Generell ist eine Insel wie Sylt prädestiniert, sich nachhaltig aufzustellen

Nikolas Häckel
Nikolas Häckel, Bürgermeister von Sylt

Interview
Konsum

Susanne Osadnik

Nikolas Häckel, Bürgermeister von Sylt, über die Begrenzung der Gästebettenzahl, den Wunsch der Insulaner nach mehr Ruhe und darüber, wie man das Autofahren auf der Insel möglichst unattraktiv machen kann

Herr Häckel, Sie sind in diesem Jahr als Bürgermeister von Sylt wiedergewählt worden. Ist das Ergebnis auch eine Bestätigung Ihrer Corona-Politik gewesen?
Nikolas Häckel: Ich denke, meine Wiederwahl ist auf eine Reihe unterschiedlicher Faktoren zurückzuführen. Zum einen ist es vermutlich die Bilanz nach sechs Jahren im Amt, in denen sich die Sylter ein umfassendes Bild meiner Person und meiner Arbeit machen konnten. Zum anderen ist es sicher auch mein Verhalten während der Pandemie, in der ich auf Appelle an die Bevölkerung, aber auch auf Kontrolle durch das Ordnungsamt gesetzt habe. Was für die Sylter galt, galt zudem erst recht für ihren Bürgermeister. Deshalb habe ich beispielsweise auch in meinem Wahlkampf auf Auftritte in der Öffentlichkeit verzichtet, um große Menschenansammlungen zu vermeiden. Keine Marktplätze, keine Fußgängerzone, keine Einzelgespräche. Dafür mehr Kontakt über das Internet. Das haben die Sylter wohl als richtig empfunden.

Zurzeit steigen die Zahlen der Infizierten wieder überall. Auch Sylt bleibt nicht verschont. Vor allem die Gastronomie scheint hier ein Treiber zu sein. Wird die Insel möglicherweise in diesem Winter doch noch einen weiteren Lockdown erleben?
Das Land Schleswig-Holstein hat einen weiteren Lockdown ausgeschlossen. Deshalb sollte das auch auf Sylt kein Thema mehr sein. Im Übrigen haben wir auf der Insel eine gute Impfquote und Anfang Dezember eine Woche lang Booster-Impfungen ohne Voranmeldung möglich gemacht. Zusätzlich haben wir dem Personal in Kitas, Schulen und bei den Feuerwehren Impfungen vor Ort ermöglicht. Und natürlich gehörte auch dazu, dass wir beispielsweise alle Sitzungen abgesagt haben, die nicht unbedingt nötig waren, um zu vermeiden, dass sich zu viele Menschen gleichzeitig an einem Ort aufhalten. So fühlen wir uns gut gerüstet für das hoffentlich letzte Kapitel in Sachen Corona.

Im vergangenen Jahr befürchteten viele Gastronomen und vor allem Einzelhändler, die Krise wirtschaftlich nicht überstehen zu können. Wie viele Firmenpleiten hat es bislang auf Sylt gegeben?
Mir sind keine Insolvenzen bekannt – jedenfalls nicht im Zusammenhang mit Corona und dem Lockdown im vergangenen Frühjahr. Es gab einige Betriebsaufgaben, die aber mit auslaufenden Miet- und Pachtverträgen zusammenhingen. Im Großen und Ganzen hat sich die Wirtschaft vor Ort gut erholt, was vor allem am hervorragenden Sommer-Geschäft lag. Die vielen Gäste, die es nach Sylt gezogen hat, haben mit dazu beitragen, dass es viel besser gelaufen ist, als befürchtet. In diesem Zusammenhang muss man aber auch erwähnen, dass insgesamt ein Umdenken eingesetzt hat. Viele Einzelhändler haben während des Lockdowns nicht nur mit einbrechenden Umsätzen zu kämpfen gehabt, sondern auch mit teilweise unverhältnismäßig hohen Mieten und Pachten. Dass sich daran etwas ändern muss, ist inzwischen bei vielen Verpächtern angekommen.

Die Insel lebt vom Tourismus, dennoch monieren die Sylter, dass es in manchen Monaten einfach zu voll ist. Das kann man ihnen angesichts von sieben Millionen Übernachtungen jährlich nicht übel nehmen. Laut einer aktuellen Bürgerumfrage denken die Sylter allerdings, dass der Tourismus in den vergangenen zehn Jahren überhand genommen und um 15 Prozent gewachsen sei. Tatsächlich waren es aber nur 2,9 Prozent. Warum klaffen Wahrnehmung und Fakten so auseinander?
Vermutlich hat diese Einschätzung mit den Ereignissen der jüngsten Vergangenheit zu tun. Während des Lockdowns haben die rund 18.000 Sylter ihre Insel zum ersten Mal für sich gehabt – ganz ohne Gäste. Das war zunächst befremdlich, aber auch eine ungeheuer gute Erfahrung. Den meisten von uns ist klar geworden, dass sich über Jahre hinweg eine Entwicklung Bahn gebrochen hat, die für die Insel und ihre Bewohner nicht gesund war. Insofern ist die Pandemie vielleicht der letzte Kick gewesen, der uns gezeigt hat, dass wir die Weichen für die Zukunft anders stellen müssen. Das heißt in erster Linie: auf weitere Betten-Expansion zu verzichten. Einen entsprechenden Beschluss dazu gibt es ja bereits.

