Die »Amazon Tax«

Jeff Bezos
Armer reicher Mann: Amazon- und Blue-Origin-Gründer Jeff Bezos trickst bei der Steuer mit Verlustvorträgen in Milliardenhöhe. Bislang nicht illegal und leider kein Einzelfall © Chuck Bigger / Alamy Stock Foto

Fair Future

Richard Haimann

US-Präsident Joe Biden will eine globale Mindeststeuer auf Unternehmens­gewinne von 15 Prozent durchsetzen. Internationale Konzerne sollen sich nicht länger durch Ertragsverschiebungen in Steueroasen davor drücken können, ihre Gewinne weitgehend am Fiskus vorbei zu kassieren. Der Internet-Gigant Amazon hat durch geschickte Manöver im vergangenen Jahr in Europa nicht nur zweistellige Milliarden-Umsätze erzielt und darauf keinen einzigen Cent Steuern gezahlt, sondern offiziell sogar Verluste gemacht.
Damit soll nun endgültig Schluss sein, finden auch die übrigen Nationen im Bund der G7, der sieben bedeutendsten Industrieländer und stehen geschlossen an der Seite der USA

Für US-Finanzministerin Janet Yellen geht es um »das Ende einer 30 Jahre währenden Abwärtsspirale bei der Besteuerung von Unternehmen«. Pointierter  drücken es in internen Diskussionen die Mitarbeiter im Weißen Haus aus: Sie sprechen von der »Amazon Tax« – der »Amazon-Steuer«.

Weltweit sollen international agierende Konzerne künftig mindestens 15 Prozent des in einem jeweiligen Land erwirtschafteten Gewinns als Fiskalabgabe an die dortige Regierung zahlen. Das sieht die von Joe Biden vorangetriebene »Global Tax Initiative« vor. Er sei bereit, »ehrgeizige Diskussionen zu führen«, um die Idee international durchzusetzen, sagt US-Präsident Joe Biden.

Einen ersten Erfolg kann er bereits vorweisen: Die übrigen Mitglieder der G7, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und Kanada, haben die USA bereits für ihre geplante globale Staatenallianz gewonnen. Von einem »historischen Beschluss« spricht Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Die Kooperation der sieben bedeutendsten Industrienationen sei »eine sehr gute Nachricht für die Steuergerechtigkeit«.

Nun macht sich das Septett daran, die restlichen 13 Staaten der G20, der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, zu überzeugen. Zu ihnen zählen nicht nur die EU, China und Russland, sondern auch Länder wie Argentinien, Brasilien, Mexiko und Südafrika. Die Chancen stehen nicht schlecht. Alle Staaten mussten in der Corona-Pandemie milliardenschwere Ausgaben tätigen, um ihre Volkswirtschaften und Unternehmen durch die Rezession zu bringen. Das hat die Verschuldung in die Höhe getrieben und weckt den Wunsch nach zusätzlichen Steuereinnahmen.

Im Visier: Amazon, Alphabet, Apple und Facebook

Im Visier sind die Giganten des Internetzeitalters: E-Commerce-Goliath Amazon, IT-Riesen wie der Google-Mutterkonzern Alphabet sowie Apple und Social Media-Titanen wie Facebook. Sie sind der US-Regierung und der EU-Kommission seit Langem ein Dorn im Auge, weil sie durch geschickte Ertragsverschiebungen in Steueroasen ihre Gewinne weitgehend am Fiskus vorbei kassieren. Möglich machen das Staaten wie Irland, Luxemburg und die Schweiz mit ihren laxen Steuerbestimmungen. Sie werben um die Ansiedlung internationaler Konzerne nicht nur mit niedrigen Unternehmenssteuern, sondern bieten zugleich umfangreiche Abschreibungsmöglichkeiten. Dadurch sparen die Giganten der Branche Jahr für Jahr Milliardenbeträge an Fiskalabgaben ein und können so ihre Dienstleistungen und Produkte günstiger anbieten als kleinere Mitbewerber, die brav ihre Steuern zahlen.

