Drei-Fünf-Eins 2020

3-5-1-Konferenz 2020
Eröffnung der Veranstaltung in Düsseldorf. Auf der Bühne und im Livestream: Die Begrüßungsrede von Christine Hager © Carlos Albuquerque

Insight
Herausforderung

Leonore Maria Lubenow

Die German Council Konferenz unter Ausnahmebedingungen. Was als größte Herausforderung aller Zeiten in der Verbandsgeschichte begann, mündete in einem hybriden Konzept, das zukunftsträchtig ist

Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Das war schon immer so und bewahrheitet sich zurzeit so, wie es sich kaum jemand hätte vorstellen können. Eine Pandemie war sicher das Letzte, womit die meisten Menschen in Shanghai, New York, Sydney, Buenos Aires, Rom, Paris oder in Berlin gerechnet hätten. »Es mussten in den vergangenen Monaten sehr viele Entscheidungen getroffen werden, die oft weit reichende Folgen hatten und haben werden«, sagte GCSP-Vorstandsmitglied Christine Hager. Dennoch gelte es jetzt, das Beste aus der aktuellen Situation zu machen. Für den stationären Handel hierzulande heißt das, darüber nicht die wichtigsten Fragen zur Zukunftsfähigkeit der Branche zu vergessen. Das Motto der Konferenz »Break, Shake, Take« umreißt dabei in aller Kürze, worum es geht: »Break steht für die Tatsache, dass man sich von Dingen verabschieden muss, die nicht mehr zeitgemäß oder gewünscht sind, Shake, dass wir manches verändern und vielleicht sogar richtig durchschütteln und in neuer Form wiederbeleben müssen«, so Hager. »Und der Punkt Take symbolisiert all das, was an Gutem bewahrt werden sollte.«  

›Immobilien wirken stabil und unverwüstlich, sie werden aber nur dann erfolgreich ihrem Zweck gerecht, wenn sie in einem äußerst sensiblen und sehr feinmaschig abgestimmten Biotop aus Handel, Gastronomie, Büro und Wohnen zu Hause sind.‹
Christine Hager
GCSP-Vorstand

Flexibilität ist die grundsätzliche Voraussetzung dafür und der German Council of Shopping Places hat bewiesen, dass er sich an die gegebenen Umstände anzupassen weiß. Die diesjährige GCSP-Konferenz setzte dabei Maßstäbe, die weit über Corona hinaus wirken könnten: »3-5-1« ist die Antwort darauf, strengste Hygienevorschriften, Abstandsregeln und den Wunsch nach Zusammenkommen und Austausch gleichermaßen unter einen Hut zu bekommen. In Düsseldorf, Hamburg und Berlin sowie über einen Livestream, der alle drei Standorte und die Gäste an den heimischen Bildschirmen miteinander verband, konnten die Konferenz-Gäste den Redebeiträgen und Diskussionen entspannt folgen, ohne sich Sorgen um ihre Gesundheit machen zu müssen.
 
Wenn Keynote-Speaker Gabor Steingart gleich zu Beginn von »den Tapfersten der Tapferen« sprach, war allerdings weniger von den Gästen vor Ort die Rede, sondern vielmehr von der Einzelhandelsbranche an sich, die teilweise schon jetzt an ihre wirtschaftlichen Grenzen stößt und nach Auswegen sucht, um das Überleben vieler ihrer Unternehmen zu sichern. Steingart verstand seinen Einsatz in Berlin deshalb auch so: »Mein Job ist es, Ihnen Zuversicht einzuflößen.« Aus Sicht des Journalisten gibt es genau fünf Gründe, warum die Branche trotz aller aktuellen Widrigkeiten Grund hat, zuversichtlich in die Zukunft zu blicken.
 
1. Widerspruch: Da zurzeit alle Politiker auf Bundes- und Länder­ebene jeden Tag aus Neue austarieren, mit welchen Maßnahmen man am wirkungsvollsten das Virus in den Griff und die Wirtschaft am Laufen halten kann, sei es höchste Zeit, dass der Einzelhandel sich in die Diskussion einmische – und auch widerspreche, wo es notwendig erscheine.
 
2. Natürliche Verbündete: Die verordnete Einsamkeit und Isolation ist für die meisten Menschen unerträglich. Menschen sind soziale Wesen und leben vom Austausch, vom Zusammenkommen, von der Nähe, die zurzeit nur sehr begrenzt erlaubt ist. Das alles macht die Menschen zu natürlichen Verbündeten des Einzelhandels und der Shopping Places. Die Aufgabe des Handel sei es jetzt, herauszufinden, wie man erweiterte Einkaufserlebnisse schaffen kann. »Das Ergebnis eines Einkaufs darf nicht der Bon an der Kasse sein«, so Steingart.
 
3. Kunden verstehen. Für die junge Generation ist das Konsumieren vor Ort nicht der primäre Grund, um das Haus zu verlassen. Als Begleiterscheinung des Sich-Treffens und Zusammen-Kommens kaufen sie jedoch auch im stationären Handel – wenn auch nicht so häufig wie online. Das Ziel: hybride Formen zu entwickeln, die beides miteinander verbinden und das »Lästige« des Einkaufs im stationären Handel zu verbannen – etwa das »Tüten-Tragen«. »Holen Sie die Jugend ab, damit sie als Kunden nicht verloren gehen,« so Steingart.
 
4. Vater Staat. Der stationäre Einzelhandel sollte mit dem Staat ins Geschäft kommen – so wie die Landwirtschaft es seit Jahrzehnten tut. Wenn es um die Aufwertung oder gar Rettung der teils schon dahinsiechenden Innenstädte gehe, habe der Einzelhandel eine soziale und gesellschaftspolitische Aufgabe inne, die auch die Politik anerkennen müsse.
 
