Die Zeitbombe tickt

Dr. Josef Braml
Dr. Josef Braml © dgap.org

Interview
Dranbleiben

Susanne Osadnik

Die USA sind hoch verschuldet und längst zeichnet sich ab, dass die Schuldenlast nicht ewig durch Gelddrucken der US-Notenbank bedient werden kann. Im Gegenteil wird die sogenannte quantitative Lockerung zu weiterer Blasenbildung und Inflation führen, sagt der USA-Experte Josef Braml. Außerdem: Warum auch unter dem demokratischen Präsidenten Biden Amerikas Politik-Blockade bestehen bleibt und die protektionistische Politik weitergeführt wird ...

Herr Dr. Braml, warum gesteht man Republikanern grundsätzlich mehr Wirtschaftskompetenz als Demokraten zu?
Dr. Josef Braml: Hüben wie drüben schauen Wirtschaftseliten auf ihre Möglichkeiten, kurzfristig Gewinne mitzunehmen, bedenken aber nicht, dass das auch für ihr Wirtschaften negative langfristige Folgen hat. So werden jene bejubelt, die Steuern senken und Regulierungen schleifen. Dass der amerikanische Staat mangels Steuereinnahmen seit Jahrzehnten keine Investitionen mehr in die Infrastruktur leistet, sollte mittlerweile auch an den maroden Straßen, Brücken, Elektrizitätsnetzen deutlich geworden sein, die auch das Wirtschaften der Unternehmer beeinträchtigen. Wozu die Deregulierungspolitik, übrigens auch der Demokraten, in den USA geführt hat, sollten wir aus der Weltwirtschaftskrise 2007/2008 gelernt haben. Das Lehrgeld für die massive Überschuldung der US-Staatshaushalte, die insbesondere auch durch mangelnde Steuereinnahmen begründet ist, werden wir erst noch bezahlen müssen. Die Zeitbombe tickt. Irgendwann kann die amerikanische Schuldenlast nicht mehr durch das Gelddrucken der US-Notenbank bedient werden. Die sogenannte quantitative Lockerung wird zu einer weiteren Blasenbildung und zu Inflation führen.

Seit Bill Clintons Wahlsieg mit dem inzwischen legendären Slogan »It´s the economy, stupid«, gilt die Wirtschaftslage des Landes als ausschlaggebend für den Ausgang der jeweiligen Wahlen. Inwieweit trifft das tatsächlich zu?
Erst kommt das Fressen, dann die Moral – so auch schon die Lehren Bertolt Brechts. Bei einer Verschlechterung der Wirtschaftslage geben die Brot-und-Butter-Themen den Ausschlag. Dank des wirtschaftlichen Erfolges der Clinton-Jahre konnte dann George W. Bush gewählt werden – mithilfe der Unterstützung der christlich Rechten, denen sogenannte moral issues sehr wichtig waren. Solange es den meisten Amerikanerinnen und Amerikanern noch wirtschaftlich gut ging, waren moral issues, vor allem auch sexualmoralische Themen wie Abtreibung und Homo-Ehe, wichtig bei der Wahlentscheidung. Nach der Wirtschafts- und Finanz-Krise war es dann wieder an den Demokraten, die Misere zu beheben. Aber der Aufschwung war ein geborgter. Bereits unter Obama sind die Haushaltsdefizite und die Staatsverschuldung enorm angestiegen. Trumps Misswirtschaft hat ein Übriges getan.

›Buy American – nur amerikanische Güter kaufen – lautete auch der protektionistische Slogan Bidens.‹

