Deutschland, deine Büdchen

Kiosk
Der schnelle Einkauf ist am Kiosk oft mit einem Schwatz verbunden. © Pixabay / Surprising Shots

Handel und Immobilien
Optimismus

Susanne Müller

Die Städter und ihre Kioske – das ist eine echte Liebesbeziehung. Was den Charme der Büdchen ausmacht, liegt auf der Hand: Sie sind Treffs im Kiez oder Veedel, immer gut für einen Schwatz unter Nachbarn, bei einem dampfenden Käffchen im Stehen, und erfüllen damit eine soziale Funktion. Der kleine Einkauf lässt sich wunderbar mit dem Austausch von Neuigkeiten verbinden.

Nun ist die Kiosk-Kultur hierzulande bei weitem nicht flächendeckend, sondern vornehmlich in bestimmten Regionen verwurzelt. Im Ruhrgebiet heißen sie Büdchen oder Trinkhalle, rund 18.000 gibt’s im Pott. Oder die Berliner und ihre Spätis, die oft mindestens bis Mitternacht geöffnet haben. Mehr als tausend Kioske lassen sich allein in der Rheinmetropole Köln finden, direkt am Puls der Stadtviertel oder Veedel, wie der Kölsche sagt. Auch im Raum Hannover ist die Spezies stark vertreten. Einer Studie der European Business School zufolge gab es 2021 hierzulande rund 40.500 dieser Mini-Märkte. Genaues über Anzahl und Umsatz weiß man nicht, denn Kioske haben kleinteilige Strukturen und sind nicht in Dach- oder Einkaufsverbänden organisiert – typische Einzelkämpfer halt.

Ursprünge in Persien

Dabei sind die Mikro-Märkte alles andere als eine urdeutsche Erfindung. Der Ursprung der Kioske liegt bereits mittelalterlichen persischen Raum mit denen als Kūšk bezeichneten, nach mehreren Seiten offen stehenden Prachtbauten, quasi steinerne Baldachine, von denen aus Sultane oder Prinzessinnen mit ihrem Gefolge den Darbietungen der Straßenkünstler zuzuschauen pflegten. Ab dem 16. Jahrhundert waren im islamischen Kulturraum so genannte Brunnenhäuschen verbreitet, die den Menschen Trinkwasser spendeten – daher der Name Trinkhalle. Hierzulande hielt der Kiosk in seiner jetzigen Funktion als Verkaufshäuschen im 19. Jahrhundert Einzug, nachdem er zuvor auf den Pariser Boulevards Furore gemacht hatte und die Wortkreation „Boulevardpresse“ zur Folge hatte. Schließlich trat der Kiosk dann unaufhaltsam seinen Triumphzug im Ruhrgebiet, Rheinland und Hannover’schen Land an.

Bonbons und Zigaretten

Trotz der Konkurrenz durch Tankstellenshops und lange geöffneten Supermärkten hat sich das Büdchen bis heute durchsetzen können. Warum? Es ist halt ein Stück Kulturerbe. Kindheitserinnerungen werden wach an Papiertütchen voller herrlich klebriger Süßigkeiten oder eine von vielen verheißungsvollen Eissorten. Die erste Schachtel Zigaretten hat sich wohl so mancher „anne Bude“ gekauft. Malocher versorgten sich nach getaner Arbeit mit ihrem Pülleken Feierabendbier. Und blieben gern mal auf einen Schwatz hängen.

Erinnerungen an früher

Ein leckeres Tütchen voll mit Lakritzschnecken, Cola­fläschchen, Himbeer- und Brausebonbons gibt’s auch bei der Büdchen-Tour der Kölner Agentur Sehenswert. Inhaberin Stephanie Biernat: „Gerade dieser lose Schnuck zum Selbstaussuchen ist doch der Inbegriff des Kindheitsgefühls und ein Merkmal der Kölner Büdchen.“ Diese Vielfalt könnte ebenso gut als Sinnbild für das bunte Sortiment stehen – oder auch für die völlig unterschiedlichen Menschen, die „anne Bude“ für eine Weile zur Wahlverwandtschaft werden. „Unsere Büdchen stehen für Kölsches Lebensgefühl, sind die Info-Börse im Viertel und ein wichtiger Ort für soziale Kontrolle im positiven Sinn. Wenn beispielsweise ältere Menschen für einige Zeit an ihrer Stammbude nicht auftauchen, werden sie gleich vermisst, und jemand schaut nach.“

Clevere Marketing-Strategien

Nicht nur Touristen, sondern auch Urkölner buchen Stephanie Biernats Büdchen-Tour, ebenso Familien, Freunde und Unternehmen, die sich beim Rundgang durch die Südstadt und das Belgische Viertel entlang von etwa zehn Büdchen einen gemütlichen Nachmittag machen und ein Stückweit Nostalgie teilen möchten – ein beliebtes Angebot. Natürlich kennt die Stadtführerin auch die Kehrseite der Medaille. „Die Betreiber müssen sich durchaus Gedanken machen, wie sie am Markt bestehen und die Kundenbindung aufrecht erhalten. Ist zum Beispiel ein Supermarkt in der Nähe, offerieren sie vielleicht ausgefallene Bier- oder Limo-Sorten oder eine kleine Weinauswahl. Services wie Paketannahme unterstreichen die nachbarschaftliche Struktur.“

Services für Stadtmenschen

Typischerweise sind Kioske Nischen-, Lücken- oder Eckbauten, angesiedelt an großen Kreuzungen, Verkehrsknotenpunkten oder Plätzen im Herzen einer Stadt. Eben dort, wo Menschen wohnen. Als Gegenentwurf zu Design und Trend präsentieren sie sich unprätentiös, zweckdienlich und ehrlich, Schwellenangst braucht niemand zu haben. Wohl einer der Gründe, warum sie im flexiblen urbanen Umfeld überleben. Und die Betreiber haben ausgesprochenes Talent zur Anpassung: Neben den üblichen Notfallvorräten von Klopapier bis Nudelsuppe, Zeitungen, Tabakwaren und Blumen gehören heute oft Internetzugang, Schlüsseldienst, Post-, Paket- oder Lottoannahme zu den Services. Eben alles, was dem Stadtmenschen das Leben erleichtert.

Treffpunkt in der City

Aber eben nicht nur im Vorbeigehen. Der Kiosk-Besitzer kennt viele Geschichten, hat stets ein offenes Ohr, und wer mag, findet in der losen Gemeinschaft der Kunden zumindest vorübergehend Halt. Kommunikation, Austausch von Problemen, Dönekes zum Lachen, der heißeste Klatsch und Tratsch – mit Nachbarn oder Fremden, am Büdchen ist das einerlei. Alle sind gleich, jeder gehört dazu – eine Art Identitätsstiftung und im Stadtdschungel, der viele vereinsamen lässt, eigentlich unerlässlich.

Nicht jeder hält durch

Dass das ganz große Budensterben bislang ausgeblieben ist, darf deshalb durchaus als Glück bezeichnet werden. Ihre Sorgen haben die Kiosk-Betreiber dennoch. Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts Globis Consulting sind viele Kioske zwar als Gewinner durch die Corona-Pandemie gekommen, da sie vom Lockdown in der Regel nicht betroffen waren. Doch jene, die beispielsweise auf Campingplätzen, in Freibädern oder in der Nähe von Schulen angesiedelt waren, mussten oft schließen. Auch viele auf Gastronomie ausgerichtete Buden waren davon betroffen. Steigende Mietkosten führen ebenfalls dazu, dass selbst alteingesessene Betreiber für immer aufgeben müssen.


Susanne Müller