5. Gemeinsam stark sein. Mit dem German Council of Shopping Places verfügt der Handel in Deutschland bereits über ein Instrument, das genutzt werden kann, um strategisch zu planen und Neues zu entwickeln. Die Gemeinschaft macht stark – im Gegensatz zum einzelnen Händler. Gemeinsam kann man größer Denken, größer Handeln und größere Ansprüche – auch gegenüber der Politik – formulieren. Letztendlich wird sich das in barer Münze widerspiegeln. Vorausgesetzt die Münze steht nicht am Anfang der Überlegungen.

›Digitalisierung scheint der starke Helfer des Einzelhandels zu werden. Wichtig ist und bleibt dabei aber, den Menschen, den Kunden im Blick zu behalten. Er allein ist das Maß der Dinge.‹
Markus Trojansky
GCSP-Vorstand

 Und wie geht’s den Gastronomen?
 
Bis zum Februar diesen Jahres galt die Gastronomie als Hoffnungsträger für Shopping Center und verwaisende Innenstädte. Corona änderte jedoch alles. Mit dem Lockdown zwischen März und Mai wurde die Branche wie nie zuvor einer Härteprobe unterzogen. Bei der German Council Konferenz berichteten zwei Gastronominnen, wie sie die Situation gemeistert haben – und wovor sie sich am meisten fürchten, wenn der Winter kommt. Cornelia Poletto, die in Hamburg Eppendorf gleich zweifach vertreten ist, baute nach der angeordneten Schließung ab 15. März umgehend einen Take-away-Service mit Auslieferung per Fahrrad auf – und fuhr auch selbst durch die Gegend. Mittlerweile  hat sich ihr Restaurant-Betrieb so weit normalisiert, dass kleinere Treffen mit 25 Gästen – unter Wahrung von Hygiene- und Sicherheitsvorschriften – kein Problem mehr sind. Eine Großveranstaltung im September mit 200 Personen im Hafen war das Highlight der jüngeren Vergangenheit. Ihr Fazit: Die Leichtigkeit im Umgang miteinander ist verloren gegangen und Unsicherheit dominiert die Aussichten für die Herbst/Winter-Saison. Aber: Mittelfristig ist die Fernseh-Köchin überzeugt, dass sich für jedes Gastro-Konzept der passende Retailer finden lässt.  
 
Kerstin Rapp-Schwan, die in Düsseldorf sieben Restaurants unter dem Namen »Schwan« betreibt, setzte ab dem 23. März ebenfalls auf den Außer-Haus-Verzehr und baute dafür kurzfristig einen Web-Shop auf. Das Kurzarbeitergeld der Bundesregierung sei dabei sehr hilfreich gewesen. Zurzeit kommt die Gastronomin ganz gut über die Runden – wenn auch die innerstädtischen Standorte eindeutig darunter litten, dass die Mittagskundschaft der Büromitarbeiter weiterhin fehle. »Da müssen wir vielleicht auch langfristig umplanen, wenn Homeoffice zum Standard wird«, so Rapp-Schwan. Für Nordrhein-Westfalen sieht sie die Gastronomie gut aufgestellt, weil man im Dialog mit der Landesregierung sei. Was sie persönlich am meisten ärgere und auch verunsichere? »Nach 18 Jahren schuldenfrei in der Gastronomie, stehe ich mit etlichen KfW-Krediten beladen wieder am Anfang«, so Rapp-Schwan.

›Mit unserer Hybrid-Konferenz haben wir gezeigt, dass wir einen sehr umfassenden kollektiven Denkprozess über die Zukunft der Branche leisten können und wollen. Ein Anfang ist gemacht.‹
Harald Ortner
GCSP-Vorstand

Sind Drogisten Krisen-Gewinner?
 
Dass die Corona-Krise viel verändert, beobachtet auch Christoph Werner, Vorsitzender der dm-Geschäftsführung. Obwohl die Drogeriemarkt-Kette bestens durch die Krise gekommen ist, hat auch deren Chef Lehren aus  dieser Zeit gezogen. »Die einzige Sicherheit, die wir haben, ist die Unsicherheit«, so Werner. »Das haben wir als Unternehmen gelernt. Geringste Störungen können das Gleichgewicht aushebeln.« dm will deshalb weiterhin daran festhalten, nicht alles stetig zu optimieren, sondern mit Sicherheitsmargen zu agieren. Dazu gehört aber auch, unprofitable Läden konsequent zu schließen und Finanzierungen so zu gestalten, dass immer ausreichend liquide Mittel zur Verfügung stehen – und nicht »alles bis zum Letzten auszureizen«.

Seit 2015 ist dm bereits im Online-Geschäft tätig und hat durch Corona seine Umsätze damit schon mehr als verdoppelt. Aber auch stationär laufen die Geschäfte gut, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung. In Stadtteillagen und Fachmarktzentren seien die Umsätze gut; an Standorten im Stadtzentrum und/oder Bahnhofsnähe seien die Frequenzen niedriger. Schon heutzutage liegen mehr als 50 Prozent der 3700 dm-Filialen in Fachmarktzentren außerhalb der Innenstädte, weil sich der  Einkauf an den Stadtrand verlagert habe. »Wir werden sehen, ob sich das zurückentwickeln wird«, so Werner. Was immer passiert, dm sieht sich in der glücklichen Lage, schnell reagieren zu können. Der Grund: Das Unternehmen besitzt keine eigenen Immobilien, sondern ist überall nur als Mieter vertreten. »Das ist aus unserer Sicht ein wesentlicher Faktor für Zukunftsfähigkeit«, so Werner.

Ein Beitrag von
Leonore Maria Lubenow,
freie Journalistin