Die Pandemie beschleunigt die Stadterneuerung

Innenstadt
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Handel und Immobilien
Glokalisierung

Tobias Just und Franziska Plößl

Öffentlichen Räumen kommt künftig immer mehr Bedeutung zu. Ihnen fällt die Aufgabe zu, die soziale Funktion von Städten zu stärken. Wo dieser Raum besonders knapp ist, muss genau geplant werden, wie sich Flächen mehrfach bespielen lassen, ohne dass es zu Nutzungskonkurrenz kommt

Die Corona-Pandemie bedeutete für uns alle im wahrsten Sinne des Wortes einen Schock, denn wir wurden aus unserem Alltagsleben in eine ungewohnte Situation gestoßen: Wir mussten anders arbeiten als gewohnt, konnten nicht wie üblich konsumieren und Freizeitaktivitäten nachgehen und wurden über Wochen stark auf das direkte Wohnumfeld beschränkt. Gesamtwirtschaftlich bedeutete die Pandemie einen dreifachen Schock: Es gab Angebotsrestriktionen, und diese belasten die Produktionswege und folglich die Wirtschaftsleistung. Es kam gleichzeitig zu einem Nachfrageschock, weil wir verschiedene Dienstleistungen nicht mehr nachfragen durften. Und schließlich bedeutete die Pandemie einen Unsicherheitsschock, denn wir mussten mühsam lernen, wie am besten mit den neuen Risiken und Einschränkungen umzugehen sei.

Weil Immobilien immer auch am Tropf konjunktureller und gesellschaftlicher Entwicklungen hängen, werden sich diese drei Schocks auch auf immobilienwirtschaftliche und folglich städtische Entwicklungen auswirken. Dies wird langsamer ablaufen als auf Industriegüter oder Kapitalmärkten, denn Immobilienmärkte hinken der allgemeinen Konjunktur meist um Jahre hinterher und aufgrund langwieriger Planungsprozesse dauern Veränderungen in den Stadtstrukturen mitunter Jahrzehnte. Doch angesichts der Intensität des pandemischen Schocks und den sehr umfassenden Anpassungen der Menschen ist zu vermuten, dass es weitreichende Veränderungen geben wird. Wie diese aussehen könnten, haben wir im Auftrag des ULI Germany/Austria/Switzerland untersucht. Dafür wurden die Einschätzungen von mehr als 400 Immobilienmarkt-Professionals aus ganz Europa mithilfe eines strukturierten Fragebogens verdichtet. Sieben Praktiker gaben in persönlichen Interviews Einblicke in ihre Erfahrungen und Erwartungen und zehn Forschende analysierten mit der Brille ihrer fachspezifischen Forschungsausrichtung Teilaspekte der Entwicklung. Es ist sicherlich zu früh für abschließende Aussagen, doch die folgenden Botschaften scheinen derzeit belastbar.

Auswirkungen für Städte und Immobilien­anlageklassen:

1) Die Pandemie hat einen enormen Impuls für digitale Dienstleistungen bedeutet, da zum einen das gewohnte Arbeiten im Büro nicht mehr möglich war, zum anderen der Einzelhandel schließen musste und letztlich Freizeitaktivitäten stark beschränkt wurden. Dadurch haben viele Menschen in Hard- und Software investiert und vor allem in das Know-how, wie diese zu nutzen sind. Ein Teil solcher Leistungen wird sich nach einem Ende der Pandemie wieder zurückbilden. Doch überall dort, wo Kosten gespart werden können, wo Prozesse erleichtert wurden und wo Freiraum für Neues geschaffen wurde, wird es kein (einfaches) Zurück geben. Auch können Geschäftsaufgaben zu Anpassungen von Geschäftsmodellen und damit von Gebäudenutzungen erzwingen.