Die Staatsschulden, die unter Trump angehäuft wurden, haben einen neuen Rekord von 27,8 Billionen Dollar erreicht. Institutionen wie das Committee for a Responsible Federal Budget (CRFB), eine Art Steuerzahlerbund der USA, schlagen Alarm. Sie gehen davon aus, dass die US-Schulden schon 2023 die Rekordwerte aus dem Zweiten Weltkrieg überschreiten werden.
Die amerikanische Gesamtverschuldung läuft schon seit Längerem aus dem Ruder und bedroht die Handlungsfähigkeit des amerikanischen Staates. Das Congressional Budget Office, ein überparteilicher wissenschaftlicher Dienst der amerikanischen Legislative, warnte bereits 2016, dass die Schuldenlast »substanzielle Risiken« für das Land berge, ein Finanzkollaps drohe und nicht zuletzt auch die Handlungsfähigkeit des Staates zum Erliegen bringen könne. Höhere Zinsen würden die Schulden und das Risiko der Paralyse exponentiell erhöhen. Also sind weitere Runden sogenannter quantitativer Lockerung – ein Euphemismus für Gelddrucken – der US-Notenbank unabdingbar, um insbesondere die Zinsen niedrig zu halten. Damit wird die Binnenwirtschaft am Laufen und die Staatsschuldenlast vorläufig finanzierbar gehalten. Weiteres Gelddrucken wird Amerikas Schulden – sprich die Forderungen der hauptsächlich ausländischen Kreditgeber – durch Inflation entwerten und auch den Wert des Dollars drücken, um Exportvorteile zu erwirken.

Im März 2020 lag die Zahl der Arbeitslosen bei mehr als 23 Millionen; inzwischen ist sie auf 10 Millionen gesunken. In der EU sind 16 Millionen Menschen ohne Arbeit – vor Corona waren es auch schon mehr als 14 Millionen. Was sagt das über die wirtschaftlichen Perspektiven der USA aus?
Der Vergleich mit Europa hinkt, zumal es in Europa automatische Stabilisatoren gibt – ein soziales Auffangnetz. Wer in den USA sein Einkommen verliert, hat meist auch keinen Krankenversicherungsschutz mehr und auch schlechtere Chancen, in Corona-Zeiten zu überleben. Die USA haben mittlerweile über eine halbe Million Corona-Tote zu beklagen, davon überproportional viele Menschen der sozial schlechter gestellten Minderheiten: das sind Afro-Amerikaner und Latinos. Demographisch bedingt werden die Minderheiten aber bald in der Mehrheit sein – mit weitreichenden politischen Auswirkungen. Auch aus diesem Grund hat Trump mit seiner harten Haltung in der Immigrationspolitik dafür gesorgt, dass nicht noch mehr Menschen aus Latein-Amerika in die USA kommen, die – so die Befürchtung Trumps – ohnehin nur die Demokraten wählen.

Biden hat einen so schnellen Start seiner Amtsgeschäfte hingelegt, dass man kaum folgen konnte: Er leitete eine Kehrtwende in der Migrationspolitik ein, die auch die Integration von Einwanderern und Flüchtlingen verbessern soll. Und er hob das Einreiseverbot für Menschen aus mehreren überwiegend muslimisch geprägten Ländern auf. Er trat dem Klimaschutzabkommen wieder bei, verhängte ein Moratorium über Öl- und Gaserschließung in einem Naturschutzgebiet in Alaska und hob eine zentrale Genehmigung für die Keystone-XL-Pipeline aus Kanada auf. Der Weltgesundheitsorganisation WHO werden die Vereinigten Staaten wieder beitreten. Auch dafür unterzeichnete Biden eine sogenannte Exekutivanordnung. Warum muss er sich so beeilen?
Bislang hat Biden nur mit Exekutivanordnungen regiert – also am Parlament vorbei. Er konnte also mit einem Federstrich jene Verordnungen kippen, die auch von seinem Vorgänger Trump nur mit Exekutivanordnungen erlassen wurden. Bereits Obama musste nach seinen ersten beiden Amtsjahren, in denen er noch ein Wirtschaftsfördergesetz, die Gesundheitsreform und eine leichte Regulierung der Finanzmärkte durch den Kongress brachte, mit Exekutivanordnungen regieren – und darauf hoffen, dass die ansonsten blockierte Wirtschafts- und Handelspolitik der USA durch den Geldsegen der US-Notenbank aufgefangen wurde.

