Ex-Warenhaus als Meeting-Point

Interview
Restart
Susanne Müller
Damals war das Projekt noch Zukunftsmusik. Die erste Kommunal-Konferenz des GCSP 2023 fand seinerzeit in Hanau statt – mit einer ersten Vision, die prominente Kaufhof-Immobilie zukünftig für die Stadtgesellschaft zu nutzen. Kurz vor Veröffentlichung unseres Magazins hat der Stadthof Hanau frisch eröffnet, ein bundesweit beachtetes Konzept zur Umnutzung maroder Kaufhaus-Immobilien und Synonym für Restart.
Was die Hanauer Entwickler aus dem Hut gezaubert haben, lohnt einen tieferen Blick. Neben spannenden Handelskonzepten dient der Place als Begegnungsstätte und als Ort der Kultur und Bildung, zum Beispiel mit der Brüder Grimm Berufsakademie. Im Erdgeschoss sind rund 20 innovative Store-Konzepte angesiedelt, von hippen Hundeprodukten über Street- und Instagram-Ware bis hin zu K-Pop-Merche. Oberbürgermeister Claus Kaminsky und Stadtentwickler Martin Bieberle gewähren Einsichten in ein findiges Modell, das ein Zuhause für innovative Geschäftsideen darstellt – frei nach dem Motto „Erlebnishandel“ – oder wie sie in Hanau sagen: Handel 2.0.
Was hat die Stadt Hanau bewogen, die Revitalisierung selbst in die Hand zu nehmen?
Kaminsky: Abzuwarten und tatenlos zuzusehen, was mit der ehemaligen Kaufhof-Immobilie geschieht, war für uns keine Option. Jedes Jahr, welches wir hätten verstreichen lassen, ohne dass sich das Haus entwickelt, hätte eine furchtbare Botschaft ausgesendet. Davon wäre das umliegende Quartier, aber auch der erweiterte Innenstadtbereich empfindlich betroffen gewesen. Schon dieses eine Jahr, in dem das Gebäude geschlossen war und wir es neu entwickelt haben, hat bei den umliegenden Händlern merkliche Frequenz- und Umsatzeinbußen verursacht. Wir konnten es uns also schlichtweg nicht leisten, die Immobilie nicht zu kaufen. Das oberste Ziel war, dieses in so zentraler Lage stehende Gebäude so schnell wie möglich wieder zu aktivieren – und zwar in Eigenregie. Nur so können wir gewährleisten, dass wir die Erfüllung unserer Ziele im Bereich der Innenstadtentwicklung weiter in den eigenen Händen halten. Denn: Innenstädte befinden sich im Schicksalsjahrzehnt. Es geht um nichts weniger als die Zukunft unserer Stadt, und die gestalten wir mit dem Stadthof-Gebäude als weiterem Frequenzbringer selbst.
Hatten Sie Anfragen seitens anderer betroffener Städte?
Kaminsky: Jede Stadt hat ihre eigenen Herausforderungen und Möglichkeiten, die vor Ort von den jeweiligen Expertinnen und Spezialisten bewertet werden. Es gibt in keinem Rathaus den Aktenordner, auf dem steht: So entkommen wir erfolgreich dem Schicksalsjahrzehnt der Innenstadt. Gut ist, dass wir bundesweit einen regen Austausch mit anderen Kommunen pflegen, es waren bereits viele städtische Vertreterinnen und Vertreter in Hanau, und wir sind ebenfalls viel unterwegs, um zu lernen. Austausch macht uns alle klüger. In Hanau haben wir immer wieder die Erfahrung gemacht, dass sich der Mut, das eigene Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und auch mal neue Wege zu beschreiten, auszahlt. Dabei gehen wir tempohart, seriös und rechtssicher vor, denn dies ist unsere Verpflichtung den Bürgerinnen und Bürger gegenüber.
Bieberle: Eine Grundvoraussetzung für unseren Erfolg in den bisherigen Projekten ist mit Sicherheit auch, dass wir als Stadt mit großer Geschlossenheit an die Aufgaben herangehen, wie die einstimmigen Beschlüsse des Stadtparlaments zum Erwerb der Kaufhof-Immobilie beweisen. Wir erreichen diese Geschlossenheit mit guter Kommunikation nach innen und außen, viel Transparenz, einem andauernden Bürgerdialog und natürlich vorausgehender intensiver Vorbereitung und Planung der Projekte.
Welche Maßnahmen haben Sie vorgenommen, um das Gebäude zeitgemäß umzurüsten, und wie hoch waren die Investitionen?