2) Diese Veränderungen werden überall dort besonders intensiv wirken, wo das Festhalten an den Routinen eher an menschlichen Beharrungstendenzen und Gewohnheiten als an harten ökonomischen Vorteilen lag. Dies kann etwa das Abarbeiten von einfachen Bürotätigkeiten betreffen, für die eigentlich nur der Zugang zu Datenbanken, nicht aber die Zusammenarbeit im Team benötigt wird. Diese Aufgaben konnten auch vor der Pandemie außerhalb klassischer Bürogebäude erbracht werden, doch den Unternehmen fehlte es an Mut, Erfahrung und der IT, um es umzusetzen. Nun haben sie es erproben müssen und dort, wo es sich als vorteilhaft erweist, wird es neue Prozesse geben. Ähnliches gilt auch für Einzelhandelsimmobilien. Doch überall, wo es Interaktion erfordert, wo Kreativität und soziales Zusammenspiel wichtig sind, werden Räume benötigt, um Menschen für Inspiration und Innovation zusammenzubringen. Die Nutzung in den Städten wird also verschoben, nicht vollständig, aber ein stückweit schneller in diese Richtung als zuvor.

3) Dieser Schock belastet die einzelnen ImmobilienAnlageklassen sehr unterschiedlich. Die Wohnungsnachfrage scheint in Summe sogar zuzulegen, da Menschen mehr Freiflächen suchen. In Bürogebäuden könnte sich die Nachfrage von den reinen Arbeitsplätzen zu Interaktions- und Kommunikationsflächen verschieben, und im Handel werden Erlebnis und Beratungsflächen wichtiger als die reinen Versorgungsflächen. Auch vor der Pandemie galt für den Einzelhandel bereits der Dreiklang aus sozialer Interaktion, Erlebnis und Gastronomie als zukunftsfähig, doch dieser Dreiklang dürfte nach der Pandemie noch lauter schallen.

4) Insgesamt könnte der innenstädtische Flächenbedarf sogar zunehmen. Doch wenn es nicht gelingt, den Bedarf auch in den Kernstädten zu stillen, entsteht Druck nach außen. Dies ist bereits feststellbar in Suchabfragen nach »Wohnungen mit Garten« oder »Hauskauf« im Internet. Hier kam es mindestens vorübergehend zu einer erheblichen Verschiebung der Präferenzen.

5) Dieser zusätzliche Flächenbedarf wird nicht allein in privat genutzten Räumen gestillt werden; gerade öffentliche Räume werden wichtiger, um die soziale Funktion von Städten zu stärken. Dann wird es bei knappen Räumen wichtig, die Multicodierfähigkeit zu erhöhen: Wie lassen sich Flächen mehrfach bespielen, ohne dass es zur Nutzungskonkurrenz kommt?

Veränderungen in und zwischen Städten:

6) Alle Veränderungen verlaufen sehr langsam. Doch dies bedeutet nicht, dass kein entschiedenes Handeln in den Städten notwendig sei. Dabei geht es vor allem darum, die Flexibilität in den Städten zu erhöhen, weil eben noch nicht alle Entwicklungen punktgenau vorauszuberechnen sind (das waren sie noch nie, aber es war leichter mit der Annahme, sie seien es, zu leben). Außerdem ist es sinnvoll, dass die wichtigsten Akteure enger zusammenarbeiten: die Nutzer in einer Stadt, ihre Vertreter der öffentlichen Hand, zum Beispiel bei der Gestaltung des Planungsrechts und dem Einsatz von privatem Kapital. Gerade weil es im Veränderungsprozess der Nutzungsmischungen Gewinner und Verlierer geben wird, gilt es, Angebote für jene zu schaffen, die durch Anpassungen verlieren könnten und deshalb zu sogenannten Verhinderungsagenten werden könnten.

7) Ein Weg dürfte dann dazu führen, dass es mehr Nutzungsmischungen in Gebäuden gibt. Dadurch wird das Klumpenrisiko für Investoren gemindert und für Nutzer entstehen Vorteile kürzerer Wege oder kreativitätsstimulierende Inspiration. Für Städte ist gerade dieser letzte Punkt wichtig, weil diese Spillover-Effekte zu Mehrwerten für die gesamte Stadt führen können.

