Europäischer Konsumenten-Spagat

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Weihnachtseinkäufe kann sich nicht jeder Europäer leisten © dglimages / stock.adobe.com

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Die Corona-Krise hat die Kaufkraft der Europäer sinken lassen. Im Durchschnitt konnten die Konsumenten in diesem Jahr rund 773 Euro weniger ausgeben als im Jahr zuvor. Während jedoch Liechtensteiner, Schweizer und Luxemburger mehr als der Durchschnittseuropäer zur Verfügung haben, müssen vor allem Osteuropäer mit deutlich weniger auskommen. In Polen liegt die Pro-Kopf-Kaufkraft beispielsweise fast 50 Prozent unter dem europäischen Durchschnitt

Im Jahr 2020 haben Europäer eine durchschnittliche Pro-Kopf-Kaufkraft von 13.894 Euro. Dabei gibt es jedoch deutliche Unterschiede zwischen den 42 untersuchten Ländern: In Liechtenstein, der Schweiz und Luxemburg ist das verfügbare Nettoeinkommen am höchsten, während es im Kosovo, in Moldawien und der Ukraine am niedrigsten ist. So haben die Liechtensteiner mehr als das 37-fache der Durchschnittskaufkraft der Ukrainer. Das zeigt die aktuelle Studie »GfK Kaufkraft Europa 2020«, die mit dem Corona Impact Index auch den Einfluss von Covid-19 auf die europäischen Länder abbildet. Für das Jahr 2020 hatten die Europäer knapp 9,5 Billionen Euro zur Verfügung. Pro Kopf entspricht das einer durchschnittlichen Kaufkraft von 13.894 Euro. Damit verzeichnet die Pro-Kopf-Kaufkraft 2020 einen Rückgang von nominal knapp 5,3 Prozent im Vergleich zum revidierten Vorjahreswert, was vor allem auf die Ausbreitung von Covid-19 und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Wirtschaft zurückzuführen ist. Wie viel Verbraucher für Essen, Wohnen, Dienstleistungen, Energiekosten, private Altersvorsorge, Versicherungen, Urlaub, Mobilität oder auch Konsumwünsche zur Verfügung haben, unterscheidet sich von Land zu Land sehr.

Irland schlägt Finnland

Wie im Vorjahr belegt Liechtenstein mit Abstand den ersten Rang unter den 42 europäischen Ländern. Dort beträgt die Pro-Kopf-Kaufkraft 64.240 Euro. Damit liegt Liechtenstein mehr als das 4,6-fache über dem europäischen Durchschnitt. Ebenfalls unter den Top 3 des Kaufkraftrankings befinden sich wie im Vorjahr die Schweiz und Luxemburg. Während den Schweizern 41.998 Euro pro Kopf und damit mehr als das 3-fache im Vergleich zum europäischen Durchschnitt für Ausgaben zur Verfügung stehen, haben die Luxemburger eine Pro-Kopf-Kaufkraft von 34.119 Euro. Damit liegen sie mehr als das 2,5-fache über dem europäischen Durchschnitt.

Island und Norwegen leiden unter Währungsabwertung

Auch alle anderen Länder in den Top 10 weisen eine überdurchschnittliche Pro-Kopf-Kaufkraft auf, die mindestens 50 Prozent über dem europäischen Durchschnitt liegt. Neu in den Top 10 des Kaufkraftrankings ist in diesem Jahr Irland, das mit 21.030 Euro pro Kopf den neunten Platz belegt und damit Finnland aus den Top 10 verdrängt. Während insgesamt 16 Länder über dem europäischen Durchschnitt liegen, schneiden 26 der untersuchten Länder in Bezug auf die Pro-Kopf-Kaufkraft unterdurchschnittlich ab. Schlusslicht des Gesamt-Rankings bildet die Ukraine. Dort haben die Menschen 1.703 Euro pro Kopf zur Verfügung. Markus Frank, Experte im Bereich Geomarketing der GfK: »Gerade in Zeiten von Corona ist es für Unternehmen wichtig zu wissen, wo die Kaufkraft und damit das regionale Potenzial am höchsten ist, um die Ressourcen möglichst effektiv einsetzen zu können. Mit der Kaufkraft als bedeutendem Gradmesser für die Wirtschaftskraft einer Region erhalten Unternehmen eine Entscheidungsgrundlage rund um ihre Vertriebssteuerung, ihr Marketing sowie ihre Standortplanung und -bewertung.«

