Deutsche Shopping Places Conference 2022

Marco Atzberger und Ingmar Behrens
Begrüßung der Teilnehmer durch die »Blues-Brothers« Marco Atzberger, EHI, und Ingmar Behrens, GCSP © EDI

Vor Ort
Menschen

Redaktion

Gute Stimmung, viele zwischenmenschliche Impulse und eine Botschaft: Der Einzelhandel muss lernen, sich als Platfform zu definieren und die Trennung zwischen Offline und Online überwinden

Über 30 Grad Celsius in Nordrhein-Westfalens Landeshauptstadt, ein Saal voller Vorfreude, zwei gutgelaunte Moderatoren mit schwarzen Sonnenbrillen performen auf dem Weg zur Bühne den bekannten Blues-Brothers-Song, der die Herzen aller zum Tanzen bringt: everybody needs somebody to love – und damit liefern sie das Motto der diesjährigen Konferenz: Für die Aufgaben, die auf Kommunen, Städte und Unternehmen zukommen, um in Zukunft bestehen zu können, braucht es zwischenmenschliche Impulse, Kommunikation auf Augenhöhe und direkten Kontakt.

Klartext reden und gemeinsam etwas bewegen

Am 18. und 19. Mai 2022 begrüßten Ingmar Behrens, Bevollmächtigter des Vorstands des GCSP German Council of Shopping Places, und Marco Atzberger, Mitglied der Geschäftsleitung EHI Retail Institute, das Who Is Who der deutschen Retail- und Real-Estate-Szene auf der DSPC. Nach zwei Jahren pandemiebedingter Distanzveranstaltungen trafen sich mehr als 200 relevante Akteure der Handels- und Immobilienbranche endlich persönlich zum Austausch und Netzwerken im exklusiven Lifestyle-Hotel Kö59 in Düsseldorf. Erstmalig präsentiert in einem linearen Programm, ausgerollt auf anderthalb Tage, konnte das Publikum zeitgleich den dezidierten Fachbeiträgen über gewonnene Erkenntnisse, innovative Immobilienkonzepte, Best Practices und nachhaltige Perspektiven entlang der Klima- und Energiekrise folgen. Eindeutiger Vorteil: Für den regen Austausch am delikaten Buffet, an den Ständen der Ausstellenden, die mit detaillierten Informationen den ein oder anderen Beitrag vertieften, oder bei der Abendveranstaltung in den Kasematten am Rhein konnten alle mit dem gleichen Wissenstand in medias res gehen und sich live und in Farbe über die Anforderungen der nahen Zukunft austauschen.

Alles eine Frage der Haltung

Nach den gut getakteten Foren zu Innovationen und Nachhaltigkeit, zu digitalen Lösungen für kundenorientierte (Park-)Services oder virtuell erweiterten Erlebnissen für mehr Kundenfrequenz via Künstlicher Intelligenz und den Weckrufen zur ESG-konformen Transformationen deutscher Handelsunternehmen gipfelte der erste Tag der Deutschen Shopping Places Conference in Wolfgang Bosbachs politisch-gesellschaftlichem Seitenblick auf die aktuelle Lage Deutschlands und der Welt. Mit tiefsinnigem Humor reflektierte der renommierte Redner und Analytiker, der von 1994 bis 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages war, Vergangenes und die hochbrisante Gegenwart – aber auch einige Kuriositäten europäischer Politik – und skizzierte daraus brillant Chancen für die Zukunft: Es warten Herausforderungen auf die Handels- und Immobilienbranche, denen mit entschlossenen Konzepten begegnet werden muss. Tobendem Applaus schloss sich die Huldigung von Rainer Pittroff an, der nach fast 40 Jahren bei der EHI warmherzig in den verdienten Ruhestand verabschiedet wurde. Moderator Ingmar Behrens führte durch das Programm – stets mit der Frage nach der Machbarkeit der vorgestellten Cases und Studies in Deutschland – ist Deutschland bereit? Und darin waren sich alle einig: Wenn auch in puncto digitaler Zugkraft hinter anderen europäischen Ländern zurück, so hat Deutschland vor allem in der Corona-Krise viel gelernt. Die Aufgabe, die im Retail jetzt ansteht, ist es, sich selbst als Plattform zu begreifen, die die Trennung von online und offline aufhebt und durch kreative Services auf kleiner Fläche maximale Erlebnisse zu bieten.