Bieberle: Die Maßnahmen waren und bleiben hochkomplex und vielfältig. Angefangen bei Fragen der energetischen Erneuerung, der Gestaltung der Außenfassaden, dem Umbau des Erdgeschosses bis hin zu Fragen des Denkmalschutzes stellen wir uns auch weiterhin einer Fülle an Herausforderungen, die wir aber mit gutem Plan und viel Freude angehen. Dass dabei jeden Tag neue Herausforderungen auftauchen, ist bei einem Gebäude dieser Größe und diesem Alter nicht verwunderlich. Wir rechnen mit Investitionskosten von 40 Millionen Euro, die zum Kaufpreis von 25 Millionen Euro hinzukommen. Die Bedeutung der Innenstädte ist auch bei Bund und Land erkannt, und es wurden Fördermittel zur Verfügung gestellt. Aus dem Förderprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ des Bundes haben wir 1,25 Millionen Euro für das „Projekt Kaufhof“ erhalten. Weitere 625.000 Euro aus dem Sondertopf „Zukunft Innenstadt“ des Landes Hessens.
Kaminsky: Diese Unterstützungen sind richtig und wichtig, denn die Kommunen allein werden die Transformation der Innenstädte nicht stemmen können. Die Investition wird sich lohnen, denn wir wollen mit der Sanierung ein Gebäude schaffen, das sich in den nächsten 50, vielleicht 100 Jahren auch kurzfristig auf sich stetig verändernde Bedarfe anpassen lässt. Auch die umgekehrte Betrachtungsweise lohnt: Der wirtschaftliche Schaden eines durch Leerstands ausgelösten Abwärtstrends in der Innenstadt wäre langfristig sicherlich größer gewesen.
Wo liegt der Mehrwert für Hanau?
Bieberle: Die Innenstadt ist ein Stück europäisches Kulturgut. Wegen ihr leben und arbeiten Menschen in Hanau. Wir haben in den letzten Jahren erhebliche Mühen und auch Kosten auf uns genommen, um unsere Innenstadt lebendig zu halten, sie weiterzuentwickeln und lebenswert zu halten. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit unserem Programm Hanau aufLADEN gemacht, bei dem wir Privatmenschen bei der Geschäftseröffnung unterstützen. Über das Vorkaufsrecht haben wir Schlüsselimmobilien erworben und können so selbst aktiv unsere Innenstadt entwickeln. Solche Projekte werden in Hanau unabhängig von der Parteizugehörigkeit gemeinschaftlich diskutiert und entschieden. In dieser Tradition steht auch der Stadthof. Wir wollen eine attraktive Innenstadt. Der Stadthof, mit seinem vielfältigen Angebot, seiner Gestaltung und seinem Konzept, wird eine große Strahlkraft über unsere Stadtgrenzen hinaus entfalten. Davon profitieren unser Handel, unsere Gastronomie und schlussendlich die gesamte Stadtgesellschaft.
Auf welche Schwierigkeiten sind Sie bautechnisch und finanziell gestoßen?
Bieberle: Das Thema Denkmalschutz begleitet uns mit Blick auf das Einzelkulturdenkmal und den Ensembleschutz bei der Entwicklung des Gebäudes tagtäglich, insbesondere in Sachen Fassade. Wir befinden uns ständig im konstruktiven Dialog mit der Unteren Denkmalschutz-Behörde und dem Landesdenkmalamt, um die Auflagen verifizieren zu lassen. Unabhängig von den rechtlichen Anforderungen bewerten wir die Immobilie selbstverständlich auch als zeitgeschichtliches Gebäude. Die Anforderungen des Denkmalschutzes sehen wir daher also nicht als Einschränkung. Ganz operativ müssen wir uns mit Themen wie der Elektrik im Haus oder der energetischen Sanierung auseinandersetzen. Teilweise mussten wir geplante Ausgaben und Arbeiten vorziehen, um schneller voranzukommen. Doch insgesamt bleiben wir in unserer Budgetlinie von 40 Millionen Euro Investitionskosten.
Wie sieht das Vermietungskonzept – auch langfristig – aus?