Mit dem Corona Impact Index hat GfK außerdem berechnet, wie sehr die jeweiligen Länder im europäischen Vergleich unter den Auswirkungen von Covid-19 gelitten haben. In den Kaufkraft-Top 10 weisen Liechtenstein und die Schweiz europaweit das höchste verfügbare Nettoeinkommen pro Kopf auf. Sie sind auch die beiden Länder, die am wenigsten unter der Krise gelitten haben. Liechtenstein liegt hier rund 85 Prozent unter dem europäischen Durchschnitt, während die Schweiz etwa 74 Prozent weniger als der europäische Durchschnitt von der Corona-Krise getroffen wurde. Island und Norwegen, die die Ränge 4 und 5 im Kaufkraftranking belegen, schneiden beim Corona Impact Index jedoch weniger positiv ab: Mit mehr als 58 beziehungsweise 63 Prozent über dem europäischen Durchschnitt wurden beide Länder recht hart von der Corona-Krise getroffen, was unter anderem auf eine durch die Pandemie bedingte Abwertung der nationalen Währungen gegenüber dem Euro zurückzuführen ist. Das Schlusslicht unter allen 42 betrachteten Ländern ist die Türkei. Dort liegt der Corona Impact mehr als das 2,8-fache über dem europäischen Durchschnitt.

Italien: Starker Norden, schwacher Süden

Im Folgenden wird die Kaufkraftverteilung in Italien, Spanien, Polen und Ungarn genauer betrachtet. Diese Länder bieten aufschlussreiche Einblicke in die regionale Verteilung des Ausgabepotenzials innerhalb der jeweiligen Länder.  

In Italien beträgt die durchschnittliche Pro-Kopf-Kaufkraft 16.439 Euro. Damit liegen die Italiener etwas mehr als 18 Prozent über dem europäischen Durchschnitt und belegen Rang 16 der 42 untersuchten Länder. Bei der Kaufkraftverteilung in Italien gibt es ein deutliches Nord-Süd-Gefälle zwischen dem wohlhabenden Norden und dem ärmeren Süden. So liegen alle Provinzen in den Top 10 im Norden Italiens. Weiterhin auf Rang 1 ist die Provinz Milano. Rund um die Modemetropole Mailand beträgt die Pro-Kopf-Kaufkraft 23.507 Euro, womit diese 43 Prozent über dem Landesdurchschnitt und etwas mehr als 69 Prozent über dem europäischen Durchschnitt liegt. Neu in den Top 10 ist die Provinz Firenze, die den zehnten Platz belegt und damit die Provinz Valle d'Aosta/Vallee d'Aoste aus den Top 10 drängt. Außerdem tauschen die Provinzen Monza e della Brianza und Genova die Ränge 5 und 8. Umgekehrt sind die zehn an Kaufkraft schwächsten Provinzen alle im südlichen Teil Italiens zu finden. Das Schlusslicht bildet dabei Crotone, das ganz im Süden des Landes liegt. Dort stehen der Bevölkerung 9.119 Euro pro Kopf zur Verfügung – das sind rund 45 Prozent weniger als der Landesdurchschnitt und circa 34 Prozent weniger als der europäische Durchschnitt.

Spanien: Allein im europäischen Mittelfeld

Die Spanier haben 2020 eine Pro-Kopf-Kaufkraft von 13.613 Euro und liegen mit nur 2 Prozent unter dem europäischen Durchschnitt. Kein anderes europäisches Land kommt an diesen Wert heran – Italien liegt mehr als 18 Prozent über dem europäischen Durchschnitt, während Slowenien knapp 15 Prozent darunter liegt. Damit befindet sich Spanien allein im europäischen Mittelfeld. Im Ranking der spanischen Provinzen belegt Araba/Alava, die südlichste der drei Provinzen der autonomen Gemeinschaft Baskenland, weiterhin den ersten Platz. Dort stehen den Einwohnern 17.620 Euro pro Kopf für ihre Konsumausgaben zur Verfügung, womit sie mehr als 29 Prozent über dem Landesdurchschnitt liegen. Allerdings gibt es auch einige Veränderungen in den diesjährigen Top 10. So tauschen Bizkaia und Barcelona die Ränge 4 und 5. Neu in den Top 10 sind in diesem Jahr die Provinzen Zaragoza, Burgos und Asturias auf den Rängen 7 bis 9. Sie nehmen damit die Plätze der letztjährigen Top 10-Provinzen Tarragona, Lleida und Girona ein. Die kaufkraftschwächsten Provinzen befinden sich alle im Südwesten des Landes. Während der letzte Platz des Provinzrankings in den Vorjahren immer von Cadiz belegt wurde, konnte sich die andalusische Provinz in diesem Jahr auf den vorletzten Platz schieben. Schlusslicht des diesjährigen Rankings ist Spaniens größte Provinz Badajoz mit einer Pro-Kopf-Kaufkraft von 9.975 Euro. Den Einwohnern von Badajoz stehen damit knapp 27 Prozent weniger als dem Landesdurchschnitt für Ausgaben zur Verfügung.

