Frühjahrsgutachten 2021

ZIA Frühjahrsgutachten 2021
ZIA Frühjahrsgutachten 2021 © ZIA / Sandis Helvigs – unsplash.com

Handel und Immobilien
Fair Future

Fritz Ramisch

Einmal jährlich veröffentlicht der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) das Frühjahrsgutachten der Immobilienwirtschaft. In der umfangreichen Analyse zur Lage auf dem Immobilienmarkt in Deutschland wirft der »Rat der Immobilienweisen« auch einen detaillierten Blick auf die Entwicklung der Innenstädte und Handelsimmobilien. Bei aller Sorge um die Zukunft des Einzelhandels, gibt es auch Hoffnung 

Einerseits hat der stationäre Einzelhandel mit Ausnahme der Händler des täglichen Bedarfs durch coronabedingte Schließungen existenzgefährdende Umsatzeinbußen hinnehmen müssen. Andererseits rechnen die Immobilienweisen mit einem raschen Anstieg des Konsumklimas und einer Wiederbelebung der Innenstädte - vorausgesetzt das Impftempo bleibt hoch, Schutzkonzepte und neue Nutzungskonzepte wirken.

Boomender Online-Handel verzerrt das Gesamtbild

Dabei ist der Blick auf die Handelszahlen trügerisch. Denn auf den ersten Blick geht’s dem Handel trotz Corona blendend: Denn im abgelaufenen Jahr haben sowohl stationärer als auch Online-Handel trotz pandemiebedingter Einschränkungen mehr Umsatz erwirtschaftet als im corona-freien Jahr 2019. Der Einzelhandel hat mit einem Gesamtumsatz von 577,4 Milliarden Euro gegenüber 2019 um 5,7 Prozent zugelegt. Wachstumstreiber war aber vor allem der Online-Handel. Der Online-Umsatz wuchs deutlich über dem Niveau der Vorjahre (die durchschnittliche Wachstumsrate der Vorjahre lag bei 13,5 Prozent) um satte 24,1 Prozent. Doch auch der stationäre Einzelhandel legte im zurückliegenden Jahr um 3,9 Prozent zu.

Konsumausgaben gehen deutlich zurück

Eine genaue Analyse der Zahlen zeigt aber, dass insbesondere Vollsortimenter und Lebensmittelhändler profitiert haben, während der Modeeinzelhändler (-23,4 Prozent) und Kauf- und Warenhäuser (-12,8 Prozent) massiv unter den Corona-Schließungen gelitten haben. Dank Homeoffice, Kurzarbeit und Reisebeschränkungen haben die Menschen so viel Zeit wie nie zu Hause verbracht und hatten kaum Gelegenheit zum Geldausgeben, was sich auch deutlich in den privaten Konsumausgaben bemerkbar macht. Die sind 2020 erstmals seit Jahren wieder deutlich um 5,5 Prozent zurückgegangen. Das entspricht immerhin 1.200 Euro pro Kopf, die sich vor allem auf Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen (-34 % gegenüber 2019), Ausgaben für Freizeit und Kultur (-15,7 %) sowie Bekleidung (-14,7 %) aufteilen. Das gesamte Konsumklima erlitt während der Corona-Pandemie einen historischen Einbruch.

Mode-Einzelhandel und Warenhäuser sind die großen Krisenverlierer

Bau- und Fachmärkte sowie Elektronik- und Möbelhändler (vor allem online) profitierten dagegen von der staatsverordneten Heimeligkeit der Deutschen. Doch besonders der häufig klein- und mittelständisch geprägte Modehandel mit Textilien und Schuhen gehört zu den großen Krisenverlierern und könnte vielerorts für leere Ladenlokale sorgen. So brach der Umsatz für Modehändler im zweiten Lockdown im Januar 2021 im Vergleich zum Vorjahresmonat um 79 Prozent ein, Warenhäuser verloren 43 Prozent. Im April 2020 lagen die Einbußen ähnlich hoch bei 75 Prozent beziehungsweise 45 Prozent. Eine Erholung scheint nicht in Sicht zu sein, denn selbst in den Sommermonaten 2020, in denen die Infektionszahlen deutlich zurückgegangen sind und die Menschen ohne Testpflicht einkaufen konnten, blieben die Umsätze unter Vorjahresniveau. Die Zahl der Handelsinsolvenzen war trotz Aussetzung der Insolvenzpflicht und Corona-Hilfen 2020 mit 3.300 im vergangenen Jahr annähernd so hoch wie im Jahr 2019.

