Die Lage des Einzelhandels ist viel weniger dramatisch als sie jetzt dargestellt wird

Dr. Günter Vornholz
Dr. Günter Vornholz, Professor für Immobilienökonomie an der EBZ Business School in Bochum

Interview
Dranbleiben

Leonore Maria Lubenow

Der Einzelhandel stöhnt unter der Last der Corona-Pandemie und ihren Folgen für die Unternehmen. Die offiziellen Zahlen sprechen eine andere Sprache, sagt der Immobilienökonom Günter Vornholz

Herr Prof. Dr. Vornholz, wir sind irritiert. Der Einzelhandel erklärt fast täglich, am Boden zu liegen und Sie sagen, das ist gar nicht so ...
Günter Vornholz: Wochen- und monatelang war von den Vertretern und Beratern des Einzelhandels in düsteren Vorhersagen zu hören, wie schlecht es der Branche geht. Und nun kommt das Ergebnis des Statistischen Bundesamtes, das ein anderes Bild zeichnet: Im Corona-Jahr wurde das höchste Umsatzwachstum des vergangenen Jahrzehnts erreicht. Demnach wuchs der Umsatz im Jahr 2020 um nominal gut 5 Prozent und preisbereinigt um knapp 4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Der Einzelhandel beklagt zum einen die Zurückhaltung der Konsumenten und zum anderen das dominierende Online-Geschäft ...
Die hohe Sparneigung und die Lockdown-Folgen der Pandemie wirkten sich zwar negativ auf die Konsumbereitschaft aus. Jedoch konnte der Einzelhandel von den staatlichen Gegenmaßnahmen (Konjunkturpaket der Bundesregierung mit dem Kinderbonus sowie der befristete Mehrwertsteuersenkung) sowie weniger Ausgaben in anderen Bereichen wie Gastronomie profitieren. Jedoch gab es dabei auch Licht und Schatten. Eindeutiger Gewinner ist der E-Commerce, der vom Lockdown besonders profitieren konnte und die höchsten Umsatzzuwächse erzielte. Die vermehrten Käufe der Verbraucher bescherten dem Internet- und Versandhandel ein Plus von fast 25 Prozent, was mehr als doppelt so viel wie in den Vorjahren war. Trotz der starken Zuwachse beim E-Commerce nahm aber auch der Umsatz im stationären Einzelhandel zu. Im Vergleich zum Vorjahr wuchs der Umsatz beim Einzelhandel in Verkaufsräumen noch um 2,4 Prozent. Auch preisbereinigt war ein Plus von 0,8 Prozent zu verzeichnen.

Der Einzelhandel ist nun mal keine Monostruktur. Es gibt Branchen, denen es unbestritten schlecht geht ...
In der Tat gibt es sehr unterschiedliche Entwicklungen in den einzelnen Segmenten des Einzelhandels. Auf der Gewinnerseite steht der Lebensmitteleinzelhandel und der Handel in Supermärkten, die jeweils ein Umsatzwachstum von gut acht Prozent verzeichneten. Auch der Einzelhandel in Baumärkten profitierte während der Corona-Krise. In einzelnen Bereichen der Branche existieren jedoch Verlierer und starke Probleme, die durch die Folgen der Corona-Pandemie noch offensichtlicher wurden. So kauften die Verbraucher deutlich weniger Bekleidung und Textilien, was zu einem Umsatzrückgang von mehr als zwanzig Prozent führte. Dies war aber nur der Höhepunkt einer mehrjährigen Phase von Umsatzrückgängen. Besonders problematisch wirkt sich dies für die Innenstädte aus, in denen es (noch) viele Bekleidungsgeschäfte gibt. Beim Einzelhandel mit Waren verschiedener Art – zum Beispiel Waren- und Kaufhäuser – betrug das Minus gut zehn Prozent. Auch hier setzte sich die langjährige Talfahrt bei den Umsätzen fort. Das Minus fällt aber besonders stark aus, da bundesweit etliche Filialen geschlossen wurden. Insgesamt stellt sich die Lage im gesamten Einzelhandel bei dem Umsatzwachstum weitaus weniger dramatisch dar. Bei den negativ betroffenen Bereichen verschärfte die Pandemie die bereits seit mehreren Jahren bestehenden Probleme.


Das Interview führte
Leonore Maria Lubenow,
freie Journalistin