Die Zukunft der Innenstädte

Innenstadt
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Handel und Immobilien
Fair Future

Sebastian Müller und Leif Krägenau

Die Diskussion über den Tod der City-Lagen ist nicht neu. Dennoch gibt es sie immer noch. Damit das auch künftig so bleibt, müssen sich Fußgängerzonen aber in nie gekannter Weise verändern

In der jetzigen Zeit des katalysierten Strukturumbruchs besteht also insbesondere die Aufgabe, die Weichen richtig zu stellen, um die Entwicklung hin zu einer zukunftsfähigen, modernen Innenstadt zu moderieren und nicht, um Altes und oftmals Liebgewonnenes zu konservieren.

Im Rückblick auf die Diskussion um die Innenstädte ist bemerkenswert, dass in der jüngeren Vergangenheit vor allem der filialisierte Einzelhandel als das Übel ausgemacht wurde, das Uniformität, Langeweile und Austauschbarkeit der Innenstädte vorantrieb und die Nutzungsmischung verhinderte.

Heute sind es scheinbar die zur Bekämpfung von Corona erdachten Verordnungen und der Online-Handel, die dem Zentrum der Europäischen Stadt den Garaus machen. Nicht nur sind solche Vereinfachungen und teilweise populistischen Statements zum Abgesang der Innenstädte falsch, schlimmer noch finden diese auf Verlustangst zielenden Aussagen Gehör und erwirken Gegenmaßnahmen, die oftmals fehlgeleitet sind. Fehlgeleitet deshalb, weil bei der vermeintlich notwendigen Rettung der Innenstädte gedanklich regelmäßig von einer falschen Annahme ausgegangen wird. Präsumtiv werden Innenstadt und Handel in einem Boot gewähnt, das vor dem Kentern bewahrt werden muss und als zwei Seiten derselben Medaille gesehen, die nicht ohneeinander existieren können.

Wir haben uns bewusst entschieden, die Entwicklungsgeschichte des Handels und die damit einhergehenden Veränderungen der Formate und Lagen hier nicht länger auszuführen und auch den Begriff Wandel nicht in einen Reim zu bringen, aber ein wenig Stadtbaugeschichte hilft in diesem Kontext. Städte gibt es seit mehreren Tausend Jahren und entgegen vieler Geschichten und Annahmen war der Handel über einen sehr langen Zeitraum weder die treibende Kraft für eine Stadtgründung noch prägendes Element für den Alltag in den Städten. Erst mit dem Aufkommen der Marktrechte und der Hanse nahm die Bedeutung des Handels in den deutschen Städten eine größere Rolle ein.

Dass Handel in der Stadt keine Selbstverständlichkeit war, wird vielleicht dadurch bildhaft, dass es früher einem besonderen Event gleichkam, wenn am Rathaus geflaggt, die Stadtwaage herausgeholt und damit angekündigt wurde, dass ein Markt in der Stadt stattfindet.

Die Fußgängerzone, die im Zusammenhang mit der drohenden Apokalypse synonym für die Innenstadt genutzt wird, wurde in Deutschland erstmals im Jahr 1953 eingeführt.

Das fest in unseren Köpfen verankerte Bild von Shopping in der City ist tatsächlich noch recht jung und weitestgehend von unseren Erfahrungen in den letzten Jahren geprägt, in denen der Einzelhandel die dominierende Nutzungsart in unseren Stadtzentren darstellte. Dabei hat in den vergangenen 40 Jahren der Einzelhandel, getrieben von den Eigentümern der Immobilien in den Hauptlauflagen, frühere Nutzungen wie städtische, kulturelle oder soziale Einrichtungen in erheblichem Umfang verdrängt.

Heute, da der »klassische« Einzelhandel an Bedeutung verliert und auch künftig eine geringere Rolle für den Konsum darstellen wird, ist es logische Konsequenz, dass weniger Fläche für diese Nutzung in der Innenstadt benötigt wird. Insofern erscheint der Prozess sich räumlich zusammenziehender Einzelhandelslagen kaum aufzuhalten. Es entstehen andererseits Chancen, weitere Nutzungen wieder in die Innenstadt zurückzuholen und mit einem breiten Nutzungsmix die Bedeutung der Innenstädte als Mittelpunkt eines Stadtraumes oder einer Region wieder zu stärken. Sodass sie weiterhin Abbild vielfältiger Ansprüche einer sich rasant wandelnden Gesellschaft und Identifikationspunkt zu bleiben.