Bieberle: Grundlage des Konzepts ist, dass wir im Erdgeschoss Handel neu denken wollen. Wir wollten den Handel 2.0 etablieren und haben dafür Partner gesucht, die sich diesem Gedanken anschließen wollten. Es war großartig zu beobachten, wie positiv die Idee des Stadthofs angenommen wurde. In den mehr als 300 Gesprächen, die wir mit potenziellen Partnern geführt haben, kam immer wieder heraus, wie innovativ und zukunftsorientiert das Projekt ist. Schon weit vor der Eröffnung hatten wir alle zur Verfügung stehenden Ladenflächen vermietet. Die Vermietungszeiten liegen zwischen einigen Monaten und mehreren Jahren. Die Mietkosten sind teilweise umsatzbeteiligt, teilweise fix. Diese Flexibilität macht den Stadthof für viele Händlerinnen und Händler, Gastronomen und Gastronominnen attraktiv. Sie können sich hier ausprobieren, Marktreife testen oder ihre Geschäftsidee aus dem digitalen Online-Markt in eine reale Ladenfläche bringen. Die erste Mieterin im Stadthof war die Brüder Grimm Berufsakademie Hanau, die zunächst das dritte Obergeschoss bezogen hat, perspektivisch wird sie in das zweite Obergeschoss ziehen. Dieses wird als erstes grundsaniert. Im ersten Obergeschoss wird zeitnah eine publikums- und reichweitenstarke Ausstellung Quartier beziehen und dem Stadthof zusätzliche Aufmerksamkeit und Frequenz bringen. Für das Untergeschoss sehen die aktuellen Pläne vor, die Themen Eltern-Kind, Sport und Unterhaltung zu platzieren.
Kaminsky: Übergeordnet gilt, dass der Kaufhof in Zukunft mit einer Mischung aus privaten und öffentlichen Nutzungen eine wesentliche Funktion im Sinne der Innenstadtbelebung erfüllen und mit seiner kompletten Transformationsfähigkeit auch für zukünftige Generationen ein Stück Stadt abbilden wird.
Sie haben das Konzept „Stadtgewächse“ integriert. Was steckt dahinter?
Bieberle: Die Stadtgewächse sind eine ganz besondere Hanauer Spezialität. Wir haben uns gefragt, wie wir möglichst niederschwellig und einfach Neuansiedelung nach Hanau bringen können. Im ehemaligen Service-Center Hanau aufLADEN haben wir dafür eine 100 Quadratmeter große Fläche zur Verfügung gestellt, auf der kleine und noch unbekannte Marken, Manufakturen sowie Menschen, die bisher ausschließlich im Onlinehandel tätig waren, ihre Waren und Dienstleistungen, bisher unbekannte oder für Hanau neue Produkte präsentieren. Im Grunde wie eine Miniatur-Messe für mögliche Geschäftsgründungen. Das Angebot wechselte dabei immer wieder, sodass es auch ständig etwas Neues zu entdecken gab. Der Clou dabei: Die Betreuung und Beratung der Kunden übernahm unser geschultes Fachpersonal. Und das Konzept hat Früchte getragen. Viele Produkte haben ihren Weg in den stationären Einzelhandel gefunden. Mit Vidar Sport betreibt nun ein ehemaliger Sämling seinen eigenen Laden im Stadthof. Da dieses Konzept so gut funktioniert hat, wollen wir es natürlich weiterführen und bieten nun im Stadthof eine Fläche für unser „Gewächshaus der Ladenkonzepte“.
Wie hat die Stadtgemeinschaft reagiert, welches Feedback gibt es seitens der Bürger?
Kaminsky: Uns war von Beginn an wichtig, die Stadtgemeinschaft in Gänze zu informieren, zu beteiligen und mitwirken zu lassen. So wurde ein Stadthof-Beirat gegründet, der in regelmäßigen Sitzungen über die Fortschritte des Projekts informiert wurde, dessen Meinungen und Ansichten berücksichtigt wurden und der der Projektleitung als Sparring Partner für Ideen und Konzepte diente. Der Name Stadthof Hanau wurde über eine große Bürgerbeteiligung gefunden, bei der mehr als .300 Menschen mitgemacht haben. Im Mai des vergangenen Jahres wurden bei einem großen Bürgerwochenende die Türen des Gebäudes aufgemacht, es gab Informationsveranstaltungen und Führungen durch das Gebäude, bei denen die Konzepte und Ideen mehr als 4500 Menschen vorgestellt wurden. In allen Schritten waren wir transparent und offen in der Kommunikation. Die Resonanz dabei ist durchweg positiv. Erfreulicherweise gab es auch viel konstruktive Kritik und jede Menge Ideen, die uns erreicht haben. Dies zeigt, dass der Stadthof für die Menschen ein großes Thema ist, das sie begeistert.
Susanne Müller