8) Diese Nutzungsmischung sollte sich nicht nur auf Einzelgebäude beschränken. Gerade durch mehr Nutzungsmischung auf Quartiersebene besteht die Chance, das Verkehrsaufkommen zu reduzieren und so auch Verkehrsflächen zurückzunehmen, um sie neuen Nutzungen zuzuführen. Dabei geht es nicht darum, den Verkehr um jeden Preis zu vermeiden, sondern Quartiere zu schaffen, die weniger (motorisierten) Verkehr erfordern, denn dann kommt es zu einer echten Winwin-Situation. Das Bild einer 15-Minuten-Stadt dient hier häufig als Blaupause. Es greift jedoch zu kurz, letztlich geht es um mehrere 15-MinutenQuartiere mit starken Kernfunktionen und einer erhaltenswerten Innenstadt.

9) Wenn Vernetzung auf Gebäude- und auf Quartiersebene innovationsfördernd, also unterstützenswert ist, spricht auch nichts dagegen, die Trampelpfade zwischen den Städten auszubauen, um Größenvorteile und niedrigere Transaktionskosten zu heben. Das Internet ist letztlich deswegen so erfolgreich, weil es Menschen auf der gesamten Welt verbindet. Diese Idee lässt sich zumindest teilweise auf die reale Welt übertragen. Städtenetzwerke bieten Vorteile – die Umsetzung ist jedoch deutlich komplizierter, weil die Rüstkosten solcher Städtenetzwerke groß sind – auch wenn ein großer Teil dieser Rüstkosten nicht-monetär ist und in der Aufgabe von diversen Kompetenzen und Einflüssen liegen könnte.

10) Dass für die Umsetzung dieser Entwicklungen auch eine Investition in technische Infrastruktur notwendig ist, dürfte naheliegen. Doch geht es bei dem Begriff der Smart City weniger um eine Digital City, sondern um eine flexible Stadt, bei der die Stakeholder in engerem Austausch schneller auf neue Probleme reagieren können. Die Anpassungselastizität in Städten zu erhöhen, ist wahrscheinlich eine der entscheidenden Lehren, die aus der Pandemie gezogen werden müssen. Denn die nächste Krise wird sicherlich eine andere sein, doch Anpassungsfähigkeit und das Nutzen von verteiltem Wissen hilft Unvorhergesehenes abzufedern. Institutionelle Vorkehrungen für jedwede flexible Reaktion sind daher wichtiger als konkrete Regeln für spezifische Herausforderungen (auch wenn diese natürlich ebenfalls notwendig sind).Viele dieser Prozesse werden Jahrzehnte in die Zukunft reichen. Daher ist es unerheblich, ob die Immobilienmärkte aktuell in guter Verfassung sind oder nicht und ob dies den Eindruck erwecken könnte, die Pandemie wäre weitgehend abgeschüttelt, denn hier werden strukturelle Verschiebungen kurzfristig durch die mannigfaltigen Rettungsmaßnahmen aus Ordnungs-, Fiskal- und Geldpolitik überlagert.

Die Verschiebungen weisen in die Richtung, in die auch die Neue Leipzig-Charta gewiesen hat (Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat, 2020); die Dringlichkeit wurde jedoch deutlicher, und dies könnte durchaus ein Vorteil sein. Der stärkere Anpassungsdruck könnte die Umsetzungsgeschwindigkeit erhöhen und uns schneller zu modernen, lebenswerten Städten führen.

Ein Beitrag von
Tobias Just und
Franziska Plößl,
IREBS – Universität Regensburg


Die ganze Studie erscheint 2021 als Buch im Springer Gabler Verlag, 320 Seiten (eine englische Ausgabe folgt):

Just, T. und Plößl, F. (Hrsg.) (2021), Die Europäische Stadt nach Corona – Strategien für resiliente Städte und Immobilien, Springer Gabler Verlag.
ISBN: 9783658354312.