Wichtig erscheint dabei, alle Akteure dieses Wandels sowohl der horizontalen, planerischen Ebene (Schaffung eines allgemeinen ordnungs- und baurechtlichen sowie verkehrstechnischen Rahmens) als auch der vertikalen Dimension der Immobilieneigentümer (Entwicklung von Mixed-Use-Konzepten) am Prozess zu beteiligen und gemeinsam eine neue Vision, ein neues Leitbild für die spezifische Stadt zu entwickeln. In Neudeutsch ausgedrückt wäre also eine Positionierungsidee zu finden, die auch unterschiedliche Funktionen und Cluster in verschiedenen Quartieren der Innenstadt abbildet. Dass es dabei keine Standardlösung geben kann, sondern, bedingt durch Stadtgröße, -lage und räumlichen Kontext, immer individuelle Ansätze braucht, ist dabei klar. Dann werden die deutschen Innenstädte, ganz im Sinne der Neuen Leipzig-Charta, weiterhin eine kulturelles, soziales, ökologisches und wirtschaftliches Zusammenspiel ermöglichen und als städtisches Kulturerbe Europas Teil der Identität ihrer Einwohnerinnen und Einwohner sein und vor allem zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung beitragen.

Als German Council sehen wir, dass eine Transformation der Innenstädte unumgänglich ist und diese in einem kommunikativen Prozess aktiv moderiert werden sollte. Dies unter Einbeziehung aller Teilhaber, insbesondere auch der Immobilieneigentümer. Die Zieldimensionen der Neuen Leipzig-Charta einer gemeinwohlorientierten Standortpolitik (Gerecht, Grün, Produktiv) mit der Querschnittsdimension Digitalisierung sind dabei zu beachten. Etwas profaner ausgedrückt: Förderungs- und Entwicklungsmaßnahmen für die deutschen Innenstädte sind notwendig und unbedingt zu begrüßen, sie sollten aber nicht vom kurzfristigen Bewahrungsansatz für nicht mehr zeitgemäße Nutzungen und Formate getrieben sein, sondern auf Nutzungsvielfalt, Lebens- und Kommunikationsräume und eine neue Wirtlichkeit unserer Stadtzentren ausgerichtet sein, in der auch der Einzelhandel eine wichtige Funktion bleiben wird.

Die Herausforderung ist angesichts der Geschwindigkeit, mit der Leerstände zunehmen werden, enorm, aber wir sind davon überzeugt, dass der Identifikationspunkt Innenstadt, der Brände, Weltkriege, und Pandemien wie Pest und Cholera überstanden hat, nicht aufgrund des Bedeutungsverlusts einer Nutzungsart sterben wird.


Ein Beitrag von
Sebastian Müller und Leif Krägenau,
GCSP Academy Board

»Spiel mir nicht (schon wieder) das Lied vom Tod!«
Ein Kommentar von Prof. Dr. Tobias Just,
GCSP Academy Board

Bad news is good news. Damit bringen Medienschaffende seit Jahrzehnten zum Ausdruck, dass negative Nachrichten für den Verkauf von Nachrichten besser geeignet sind als positive. Daher wird häufiger über das »Sterben der Innenstädte« und viel zu wenig über die »Neugeburt der Innenstädte« geschrieben. Es ist für niemanden angenehm, über das begleitete Sterben nachzudenken. Es deprimiert und lähmt. Gerade die Geschichte der Städte zeigt, dass es allenfalls um das Sterben von altgewordenen Einzelteilen geht. Städte können sich erneuern, und dies sollte unser Narrativ werden. Lasst uns endlich anfangen, intensiv darüber nachzudenken, wie wir in den nächsten 30 Jahren idealerweise in Städten leben, arbeiten und shoppen möchten. Wenn wir die Ziele kennen, können wir über Prozesse nachdenken.