Amazon-Verlustvorträge im Wert vom 2,7 Milliarden Euro

Der britische Guardian meldete jüngst, dass Amazon über seine in Luxemburg ansässige Tochter Amazon EU Sarl im vergangenen Jahr in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen, Schweden und Spanien zwar einen Gesamtumsatz in neuer Rekordhöhe von 44 Milliarden Euro erzielt hat, jedoch nicht einen Cent Unternehmenssteuer zahlen musste. Die Tochtergesellschaft im Herzogtum, die den Vertrieb in diesen sieben Staaten abwickele, habe in ihrer Steuererklärung an das Luxemburger Finanzamt einen Verlust von 1,2 Milliarden Euro ausgewiesen.

Der Tochtergesellschaft sei deshalb zudem »eine Steuergutschrift in Höhe von 56 Millionen Euro gewährt worden, die zum Ausgleich künftiger Steuerzahlungen verwendet werden kann«, schreibt die britische Zeitung. »Das Unternehmen verfügt über Verlustvorträge im Wert von 2,7 Milliarden Euro, die mit den auf künftige Gewinne zu zahlenden Steuern verrechnet werden können.«

Amazon zählte 2020 zu den größten Gewinnern der Corona-Pandemie. Zur Eindämmung der Infektionskrankheit waren Lockdowns verhängt und Einzelhandelsgeschäfte geschlossen worden. Verbraucher hatten deshalb mehr Güter als je zuvor über das Internet bestellt. Weltweit erwirtschaftete der US-Konzern im vergangenen Jahr einen Umsatz von 386 Milliarden US-Dollar, was einem Zuwachs von mehr als einem Drittel entspricht. Nach einer Studie der im britischen Manchester ansässigen Nichtregierungsorganisation Fair Tax Foundation hat Amazon von 2010 bis 2018 effektiv pro Jahr nur Unternehmenssteuern in Höhe von zwölf Prozent gezahlt – und damit nur etwas mehr als ein Drittel der in den USA festgeschriebenen Rate von 35 Prozent.  

Irland: Auf jede Million Gewinn nur 50 Euro Steuern

Amazon wehrt sich gegen den Eindruck, es habe von der Corona-Krise profitiert, ohne Gewinne in angemessenem Umfang zu versteuern. »Einige Medien haben fälschlicherweise das, was Amazon an Körperschaftssteuer in einer Einheit in Luxemburg zahlt, mit dem, was Amazon europaweit zahlt, verwechselt«, schreibt der Konzern in einer Erklärung. »Wir zahlen in Ländern in ganz Europa Körperschaftssteuern in Höhe von Hunderten von Millionen Euro, und wir arbeiten überall in voller Übereinstimmung mit den lokalen Steuergesetzen.«

Die EU-Kommission versucht seit Langem, Steuererleichterungen zu kappen. Ein Rechtsstreit zwischen der Exekutive der EU einerseits und Luxemburg sowie Amazon andererseits ist beim Europäischen Gerichtshof anhängig. Die oberste Rechtsinstanz der Staatengemeinschaft wird demnächst auch entscheiden, ob Irland dem US-Konzern Apple zu üppige fiskalische Vergünstigungen gewährt hat. Nach Brüsseler Berechnungen kam der IT-Gigant dort in der Vergangenheit in den Genuss einer effektiven Unternehmensgewinnbesteuerung von nur 0,005 Prozent. Auf jede Million Euro Gewinn erhob die irische Finanzbehörde nur eine Fiskal-Abgabe von 50 Euro. Die EU-Kommission fordert, dass Irland 13 Milliarden Euro an Steuervergünstigungen von Apple zurückfordert, wogegen sich der Inselstaat und der US-Konzern wehren.

Über eine global einheitliche Mindestbesteuerung von Unternehmen ringen Staaten und internationale Verbände wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) seit vielen Jahren. Bislang sind alle Versuche daran gescheitert, dass immer wieder einzelne große Nationen nicht mitspielten. Zuletzt die USA. Unter Ex-Präsident Donald Trump hatten die Vereinigten Staaten auf nationalen Protektionismus gesetzt und waren mehreren bereits ausgehandelten Handelsabkommen nicht beigetreten.
Seattle trickst Steuerflüchtlinge mit lokaler Sonderabgabe aus

