Eine Spritze Hoffnung

Armin Laschet
Konfusion im DIN A4-Format: Armin Laschet präsentiert den Ablaufplan für die Wiedereröffnung der deutschen Ladenlokale © imago / Poolfoto

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Richard Haimann

Nach schleppendem Start kommen die Impfungen gegen das Corona-Virus in Deutschland nun schnell voran. Im internationalen Vergleich rangiert die Bundesrepublik bei der Vakzinierung der Einwohner inzwischen auf Platz Neun und damit im Spitzenfeld. Zudem dürfte das jüngst verschärfte und vereinheitlichte Bundesinfektionsschutz­gesetz helfen, die dritte Krankheitswelle zu brechen. Während Einzelhändler aktuell noch schwer mit den Folgen des Lockdowns ringen, sind Börsianer optimistisch und investieren kräftig in Aktien von Shopping-Center-Eignern

Es geht aufwärts. Und zwar rasant. Bereits am 26. April haben bereits 19,49 Millionen Menschen in Deutschland eine erste Impfdosis gegen Covid-19 erhalten. Das sind 23,43 Prozent der Gesamtbevölkerung. 5,96 Millionen Bürger haben sogar schon die zweite Spritze bekommen und sind damit vollständig gegen die vom Sars-CoV-2-Virus ausgelöste Krankheit geschützt.

Anfang März hatte es noch so ausgesehen, als würde die Bundesrepublik bei der Corona-Impfung zu den Schlusslichtern in der Europäischen Union zählen. Inzwischen hat das Land einen kräftigen Sprung nach vorn gemacht. In der Spitze wurden im April bis zu 772.206 Menschen an einem Tag geimpft. Im internationalen Vergleich rangiert Deutschland bei der Vakzinierung der Bevölkerung, gemessen an verabreichten Impfdosen pro 1.000 Einwohner, nun prominent an neunter Stelle – und damit auf Platz Eins innerhalb der EU. Spitzenreiter im globalen Vergleich ist Israel, gefolgt von Chile, Bahrein und den USA, das zeigen aktuelle Zahlen der Analyseseite Our World in Data der britischen Universität Oxford. In Europa haben lediglich die beiden Nicht-EU-Mitglieder Großbritannien und Serbien anteilig mehr Bürger geimpft als die Bundesrepublik.

Rollläden rauf und Ladentüren öffnen

Zwar ringt Deutschland derzeit wie viele andere Nationen noch mit der dritten Welle der Pandemie. Zuletzt wurde das Bundesinfektionsschutzgesetz verschärft und nächtliche Ausgangssperren ab 22 Uhr für all jene Städte und Kreise verhängt, in denen die Inzidenz drei Tage hintereinander über dem Schwellenwert von 100 liegt – sich also mehr als 100 von 100.000 Einwohner binnen der vergangenen sieben Tage mit dem Virus infiziert haben. Zudem darf sich in diesen Regionen ein Haushalt nur noch mit einer anderen Person treffen.

Für den Einzelhandel bedeutet die neue Bundesbremse jedoch nicht, dass die Rollläden dann heruntergelassen werden müssen. Bis zu einer Inzidenz von 150 können die Geschäfte weiterhin Kunden empfangen, die negativ gegen Corona getestet sind. Liegt die Inzidenz über 150, können Kunden immer noch Waren telefonisch oder per Internet bestellen und sie an den Pforten der Läden abholen.

Die Bundesregierung verspricht, dass es beim Impfen bald noch schneller vorangehen wird. Im Mai würden so viele Dosen geliefert werden, dass im Laufe des Monats alle Angehörigen von Risikogruppen vakziniert seien, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel. »Spätestens im Juni wird die Impf-Priorisierung fallen.« Jeder, der wolle, könne sich dann impfen lassen.

Fallen Anfang Juni alle Einschränkungen?

Zudem sollen die neuen bundeseinheitlichen, strengeren Schutzmaßnahmen dafür sorgen, dass die dritte Covid-19-Welle rasch gebrochen wird. »Ausgangsbeschränkungen wirken«, sagt der Gesundheitsökonom, Epidemiologe und SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach. »Wir haben es in Großbritannien und Portugal gesehen.« In beiden Staaten sind die Infektionszahlen rapide eingebrochen, nachdem Kontaktbeschränkungen und nächtliche Ausgangssperren verhängt wurden. Heute sind die Infektionszahlen dort mit einer Inzidenz von unter 30 so niedrig, dass beide Nationen die Schutzmaßnahmen weitgehend zurückgenommen haben. Nicht nur Geschäfte, auch Restaurants und Bars sind wieder geöffnet. Wiederholt sich der Erfolg in Deutschland, dürften hier spätestens Anfang Juni ebenfalls die Einschränkungen fallen.

»Ausgangssperren haben eine starke Wirkung«, sagt auch Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher. Weil am Abend und in der Nacht niemand unterwegs sei, würden Infektionen im privaten Bereich verhindert. Die Hansestadt hat am 31. März eine ab 21 Uhr geltende Ausgangssperre verhängt. Seither ist die Inzidenz von 164 auf aktuell 115 gesunken.

Einzelhandel bangt um seine Existenz

Gleichwohl liegen durch den seit November anhaltenden Lockdown die Nerven bei Einzelhändlern und deren Vermietern blank. Das zeigt die aktuelle Trendumfrage von BBE und IPH bei Handelsunternehmen, Immobilieneigentümern, Mitarbeitern von Kommunen und Verbänden sowie Dienstleistern: 48 Prozent der Befragten sehen den Verlauf des Jahres negativ und sogar sehr negativ. Im August vergangenen Jahres waren nur 32 Prozent der Befragten derart pessimistisch. Selbst im vergangenen Dezember befürchteten nur 17 Prozent Verschlechterungen für das aktuelle Jahr. Derzeit sehen nicht einmal mehr zehn Prozent der befragten Einzelhändler eine Besserung der Lage.