Handelsimmobilienwirtschaft bleibt (noch) relativ stabil

Der Handelsverband HDE befürchtet nach Wiedereinführung der Insolvenzpflicht eine Pleitewelle im Einzelhandel, die sich durch Ladenschließungen zwangsläufig auch auf die Immobilienwirtschaft auswirken dürfte und das Bild der Innenstädte weitreichend verändert. Die Immobilienwirtschaft kam bisher mit einem blauen Auge davon. So blieb der Investmentmarkt für Einzelhandelsimmobilien weitgehend stabil, auch weil sich Branchentrends hier erst verzögert abbilden. Investitionen in Handelsimmobilien zogen entgegen dem Trend im Einzelhandel sogar deutlich um 21 Prozent an. Doch auch hier wird sichtbar: Supermärkte, Lebensmittelhandel und Fachmärkte lagen hoch im Kurs während innerstädtische Geschäftshäuser, Kauf- und Warenhäuser oder Shopping Center allenfalls stabil blieben. Negative Auswirkungen auf die Renditen von Handelsimmobilien sind noch kaum festzustellen. Etwas überraschend stieg die Rendite von Shopping Centern in 1A-Lagen deutlich um 1 Prozentpunkt auf 5 Prozent, die für Einkaufscenter in B-Standorten ebenso stark auf 6 Prozent. Doch der steigende Leerstand führt zu Mietanpassungen, flexibleren Laufzeiten und erfordert neue Konzepte.

Strukturwandel in den Innenstädten erwartet

Sinkende Mieten können aber auch dazu führen, dass sich neue Mieter ansiedeln. Klassische Lagekategorien sind nach Ansicht der Autoren zunehmend überholt. Künftig würden noch stärker als ohnehin schon neben der Lage und Faktoren wie Erreichbarkeit Koppeleffekte wie eine nutzungsübergreifende Angebotsvielfalt entscheidend sein und über die Attraktivität von Standorten entscheiden. Um die zu erhöhen, sind auch Politik und die Bevölkerung gefragt.

Shopping Center erfinden sich neu

Shopping Center sind hier besonders kreativ und entwickeln zunehmend spannende Mischkonzepte mit Büroflächen und urbanen Health-, Freizeit- und Entertainment-Angeboten. So wird aus dem etwas überholten Konzept des reinen Einkaufstempels ein urbaner Anziehungspunkt. Das ist insofern auch nötig, als dass rund 40 Prozent der Center inzwischen einen Leerstandsanteil von mehr als 5 Prozent ihrer Mietflächen haben. Rund ein Viertel der Center befürchtet, nie wieder das Vorkrisen-Mietniveau zu erreichen.

Spitzenmieten sinken fast überall

Perspektivisch rechnen die Autoren des Frühjahrsgutachtens aber mit sinkenden Renditen und einer Zunahme des Leerstandes in Innenstädten. Die Tendenz geht auch bei den Spitzenmieten nach unten – selbst im noblen München. Bei Betrachtung der Top-Einzelhandelsstädte sind zum Teil deutliche regionale Unterschiede festzustellen. Während das Mietniveau in Frankfurt als bedeutender internationaler Finanz-Handelsplatz weitgehend stabil bleibt, verliert die Hamburger Innenstadt durch größere Schließungen an Strahlkraft. Selbst in München (Platz 1 im Einzelhandelsumsatz-Index) sinken die Mietpreise für die Top-Handelsadressen, obwohl die bayerische Landeshauptstadt mit hohen Kaufpreis-Indikatoren und stabile Renditen weiter ein teures Pflaster bleibt. Am teuersten sind High-Class-Handelsimmobilien übrigens nicht in München, sondern in Berlin. Kleine Handelsflächen sind in der Bundeshauptstadt im vergangenen Jahr nach kurzzeitigem Anstieg wieder günstiger geworden.

Massiver Einbruch des Passantenaufkommens in beliebten Innenstädten

Ein Blick auf die Passantenaufkommen der einzelnen Städte zeigt den massiven Corona-Einbruch deutlich. Der Wegbruch nahezu des gesamten Tourismus macht sich besonders in touristisch hochfrequentierten Lagen massiv bemerkbar: Top-Lagen wie der Berliner Kurfürstendamm / Südseite - Ost (- 58,5 %), die Neuhauser Straße in München (-48,2 %) oder die Schildergasse in Köln (-35,4 %) hatten einen massiven Rückgang an Laufkundschaft zu verkraften.

Logistikimmobilien sind Krisengewinner

Während Handelsimmobilien vor sich hindümpeln, gehören Logistikimmobilien zu den Krisengewinnern. Weil die Corona-Krise wie ein Katalysator für den Online-Handel gewirkt hat, haben viele Händler massiv in den Ausbau ihrer Logistik investiert. Das hat zu einem regelrechten Run auf Logistikimmobilien geführt. So erreichte das Transaktionsvolumen von Logistikimmobilien auf dem Investitionsmarkt mit 7,1 Milliarden Euro (+ 2 Milliarden Euro gegenüber 2019) einen neuen Höchststand. Für Investoren entwickeln sich Logistikimmobilien durch wachsende Marktanteile des Online-Handels, steigende Mieten und Nachfrage zum beliebten und weniger riskanten Anlageobjekt.


Ein Gastbeitrag von
Fritz Ramisch,
berlinbuzz.org