Der Mensch im Fokus

Den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel zu erkennen und anschaulich zu machen, ist die Kernkompetenz des Zukunftsinstituts. Wie der Handel in der Innenstadt 2040 aussehen wird und welche Servicedimensionen für die kommenden Generationen relevant sein werden, machte Theresa Schleicher vom Zukunftsinstitut für die Branche erlebbar und eröffnete neue Perspektiven, wie auf Anforderungen des Zeitgeschehens, verschiedener Krisen und damit einhergehenden Disruptionen reagiert werden kann. Die Expertin für Megatrends, neue Arbeitswelten und voranschreitende Digitalisierungen im Handel skizzierte, wie sich Kundenbedürfnisse, Werte und Handelsstrukturen bis 2040 entwickeln und gegenseitig bedingen. Bestimmender Faktor jeden Handels aber werden, weit vor den Anforderungen an Mobilität und Delivery, die Umweltbedingungen sein, die vorgeben, in welchem Kontext – vor allem in Anbetracht der Erderwärmung – Innovationen sinnvoll sind. Da jene maßgeblich beteiligt sind, dass sich die Bedürfnisse der Menschen ändern: kurze Wege, lokale Produktionen, neue Sharing-Modelle à la Uber & Co werden Säulen der neuen nachhaltigen Stadtkonzepte sein, die eine Korrespondenz mit dem nahen Umland eingehen werden. Neue Infrastrukturen zu nahen Produktionsstätten – Stichwort »Rural Retail«, also ländlicher Einzelhandel – werden die Belebung des Landes vorantreiben und, ähnlich wie das Silicon Valley in Kalifonien, für Unternehmen attraktiv machen.

Die Zukunft liegt in der eigenen DNA

Thomas Sevcik, CEO und Mitgründer des Strategie-Thinktanks Arthesia mit Büros in Hong Kong, Zürich und Los Angeles, berät weltweit Unternehmen, Städte und Regionen bei Neupositionierungen oder Avantgarde-Projekten. Mit seiner Betrachtung des ersten Shopping Centers der Welt, der Southdale Mall des österreichischen Stadtplaner und Architekten Victor Gruen (1903 - 1980), die 1956 in Edina, Minnesota, eröffnete, liefert Sevcik auf der Deutschen Shopping Places Conference ein Paradebeispiel dafür, wie man Retail neu definieren kann, indem man die zugrunde liegende DNA von Urbanität entschlüsselt. Dass der Faktor Urbanität, der über den Handelserfolg entscheidet, auch künstlich hergestellt werden kann und damit eine Perspektivverschiebung des Bau- und Planungswesens in die »Zwischenstadt« erfolgen muss, zeigt die historische Analyse des Southdale Centers, das bereits in den 1950er Jahren mit Theater und Bürgerbüros geplant wurde. Nach Sevcik liegt das »Potenzial am Rand«, die Zukunft nicht in der Kernstadt, da die lokale Zwei-Drittel-Mehrheit nicht in den fälschlicherweise viel debattierten Kiezstädten lebt, sondern sie liegt außerhalb in den Ballungsräumen, Außenquartieren oder Vorortringen. Wichtige Infrastrukturen wie Flughäfen, Häfen, große Büro- und Logistikzonen sind Teil von ihr, um die herum neues urbanes Leben entsteht – wie bereits in Zürich, London und Paris.

 
Ein Beitrag der Redaktion