Bei allem, was Biden schon auf den Weg gebracht hat, hört man indes nicht, dass er die Strafzölle, die Trump über die halbe Welt verhängt hat, aufheben wird. Gegen die VAE kamen sogar neue Zölle hinzu. Und auch die Abgaben, die auf Waren der Europäer zu zahlen sind – wie auf Aluminium oder Stahl, Wein, Käse oder etwa Oliven gibt es weiterhin. Wird sich das noch ändern?
Ich gehe davon aus, dass US-Präsident Biden die Strafzölle auf Stahl- und Aluminium-Importe aus Europa aufheben wird, die von seinem Vorgänger damit begründet wurden, dass sie die nationale Sicherheit der USA bedrohen. Sollte er das nicht tun, wären seine Wertschätzungen gegenüber der Nato und den Alliierten nur leere Phrasen. Die Verbündeten Europas hatten bereits in Trumps Amtszeit Denkschwierigkeiten damit, weil sie als Alliierte durch ihren Freihandel mit den USA angeblich die Sicherheit der Schutzmacht bedrohten. Vielleicht hat der französische Präsident Macron auch deshalb die Nato als hirntot bezeichnet. Wer darüber hinaus wieder auf transatlantische Freihandelsgespräche (TTIP) hofft, ignoriert weiterhin die innenpolitische Lage in den USA. 2016 wurde Trump gegen Hillary Clinton gewählt, vor allem weil es ihm gelang, eine Reihe »Blue States«, das sind Einzelstaaten, die zuvor die Demokraten unterstützt hatten, für sich zu gewinnen. Das bisherige Bollwerk der Demokraten, die von der Clinton-Kampagne als sicher geglaubte »Blaue Mauer« im Rostgürtel der USA, also die Staaten des industriellen Kernlandes wie Pennsylvania, Ohio, Wisconsin und Michigan, und hier vor allem die weniger qualifizierten Wähler der unteren Einkommensschichten in zumeist ländlichen Gegenden, eroberte Trump mit populistischen und xenophoben Parolen. Obwohl die meisten Probleme Amerikas hausgemacht sind, gab Trump anderen die Schuld: Einwanderern oder internationalen Wettbewerbern. Trump konnte seinen Wahlsieg gegen das vermeintliche Washingtoner Establishment und die »Globalisten« vor allem mit dem Versprechen gewinnen, die von den USA forcierte Globalisierung umzukehren.

Also musste Biden sich auch anpassen?
Vier Jahre später konnte Joe Biden vor allem auch deshalb gegen Trump gewinnen, weil er im Wahlkampf seine eigentlich freihandelsorientierte Gesinnung zugunsten einer protektionistischen Haltung preisgab. »Buy American« – nur amerikanische Güter kaufen – lautete auch der protektionistische Slogan Bidens. Schon seit Längerem zeigt sich – auf beiden Seiten des politischen Spektrums, vor allem unter der demokratischen Wählerschaft Bidens, um die auch Trump gebuhlt hat – Widerstand gegen den seit dem Zweiten Weltkrieg geltenden international engagierten außenpolitischen Kurs der USA. Die traditionellen, den Gewerkschaften nahen Demokraten befürchten insbesondere, dass Mittel für internationale beziehungsweise militärische Zwecke verbraucht werden und somit für innere soziale Belange fehlen. Transatlantische Lastenteilung und Protektionismus in der Handelspolitik werden insbesondere von demokratischer Seite gefordert – nicht zuletzt auch in der amerikanischen Legislative. So war der Widerstand der Demokraten im Kongress ursächlich dafür, dass die transatlantischen Freihandelsgespräche (TTIP) nicht, wie von US-Vizepräsidenten Biden seinerzeit angekündigt, »mit einer Tankfüllung« zu Ende gebracht werden konnten.

Wie lange wird es dauern, bis die eher links orientierten Kräfte der Demokraten, die mit zu seinem Wahlsieg beigetragen haben, ihre politischen Forderungen umgesetzt sehen wollen?
Biden hat bereits ein Kabinett zusammengestellt, das die verschiedenen Fraktionen seiner Koalition umfasst, einschließlich progressiver und gemäßigter Köpfe. Dank der Kontrolle der Demokraten im Senat können die Personalentscheidungen des Präsidenten ohne Blockademöglichkeiten der Republikaner abgesegnet und damit auch die innerparteiliche Machtarithmetik der Demokraten aufrechterhalten werden. Mangels einer demokratischen Supermehrheit im Senat (60 von 100 Stimmen) und der damit möglichen Kontroll- und Obstruktionsmöglichkeit der Republikaner im normalen Gesetzgebungsverfahren sind jedoch die vor allem von progressiven Demokraten geforderten umfassenden Gesetze in den Bereichen Gesundheitswesen, Steuerreform, Finanzmarktregulierung sowie Klima- und Energiepolitik nicht zu erwarten.

