Die größten Stimmungskiller

Furcht
Die Furcht um die eigene Existenz © Gucks – stock.adobe.com

Aktuelles
Tacheles

Susanne Müller

Konfliktherde auf der ganzen Welt, Krieg mitten in Europa, Umweltkatastrophen rund um den Globus und auch hierzulande: Der beklagenswerte Zustand von Mutter Erde kann einen schon das Fürchten lehren. Doch Tacheles: Was macht den Deutschen am meisten Angst? Darauf hat das Infocenter der R+V Versicherung eine klare Antwort. Eigentlich nicht weiter überraschend, ist der Mehrheit das Hemd immer noch näher als die Hose. Und so rangiert Wohlstandsverlust ganz oben auf der Liste des Schreckens.

Vor allem die Furcht vor steigenden Lebenshaltungskosten (65 Prozent) treibt die Bevölkerung um. Das geht aus der  repräsentativen Langzeitstudie „Die Ängste der Deutschen 2023“ hervor. „Die Menschen spüren beim Einkauf an der Supermarktkasse, dass sie für ihren Euro immer weniger bekommen“, sagt Studienleiter Grischa Brower-Rabinowitsch. „Die Sorge um den eigenen Wohlstand ist allgegenwärtig – auch in den Ergebnissen unserer Langzeitstudie.“ Die Aktualität dieser Befragung aus 2023 untermauert das Datenportal Statista: Die Inflation steht in deren eigener Umfrage aus 2024 mit 37 Prozent ganz oben auf dem Kummer-Treppchen der Deutschen.

Lebensstandard gefährdet

„Die Menschen fühlen sich in ihrer Existenzgrundlage bedroht und sehen ihren Lebensstandard gefährdet. Das schürt Abstiegsängste“, erläutert Professorin Dr. Isabelle Borucki. Die Politikwissenschaftlerin an der Philipps-Universität Marburg begleitet die R+V-Studie als Beraterin. Umso bemerkenswerter sei ein anderes Ergebnis. „Trotz des Konjunktureinbruchs und düsterer Prognosen für Deutschland ist die Furcht vor einer schlechteren Wirtschaftslage im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen – so deutlich wie keine andere Angst“, berichtet Brower-Rabinowitsch. Die Sorge ist um sechs Prozentpunkte gesunken. Jeder zweite Befragte (51 Prozent) hat Angst vor einer Rezession – Platz Fünf im Ranking (2022 57 Prozent und Platz Drei). „Angesichts der vielen aktuellen Krisen rücken für die Befragten individuelle Sorgen in den Fokus: die Angst vor Wohlstandsverlust oder um die eigene Existenz“, ordnet Borucki ein. „Sie überlagern das komplexe Thema Rezession.“

Ängste um Zuwanderung

Auf dem Fuße folgt bei beiden Erhebungen eine weitere Befürchtung: Die Vorstellung, der Staat und seine Behörden könnten durch den Massenzustrom Geflüchteter überfordert sein, bereitet vielen Menschen Unbehagen. Auf der Statista-Angstskala rangiert das Thema Einwanderung mit 35 Prozent auf Platz Zwei. In der R+V-Studie legt es im Vorjahresvergleich um elf Prozent zu und liegt mit 56 Prozent auf dem vierten Rang. Vor allem im Westen gewinnt die Sorge um Zuwanderung an Bedeutung, ist mit plus 13 Prozentpunkten und 56 Prozent erstmals größer als im Osten (54 Prozent). „Aus einer überwiegend ostdeutschen Sorge ist damit ein Thema geworden, das die Menschen überall in Deutschland gleichermaßen bewegt. Die Befragten haben Angst, dass die Integration nicht gelingt“, erklärt Borucki.

Spaltung der Gesellschaft

Eine Sonderbefragung des R+V-Infocenters aus dem Februar 2024 zeigt, dass zwei Drittel der Menschen im Land (66 Prozent) zudem eine Spaltung der Gesellschaft befürchten – ein Plus von 16 Prozentpunkten seit Sommer 2023. Eine gewisse Spaltung in verschiedene Lager gebe es in Deutschland schon lange, etwa in links–rechts, arm–reich oder Stadt–Land, sagt Borucki. „Dazu kommt eine neue Konfliktlinie: Für die eine Gruppe sind konservative Werte und die Verwurzelung in Deutschland wichtig. Die anderen sind eher weltoffen und treten für freiheitliche Werte ein. Diese Spaltung wird zunehmend sichtbar.“ Groß ist laut R+V-Studie ebenso die Angst, dass sich auf diesem Nährboden politischer Extremismus ausbreitet (59 Prozent) – ein Plus von gut 21 Prozent im Vergleich zum vorigen Sommer. Differenziert ist hier in rechten (72 Prozent), islamistischen (61 Prozent) und linken (29 Prozent) Extremismus.

Kein Vertrauen in Politik

Vor dem Hintergrund einer oftmals eingeschüchterten Gesellschaft böte sich politischen Akteuren ein breites Spielfeld, Dienst an der Allgemeinheit zu leisten. Indes: Die Bürger zeigen wenig Vertrauen in die Führungsriege. Laut R+V-Studie fürchtet gut jeder zweite Befragte (51 Prozent), dass die Politikerinnen und Politiker von ihren Aufgaben überfordert sind. Lag diese Einschätzung 2022 noch bei 44 Prozent, rückte sie bis Oktober 2023 von Platz Zehn auf Platz Sechs auf. „Deutschland ist im Krisenmodus. Hier erwarten die Bürgerinnen und Bürger zukunftsfähige Lösungen vom Staat, die klar kommuniziert werden. Stattdessen erleben sie ungefilterten Dauerstreit in der Ampel und eine schwache bürgerliche Opposition“, analysiert Isabelle Borucki. Entsprechend schlecht auch das Zeugnis der Deutschen für ihre Politikerinnen und Politiker. Im Schnitt vergeben sie die Schulnote 3,9 (2022 3,7). „Das generell sinkende Vertrauen in die Politik sollte bedenklich stimmen, da es auf eine langsame Gefährdung der Demokratie hindeuten kann“, warnt die Professorin.

Klimawandel schreckt Junge

Keine Frage, dass auch der Klimawandel die Deutschen umtreibt. Diese Furcht ist bei jungen Leuten allerdings besonders ausgeprägt. Umweltsorgen rauben 54 Prozent der 14- bis 19-Jährigen die Seelenruhe: mit Abstand die Top-Sorge dieser Altersklasse. Vor Naturkatastrophen fürchten sich 45 Prozent der Teenager. Doch auch insgesamt spielt das Thema eine gewichtige Rolle auf dem Angstbarometer. 47 Prozent der Deutschen fürchten sich vor den Folgen des Klimawandels – also fast die Hälfte. Der Gedanke an eine Häufung von Umweltkatastrophen bereitet 47 Prozent der Befragten Bauchschmerzen.

Auf den hinteren Rängen folgen die Angst vor Belastung durch die EU-Schuldenkrise (Platz 7), vor Pflegebedürftigkeit (Platz 9), vor weltweit autoritären Herrschern (Platz 14), vor höherer Arbeitslosigkeit in Deutschland (Platz 20) sowie vor der eigenen Arbeitslosigkeit (Platz 22).

Susanne Müller