Ein Mann für alle Fälle

Harald Christ und Christian Lindner
Harald Christ und Christian Lindner

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Redaktion

Schon einmal war der Berliner Unternehmer Harald Christ auf dem Sprung in die Bundesregierung. 2009 holte ihn der damalige SPD-Kanzlerkandidat und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als Kandidaten für den Posten des Wirtschaftsministers in sein Schattenkabinett. Elf Jahre später wird der Berliner Unternehmer wieder für diesen Posten gehandelt – aber diesmal auf der Seite der FDP

Unaufgeregt. Sachlich. Selbstbwusst. FDP-Chef Christian Lindner sieht in diesen Tagen in jedem Fernsehinterview entspannter aus. Dazu hat er auch allen Grund. Während die Union in einer tiefen Krise steckt und die SPD nicht aus dem Keller kommt, sind die Liberalen seit Wochen im Umfragehoch. Stabil und deutlich über fünf Prozent. Mit Pfeil nach oben. Nicht wenige Meinungsforscher trauen der FDP inzwischen sogar ein zweistelliges Ergebnis bei den Bundestagswahlen am 26. September dieses Jahres zu. Und damit könnte die FDP wie so oft in ihrer Geschichte wieder einmal zum entscheidenden Zünglein an der Waage werden.

Armin Laschet? Annalena Baerbock? Oder Olaf Scholz? Wie auch immer das Rennen ausgeht, viele Beobachter im politischen Berlin erwarten nach der Wahl ein Ergebnis, das rein rechnerisch vielfältige politische Konstellationen ermöglichen könnte und damit extrem schwierige und langwierige Koalitionsverhandlungen nach sich zöge. Nicht wenige prophezeien sogar, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel auch noch die Neujahrsansprache für das Jahr 2022 halten könnte – weil bis dahin die Bildung einer neuen Regierung immer noch nicht abgeschlossen sein wird.

Eine Situation, die Lindner in die Karten spielt. Denn schon jetzt sieht er sich in der komfortablen Situation, sich alle Optionen für seine FDP offen halten zu können – und hat schon einmal vorgebaut. Auch für den Fall, dass es nach der Wahl rein rechnerisch für eine »Ampel« reichen könnte, also zu einer Koalition von SPD, Grünen und der FDP. Und da käme ein Mann ins Spiel, der bis dahin eher im Hintergrund agiert hat und den nur die wenigsten auf dem Zettel haben: Harald Christ (49), der neue Schatzmeister der FDP und Mitglied im Präsidium der Liberalen.

Wer ist dieser Mann?

Harald Christ war 31 Jahre in der SPD und einer der engsten Vertrauten der ehemaligen Parteichefin Andrea Nahles. Viele Jahre galt er als das wirtschaftsliberale Gesicht der Sozialdemokraten. 2009 holte ihn der heutige Bundespräsident und damalige SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier als Kandidaten für den Posten des Bundeswirtschaftsministers in sein Wahlkampfteam. Doch nach der Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans an die SPD-Spitze sah der frühere Mittelstandsbeauftragte der SPD seine Partei endgültig in ein »weltfremdes linkes Nirwana« abdriften – und zog für sich die Reißleine. Im Dezember 2019 gab er sein Parteibuch zurück und schloss sich wenige Monate später den Liberalen an. Für FDP-Chef Lindner ein Glücksfall. Denn Christ verfügt über enge Kontakte in alle politischen demokratischen Lager und gilt auch nach seinem Austritt aus der SPD nach wie vor als bestens verdrahtet mit Olaf Scholz. Kein schlechter Unterhändler also für eventuelle Koalitionsverhandlungen. Und im Fall einer Ampel vielleicht sogar der neue Wirtschaftsminister?

Harald Christ selbst wiegelt ab, überhaupt Ambitionen zu haben. Stets betont er, dass er seine neue Funktion in der FDP als rein ehrenamtliches Engagement sieht. Leisten kann er sich eine solche Haltung allemal. Seine materielle und persönliche Unabhängigkeit unterscheidet ihn von den klassischen politischen Karrieristen.  

Trotzdem: Die nötige Kompetenz für dieses Amt hätte Harald Christ: Außerhalb der Politik hat sich Christ einen Namen als erfolgreicher Manager und Unternehmer in der Finanz- und Vertriebswirtschaft gemacht. Vom Industriekaufmann arbeitete sich der gebürtige Wormser hoch bis in die Vorstandsetagen verschiedener Banken und des Versicherungskonzerns ERGO. Als Unternehmer beteiligte sich Christ erfolgreich an verschiedenen Gesellschaften und als Co-Investor an namhaften Beteiligungsgesellschaften im Bereich Logistik, Handel, Schifffahrt, Anlagebau, Immobilienwirtschaft, IT und Start-Ups.

Bis er sich wieder auf das besann, »was ich am besten kann, und was mir am meisten Spaß macht«, wie er sagt: Kommunizieren und Netzwerken, Menschen und Entscheidungsträger zusammenzubringen und Brücken zu bauen in die unterschiedlichsten politischen und gesellschaftlichen Lager. Am Berliner Kurfürstendamm eröffnete er seine eigene Kommunikations- und Beratungsagentur Christ&Company. Und wenn Christ heute zu seinen »Berliner Salons« in seine Altbauwohnung in Charlottenburg einlädt, kommen alle: vom Gewerkschafter bis zum Klimaschützer, vom Großinvestor bis zum Theaterintendanten und bekannten Journalisten. Sein Netzwerk gilt als einzigartig.

Privat ist der umtriebige Unternehmer eher im Stillen unterwegs. Die Liste für sein kulturelles und soziales Engagement liest sich bei Wikipedia indes um ein Vielfaches länger als die seiner unternehmerischen Aktivitäten. Im vergangenen Sommer hat er nach vielen Mandaten in Stiftungen inzwischen auch seine eigene Stiftung auf den Weg gebracht: die »Harald Christ Stiftung für Demokratie und Vielfalt«, die sich für Meinungs- und Pressefreiheit, Diversity und Chancengleichheit einsetzen will.

Dafür will Christ entsprechende Projekte ins Leben rufen, Preise verleihen sowie Nachwuchsjournalisten, Lehrstühle und Bildung fördern. Das Stiftungskapital von zunächst 100.000 Euro soll durch jährliche Zuwendungen in Höhe eines jeweils sechsstelligen Betrags wachsen. Zudem soll die neue Stiftung, die der kinderlose Christ seinen Eltern gewidmet hat, einmal sein gesamtes Vermögen erben.

Ein Beitrag der Redaktion