Obama ist mit legislativen Kooperationsversuchen gescheitert. Erwartet Biden ein ähnliches Desaster?
Zwar verfügt Biden über 36 Jahre Erfahrung sowie persönliche Arbeitsbeziehungen im Senat und ist für seine Fähigkeit zu parteiübergreifender Zusammenarbeit bekannt. Aber seine legislativen Kooperationserfolge sind lange her – sie waren in einer Zeit, in der Konsensfindung noch möglich war und von den Wählern und Interessengruppen honoriert wurde. Eine von Partikularinteressen forcierte republikanische Blockade seiner Gesetzgebungsagenda könnte Präsident Biden zwingen, mittels exekutiver Anordnungen, also ohne die längerfristige Verbindlichkeit der Gesetzgebung, zu regieren – wie es bereits seine beiden Vorgänger Trump und Obama taten.

Niemand redet mehr davon, – auch Biden selbst nicht – das gespaltene Land wieder miteinander auszusöhnen. Wie tief ist der Trumpismus auch ohne die Leitfigur in der amerikanischen Gesellschaft verwurzelt – wenn die Republikaner zulassen, dass Parteimitglieder wie Lindsey Graham schon wieder die nächsten Schlammschlachten anzetteln?
Das zweite Amtsenthebungsverfahren gegen Trump gab Aufschluss über die Lage und künftige Entwicklung der Republikaner. Das politische Kalkül der Demokraten, ihn durch eine nachträgliche Amtsenthebung für eine zweite mögliche Amtszeit unwählbar zu machen, ist nicht aufgegangen, weil auch die Republikaner aus politischen Gründen an Trump festgehalten haben.

Auch dem republikanischen Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell, der zwar den Präsidenten für die Erstürmung des Kapitols verantwortlich machte, fehlte bei der Impeachment-Abstimmung dann doch der politische Mut, weil er weiß, dass Trump bei vielen seiner Wählerinnen und Wähler noch sehr populär ist. Die Republikaner haben gesehen, dass Trump trotz seiner – auch in ihren Augen unkonventionellen und problematischen – Amtsführung nicht wie von vielen erwartet bei den Wahlen 2020 eine dramatische Niederlage einfuhr, sondern 10 Millionen Wählerstimmen mehr erhielt als bei seiner ersten Wahl 2016. Trump strafte zudem viele Experten Lügen, indem auch die Kongresswahlen für die Republikaner besser ausgingen als von ihnen erwartet. Trumps Popularität half vielen Abgeordneten und Senatoren bei ihrer Wiederwahl. In zwei Jahren sind schon wieder Kongresswahlen. Allen voran Senatoren, die 2022 zur Wiederwahl antreten müssen, wollten in den Augen der Trump-Anhänger nicht als Königsmörder gelten und dafür abgestraft werden.

Wird Trump noch einmal ins Rennen gehen?
Trump hat bereits seine mögliche Wiederwahl vorbereitet, indem er einen ernstzunehmenden Rivalen – namentlich seinen Vizepräsidenten Mike Pence – in den Augen seiner Wähler diskreditierte. Indem er seinen Anhängern vorgaukelte, Pence hätte seine Abwahl in der zeremoniellen Kongressabstimmung am 6. Januar verhindern können, stigmatisierte er den ihm während seiner gesamten Amtszeit treu ergebenen, ja devoten Pence als Verräter. Bei der anschließenden Erstürmung des Kapitols musste Pence sogar um sein Leben fürchten. Ich sehe in den Reihen der Republikaner keinen Kandidaten, dem es ohne Trumps Segen gelingen könnte, die unterschiedlichen Strömungen der republikanischen Wählerschaft, darunter Trump-Nationalisten, christlich Rechte und Wirtschaftsliberale,  zusammenzuhalten.

Wie würde eine Präsidentenwahl aussehen, wenn sich Teile der Republikaner abspalteten?
Das könnte auch eine Chance für die Demokraten sein – vor allem wenn es ihnen gelingt, aus ihrem Wahlerfolg politisches Kapital zu schlagen, indem sie viele drängende Probleme des Landes lösen oder zumindest lindern.

Das Interview führte
Susanne Osadnik,
Chefredaktion GCG

Dr. Josef Braml ist USA-Experte des Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS) der Universität Bonn und Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Trilateralen Kommission. Aktuelle Analysen veröffentlicht er auch über seinen Blog »usaexperte.com«.