« initiiert. Ein Siegel, das für Mindeststandards in der Textilproduktion in Drittweltländern wie Bangladesch sorgt und den dort oft menschenunwürdigen und lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen ein Ende bereiten soll. Jetzt kann der 65-jährige Schwabe und bekennende Katholik noch einen weiteren Erfolg verbuchen: Der Bundestag hat jüngst das von ihm und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auf den Weg gebrachte Regelwerk mit dem sperrigen Namen »Lieferketten-Sorgfaltspflichtengesetz« verabschiedet.

Dieser Beschluss »wird Millionen von Kindern und Familien in Entwicklungsländern ein Stück bessere Lebenschancen und Zukunftsperspektiven geben«, sagt Müller. »Wir haben heute einen historischen Durchbruch geschafft«, sagt Heil. Das Gesetz werde dafür sorgen, »dass Produkte ohne Kinderarbeit, Ausbeutung oder Umweltzerstörung hergestellt werden«.

Manchester-Kapitalismus in Drittwelt-Ländern

Unzureichende Löhne, unbezahlte Überstunden, Maschinen ohne Schutzvorrichtungen, keine Absicherung im Krankheitsfall – in zahlreichen Fabriken in Drittweltländern ist der Manchesterkapitalismus des frühen 19. Jahrhunderts noch heute Realität. »Millionen Menschen leben weltweit in Elend und Not, weil soziale Mindeststandards wie das Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit missachtet werden«, sagt Müller. »79 Millionen Kinder arbeiten weltweit unter ausbeuterischen Bedingungen: in Textilfabriken, Steinbrüchen oder auf Kaffeeplantagen – auch für unsere Produkte.«

Das Lieferkettengesetz soll das ändern. »Es geht nicht darum, überall in der Welt deutsche Sozialstandards umzusetzen«, sagt der Entwicklungsminister. Es gehe vielmehr »um die Einhaltung grundlegender Menschenrechtsstandards wie des Verbots von Kinder- und Zwangsarbeit.« Dafür stünden auch Unternehmen in Deutschland in der Verantwortung. »Sie müssen dafür Sorge tragen, dass in ihren Lieferketten die Menschenrechte eingehalten werden«, sagt Müller.

»… mit beiden Beinen im Gefängnis«

Das 2023 in Kraft tretende Gesetz umfasst im ersten Jahr Unternehmen mit mehr als 2.999 Mitarbeitern, von 2024 an auch Firmen mit mehr als 999 Beschäftigten. Einzelhändler, die Waren von Herstellern beziehen, um sie in ihren Geschäften zu verkaufen, sind nicht betroffen. Das Regelwerk verpflichtet nur die Produzenten, bei direkten Zulieferern sowie anlassbezogen auch bei indirekten Zulieferern Risiken für Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen zu ermitteln, Gegenmaßnahmen zu ergreifen und diese gegenüber dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zu dokumentieren. »Der Tiger hat Zähne«, sagt Heil dazu.

Das Gesetz ist das Ergebnis langwierigen Ringens. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände machte ebenso Front gegen das Vorhaben wie der Bundesverband der Deutschen Industrie, der Industrie- und Handelskammertag und der Handelsverband Deutschland (HDE). »Der Wirtschaft kann nicht die Verantwortung übertragen werden, die Achtung der Menschenrechte durchzusetzen«, sagt dessen Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. »Die Verbesserung von Rechtsstandards und die Sicherstellung der Rechtsdurchsetzung in den jeweiligen Ländern sind originär staatliche Aufgaben.« Würde das Gesetz verabschiedet, stünde jeder Unternehmer »mit beiden Beinen im Gefängnis«, warnte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer.

Unterstützung fanden die Gegner bei Müllers Union-Kollegen Peter Altmaier. Der CDU-Wirtschaftsminister setzte im März vergangenen Jahres im Kabinett durch, dass das Gesetz zunächst auf Eis gelegt wurde. Angesichts der extrem unsicheren Konjunkturlage infolge der Corona-Pandemie könnten Unternehmen nicht weitere Lasten aufgebürdet werden«, argumentierte Altmaier.

NGOs und Großkonzerne Seite an Seite

Hinter Müller und Heil scharten sich hingegen 125 Nichtregierungsorganisationen in der Initiative Lieferkettengesetz – von Brot für die Welt über die Christliche Initiative Romero, den DGB, Germanwatch und das Forum Fairer Handel und Misereor bis hin zum Weltladen-Dachverband. Und 50 Unternehmen – von Mittelständlern bis hin zu großen Konzernen, darunter Kik, Nestlé, Ritter Sport, Tchibo, Vaude und Volkswagen.