Polen: Starker Kontrast zwischen arm und reich

Die durchschnittliche Pro-Kopf-Kaufkraft in Polen beläuft sich 2020 auf rund 7.143 Euro, womit das Land knapp 49 Prozent unter dem europäischen Durchschnitt liegt. Damit belegt Polen Rang 28 innerhalb Europas. Ein Blick auf die Kaufkraftverteilung über die 380 Kreise zeigt, dass der Kontrast zwischen arm und reich in Polen besonders hoch ist. Lediglich 17 Kreise weisen eine Pro-Kopf-Kaufkraft auf, die mindestens 20 Prozent über dem Landesdurchschnitt liegt. Demgegenüber stehen 106 Kreise, die mindestens 20 Prozent darunter liegen. Mit einem verfügbaren Nettoeinkommen von 12.120 Euro pro Kopf belegt der Hauptstadtkreis Warszawa den ersten Platz. Den Einwohnern des Hauptstadtkreises stehen knapp 70 Prozent mehr Geld für Konsumausgaben und zum Sparen zur Verfügung als dem Landesdurchschnitt. Am anderen Ende des Kreisrankings steht Szydlowiecki. Hier beträgt die Pro-Kopf-Kaufkraft nur 4.721 Euro. Dies entspricht knapp 66 Prozent des polnischen und 34 Prozent des europäischen Durchschnitts. Damit stehen den Einwohnern Warschaus fast das 2,6-fache des Geldes zur Verfügung, das die Menschen im kaufkraftschwächsten Kreis Szydlowiecki haben. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich auf den vorderen Plätzen des Kaufkraftrankings nach Kreisen eher wenig getan: So tauschen die beiden Kreise Krakow und Bielsko-Biala die Ränge 8 und 9. Neu in den Top 10 ist Gliwice, das mit einer Pro-Kopf-Kaufkraft von 9.111 Euro den zehnten Platz einnimmt und damit den Kreis Tychi aus den Top 10 verdrängt.

Ungarn: Höchste Kaufkraft rund um Budapest

In Ungarn beträgt die durchschnittliche Pro-Kopf-Kaufkraft 6.871 Euro, was etwas weniger als der Hälfte der durchschnittlichen Kaufkraft in Europa entspricht. Damit belegt Ungarn im Ländervergleich Rang 30. Betrachtet man die 20 Komitate Ungarns, so stellt man fest, dass die kaufkraftstärksten Gebiete ihre Platzierung im Ranking verteidigen konnten. Mit Vorsprung auf Rang 1 liegt weiterhin das Hauptstadtkomitat Budapest. Mit 8.627 Euro pro Kopf liegen die Einwohner Budapests knapp 26 Prozent über dem Landesdurchschnitt, gleichzeitig aber auch fast 38 Prozent unter dem Europa-Durchschnitt. Insgesamt haben 5 der 20 Komitate eine überdurchschnittliche Kaufkraft. Sie befinden sich alle geografisch in und um die Hauptstadt Budapest herum und Richtung der österreichischen Grenze. Drei Viertel der ungarischen Komitate haben hingegen eine unterdurchschnittliche Kaufkraft. Den letzten Platz belegt dabei Szabolcs-Szatmar-Bereg. Dort verfügen die Menschen über eine Pro-Kopf-Kaufkraft von 5.392 Euro, was weniger als 79 Prozent des Landesdurchschnitts und rund 39 Prozent des europäischen Durchschnitts entspricht.

Ein Beitrag der Redaktion