Der Begriff »Amazon Tax« ist nicht im Weißen Haus geboren. Erfunden hat ihn Kshama Sawant, eine aus Indien stammende Abgeordnete im Stadtparlament von Seattle. Sie hat im vergangenen Jahr durchgesetzt, dass die Metropole an der Pazifikküste eine Covid-19-Sondersteuer von allen Unternehmen erhebt, die pro Jahr Gehälter im Gesamtwert von mehr als sieben Millionen US-Dollar zahlen. Für jeden Beschäftigten mit einem Jahresgehalt von mehr als 150.000 US-Dollar beträgt die von den Unternehmen zu zahlende Sonderabgabe 0,7 Prozent. Pro Angestellten mit einem Jahressalär von mehr als 400.000 US-Dollar sind es 2,4 Prozent. Am schwersten betroffen von der Sondersteuer ist Amazon, das ebenso wie die Kaffeehauskette Starbucks seinen Hauptsitz in Seattle hat.

»Mit der Sonderabgabe könnten pro Jahr 200 Millionen US-Dollar generiert werden, um damit jedem einkommensschwachen Haushalt in Seattle 2.000 US-Dollar zukommen zu lassen«, sagt Sawant, die als Mitglied der Socialist Alternative im Vorwahlkampf der US-Präsidentschaftswahl den linken demokratischen Kandidaten Bernie Sanders unterstützt hat. Durch die Erhebung der Sonderabgabe auf Basis der Lohnkosten sei es Unternehmen nicht möglich, Steuerschlupflöcher zu nutzen.

Die Mindestbesteuerung in Höhe von 15 Prozent ist für Biden nur ein erster Schritt. Langfristig wollen die USA eine global einheitliche Unternehmenssteuer auf vor Ort anfallende Gewinne von 21 Prozent durchsetzen. Erst bei einer Fiskal­abgabe in dieser Höhe sei gewährleistet, dass »Staaten genügend Einnahmen erzielten, um in essenzielle öffentliche Güter zu investieren und ihre Bürger vor schweren Krisen zu bewahren«, sagt US-Finanzministerin Yellen.

Mit der Forderung nach einer weltweiten Mindeststeuer auf vor Ort erzielte Gewinne handeln die USA nicht ganz uneigennützig. US-Präsident Biden will die Steuer auf Unternehmensgewinne von derzeit 21 Prozent auf 28 Prozent anheben. Sollten andere Länder dabei nicht mitziehen, könnten Konzerne wie Amazon ihre Unternehmenssitze in ausländische Steueroasen verlegen – und auch versuchen, über Tochtergesellschaften in den USA erzielte Gewinne dorthin zu transferieren. Eine weitgehend einheitliche Besteuerung würde jedoch den gewünschten Effekt verfehlen und verhindern, dass die Steuervermeider billiger als andernorts billiger davonkommen.

Schweiz bangt um ihre Steueroasen

Die einträchtige Kooperation der G7 ängstigt zurzeit nicht nur die Regierungen in Irland und Luxemburg, sondern auch in der Schweiz. Dort besteuern die meisten Kantone Unternehmensgewinne mit weniger als 15 Prozent. In Glarus und Luzern sind es jeweils lediglich 12,32 Prozent, in Nidwalden 11,97 Prozent und in Zug sogar nur 11,85 Prozent. Zudem werden umfangreiche Abschreibungen gewährt. »Die Kantone mit den tiefsten Gewinnsteuersätzen belegen nach den klassischen Offshore-Domizilen Guernsey, Katar sowie einigen (süd-)osteuropäischen Staaten die vordersten Plätze der Standorte mit tiefen Steuersätzen«, analysiert die Beratungsgesellschaft KMPG in ihrem diesjährigen Swiss Tax Report.

Damit steht die Alpenrepublik mit im Fokus der G7 bei der Durchsetzung der geplanten Mindeststeuer. Und die USA und die EU haben den längeren Hebel, weil sie Sonderzölle auf Schweizer Produkte erheben können. Die USA haben so in der Vergangenheit bereits die Eidgenossen gezwungen, ihr Bankgeheimnis aufzugeben. Bern ist dementsprechend alarmiert. »Für die Schweiz gilt es, jetzt die Weichen zu stellen, um im Licht der Arbeiten zur internationalen Unternehmensbesteuerung ein wettbewerbsfähiger Standort zu sein«, warnt der Bundesrat die Regierung der Eidgenossen.


Ein Beitrag von
Richard Haimann,
freier Journalist