Der Grund dafür sind die weiter gesunkenen Kundenfrequenzen. Im Dezember berichteten nur 70 Prozent der Umfrageteilnehmer von verringerten Kundenströmen in ihren Geschäften. Im April dieses Jahres beklagen dies 90 Prozent. Parallel dazu sind die Umsätze weiter geschrumpft: In diesem Frühjahr meldeten 82 Prozent der Händler ein Minus beim Warenabsatz. Im Dezember waren es lediglich 61 Prozent.   

Fast 60 Prozent der Einzelhändler fürchten Liquiditätsengpässe; beinahe die Hälfte aller mittelständischen Händler schließt den wirtschaftlichen Ruin nicht mehr aus. Für rund 20 Prozent der Befragten ist das persönliche Insolvenzrisiko seit Dezember weiter gestiegen.

Textil-Händler und Schuhanbieter hart betroffen

Allerdings trifft es nicht alle Branchen und Standorte gleichermaßen: So konnte beispielsweise der Fahrradhandel 2020 seinen Absatz um gut 50 Prozent steigern und gehört damit zu den wenigen Gewinnern in der Krise. Auch in diesem Jahr ist der Bedarf der Käufer an Zweirädern noch nicht gedeckt, sodass die Branche für 2021 mit einem Plus von 25 Prozent rechnet. Zuversichtlich sind auch die Buch- und Schreibwarenhändler. Sie hoffen, in diesem Jahr wieder zu den Umsätzen aus Vor-Corona-Zeiten zurückkehren zu können.

Härter haben andere Branchen zu kämpfen: Sowohl die stationären Mode- als auch die Schuhhändler stecken aufgrund der Konkurrenz der E-Commerce-Anbieter tief in der Krise. Sie ist durch die Pandemie nochmals beschleunigt worden. Bereits 2020 ging der Umsatz um mehr als 30 Prozent zurück. Für dieses Jahr erwarten die stationären Textilhändler Umsatzeinbußen von 40 Prozent gegenüber 2019. Die Schuhbranche prognostiziert ein Minus von erneuten 30 Prozent.

Börsenkurse für Shopping Center steigen wieder

Optimistischer sind Investoren. Die Aktie der Deutsche Euroshop, Eigentümer von 21 Einkaufszentren in Deutschland, Österreich, Polen, Tschechien und Ungarn, ist zu Beginn der Pandemie zwar stark eingebrochen. Im Verlauf der vergangenen zwölf Monate hat das Papier aber wieder 45 Prozent gewonnen. Auch die Börsenkurse anderer Besitzer von Konsumtempeln sind wieder im Aufwind. Die Aktie von Unibail-Rodamco-Westfield, Eigentümer von 92 Shopping Centern in Europa und Nordamerika, hat in den vergangenen drei Monaten mehr als 17 Prozent gewonnen. Der Börsenwert der Simon Property Group, mit 203 Centern größter Besitzer von Shopping Malls in den USA, ist in dieser Zeit um 22 Prozent gestiegen.

Die Börsianer wissen, wie stark der Drang der Konsumenten ist, endlich wieder in stationären Geschäften einkaufen zu können. Bestes Beispiel dafür ist die am 8. März erfolgte Wiedereröffnung des Herold-Centers der Deutsche Euroshop im schleswig-holsteinischen Norderstedt. Weil die Inzidenz im Land zwischen den Meeren damals unter 50 lag, hat die Landesregierung in Kiel den Geschäften an jenem Montag erlaubt, wieder Kunden empfangen zu können. In das Herold-Center strömten nicht nur Einwohner aus Schleswig-Holstein, sondern auch aus Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen.

Patrick Kiss, Head of Investor Relations der Deutsche Euroshop, war davon nicht überrascht: »Die Menschen sehnen sich nach dem Lockdown danach, wieder in einem Geschäft einzukaufen, Produkte in die Hand zu nehmen und Textilien anprobieren zu können.« Genau das habe sich zuvor schon in Österreich und Polen gezeigt, wo bereits im Februar die Läden wieder öffnen konnten. »In unserem Center in Danzig lagen die Besucherzahlen im Februar mehr als 60 Prozent über dem Vorjahresniveau, in Klagenfurt sogar um 100 Prozent«, sagt Kiss.

Investoren auf Einkaufstour

Inzwischen machen sich auch Profi-Immobilienkäufer wieder daran, Einkaufszentren und High-Street-Primeobjekte zu erwerben. Das zeigt eine Studie der Immobilienberatungsgesellschaft CBRE. Danach haben Investoren im ersten Quartal dieses Jahres für insgesamt 1,9 Milliarden Euro Einzelhandelsimmobilien in Deutschland erworben. 44 Prozent davon entfielen auf Fach- und Lebensmittelmärkte, die auch im Lockdown geöffnet blieben. »Mit einem Anteil von 32 Prozent befanden sich High-Street-Handelsimmobilien jedoch bereits auf Rang Zwei«, sagt Jan Dirk Poppinga, Co-Head Retail Investment bei CBRE. Auf Shopping Center entfielen 133 Millionen Euro – sieben Prozent der Gesamtinvestitionssumme. Investoren, so scheint es, sind optimistischer als manche Einzelhändler.

Ein Beitrag von
Richard Haimann,
freier Journalist