Ihr Argument: Nur über ein Gesetz könnten Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden. Alle Unternehmen seien dann an denselben Standard gebunden, kein Marktakteur könnte sich ohne Konsequenzen seiner Verantwortung entziehen und Gewinne auf Kosten von Mensch und Natur machen. »Unternehmen sind ganzheitlich verantwortlich für die Auswirkungen ihres wirtschaftlichen Handelns«, sagt beispielsweise Antje von Dewitz, Geschäftsführerin des deutschen Bergsportausrüsters Vaude. Doch eine freiwillige Verpflichtung funktioniere nicht. »Daher brauchen wir eine gesetzliche Regelung zur Einhaltung fairer Arbeitsbedingungen und Umweltstandards entlang der gesamten Lieferketten – nicht nur in Deutschland«, sagt von Dewitz.                                                                                               

Vor der Verabschiedung des Gesetzes hatte die Bundesregierung im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) überprüft, in welchem Umfang Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten freiwillig dafür sorgen, dass in von ihnen beauftragten ausländischen Fertigungsbetrieben Sozialstandards eingehalten werden. Das Resultat war ernüchternd: Lediglich 17 Prozent der analysierten Unternehmen erfüllten von sich aus die NAP-Anforderungen. Weitere zwölf Prozent waren dem Monitoring zufolge »auf einem guten Weg« dahin.

Mehrkosten von 50.000 Euro im ersten Jahr

Das im übernächsten Jahr in Kraft tretende Lieferkettengesetz verpflichtet die von ihm betroffenen Unternehmen, einen Menschenrechtsbeauftragten zu ernennen. Dieser muss zunächst ein Risikomanagement aufbauen, über das potenzielle Verstöße gegen die Menschenrechte und Umweltschutzauflagen im eigenen Unternehmen und in direkten Zulieferbetrieben aufgedeckt werden können. Darüber hinaus muss ein Aktionsplan aufgestellt werden. In diesem muss festgehalten werden, wie entdeckte Zuwiderhandlungen zu bewerten und abzustellen sind.

Nach Berechnungen der Nürnberger Rechts- und Steuerberatungskanzlei Rödl & Partner dürften mit dem 1. Januar 2023 zunächst rund 2.900 Unternehmen vom Gesetz betroffen sein. Durch die Auflagen dürften bei ihnen im Schnitt Mehrkosten von 50.000 Euro im ersten Jahr anfallen. Unternehmenslenker sollten bereits jetzt anfangen, die Implementierung der kommenden Auflagen vorzubereiten, empfiehlt José Campos Nave, Rechtsanwalt und geschäftsführender Partner der Kanzlei. »Aufgrund des mit den vielfältigen Reporting-Pflichten stark formalisierten Verfahrens ist anzunehmen, dass verspätete oder lückenhafte Umsetzung Bußgeldverfahren nach sich ziehen werden.«

Arbeitsminister Heil und Entwicklungsminister Müller präsentieren das Regelwerk als Meilenstein in der internationalen Arbeitsrechts-Gesetzgebung. »Es gibt kein Gesetz auf der Welt, das so ambitioniert ist wie das deutsche Lieferkettengesetz«, sagt Heil.»Die EU sollte die deutsche Regelung jetzt zur Grundlage eines Vorschlags zur Einhaltung der Menschenrechte in allen europäischen Lieferketten machen«, sagt Müller.

Ähnliche Gesetze auf nationaler Ebene in Europa

Tatsächlich haben jedoch andere Staaten bereits zuvor ähnliche Lieferkettengesetze verabschiedet. Frankreich hat im Februar 2017 das »Loi de vigilance«, das Wachsamkeitsgesetz beschlossen. Es verpflichtet Unternehmen, etwaige Verstöße gegen die Menschenrechte entlang der Lieferketten sowie auch in Tochterunternehmen zu identifizieren und abzustellen. Im selben Jahr hat Spanien mit dem »Plan de Acción Nacional de Empresa y Derechos Humanos«, dem »Nationaler Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte« ähnliche Auflagen für Unternehmen auf den Weg gebracht. Großbritannien hat bereits 2015 mit dem »Modern Slavery Act«, dem »Gesetz gegen die moderne Sklaverei« Hersteller verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass ausländische Zulieferer ihren Arbeitnehmern die in den jeweiligen Staaten geltenden Mindestlöhne zahlen, Überstunden vergelten, ausreichend Freizeit gewähren und keine Kinder beschäftigen. In den Niederlanden gilt seit Mai 2019 das »Gesetz zur Sorgfaltspflicht bei Kinderarbeit«, um diese zu verhindern.

Für die Initiative Lieferkettengesetz ist das deutsche Regelwerk lediglich ein Schritt in die richtige Richtung. »Wir sind noch nicht am Ziel, aber endlich am Start«, sagt Johannes Heeg, Sprecher der Initiative und Mitarbeiter der Bonner Entwicklungs- und Umweltschutzorganisation Germanwatch. Anders als von Heil und Müller zunächst vorgesehen sei das Gesetz so weit abgeschwächt worden, dass es keinen zivilrechtlichen Haftungstatbestand mehr beinhalte. »Das bedeutet«, sagt Heeg, »dass Betroffene von Menschenrechtsverletzungen auf Basis dieses Gesetzes keinen Schadensersatz von Unternehmen einklagen können.«

Ein Beitrag von
Hubertus Siegfried,
freier Journalist