Weniger Betten, das heißt weniger Touristen, aber auch weniger Einnahmen … Wer ist bereit, zu verzichten?
Das ist vielleicht gar nicht nötig. Weniger Angebot muss nicht zwangsläufig mit weniger Einnahmen einhergehen – zumal dann nicht, wenn wir das Angebot qualitativ verbessern und auch analysieren, wo wir mehr und wo wir weniger Betten brauchen. Wir haben dazu eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die den Status Quo klären soll und herausfinden soll, in welchen Bereichen wir Betten aufstocken und in welchen wir Betten reduzieren sollten. Wir werden jetzt abwarten, wie das Ergebnis ausfällt und dann das Angebot feinjustieren. Grundsätzlich sind viele Sylter aber schon bereit, ein bisschen weniger zu verdienen, um im Gegenzug mehr Freiraum zu erlangen und weniger gestresst durch die Hochsaison zu kommen.

Worin soll sich das Mehr an Qualität widerspiegeln?
Wir wollen auf jeden Fall künftig mehr in den Vordergrund stellen, was diese Insel und ihre Bewohner zu bieten haben. Bei uns gibt es beispielsweise Bauernhöfe, die noch selbst verarbeiten – ob Fleisch, Gemüse oder Obst. Hier vor Ort werden hochwertige Produkte hergestellt und vermarktet. Die Gäste einzubinden, indem sie noch mehr solcher Produkte kaufen und damit auch daran zu erinnern, dass man auf Sylt ökologisch und nachhaltig leben kann, wäre schon ein Schritt in eine neue Richtung. Generell ist eine Insel wie Sylt prädestiniert, sich nachhaltig aufzustellen und auf die Folgen des Klimawandels hinzuweisen.

Geht mit der qualitativen Verbesserung des Angebots auch eine andere Urlauberklientel einher? In diesem Sommer gab es ja durchaus Gäste, die noch nie auf der Insel waren und die auch kaum jemand künftig vermissen wird, wie man von Gastronomen und Hoteliers hört.
In der Tat haben wir im vergangenen Sommer Gäste gehabt, die sonst eher im Süden zu finden sind und aufgrund der Pandemie erstmals auf Sylt Urlaub gemacht haben. Man muss sagen, dass viele dieser Gäste vermutlich auch nicht mehr kommen werden, weil sie sich nicht wirklich wohl gefühlt haben. Das lag hauptsächlich daran, dass sie nicht wussten, worauf sie sich eingelassen hatten, als sie nach Sylt kamen. Dass es hier auch regnen kann, nicht immer Strandwetter ist und alles kleiner dimensioniert ist, hat viele Gäste überrascht. Und wenn sie dann feststellen mussten, dass der kleine Lebensmittelladen in der Fußgängerzone seine Waren nicht zum Discounterpreis anbietet, war die Enttäuschung groß.

Auf den ein oder anderen Gast kann Sylt sicher verzichten. Aber wie sieht es mit Fachkräften aus? Alle Tourismusdestinationen beklagen jetzt schon eklatanten Mangel.
Uns geht es da nicht anders als andernorts. Auch bei uns fehlen Fachkräfte – ob in der Verwaltung, im Handwerk, in der Gastronomie und Hotellerie oder auch in den Schulen oder Kitas. Wir alle bemühen uns, gute Arbeitgeber zu sein, junge Leute für die Jobs zu begeistern, ihnen neue Perspektiven zu bieten …

Und auch eine Wohnung?
Das Thema Wohnraum ist natürlich ein Dauerbrenner auf der Insel. Aber wir arbeiten kontinuierlich daran. Wir halten schon mehr als 1.100 Wohnungen im eigenen Bestand und versuchen jedes Jahr, weitere Wohneinheiten zu schaffen. Denn nur Wohnungen, die von uns als Kommune an den Markt kommen, sind echter Dauerwohnraum. Aber auch wir müssen uns an das Baurecht halten und das lässt uns nicht so viel Spielraum, wie wir gern hätten.

Dauerwohnraum ist ein zentrales Thema, ebenso wie Umwelt- und Naturschutz und Mobilität. Welche sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Neuerungen, die Sie für Sylt in Ihrer nächsten Amtsperiode angehen wollen?
Neben Dauerwohnraum stehen guter ÖPNV und weniger privater Autoverkehr schon ganz oben auf der Agenda. Wir müssen das Autofahren auf der Insel unattraktiv machen. Aktuell laufen die Anträge für eine Geschwindigkeitsbegrenzung in Westerland auf 30 km/h. Wir hoffen sehr, dass wir das durchbekommen. Denn es wäre ein wichtiges Zeichen für eine Verkehrswende. Dass auch das Parken in der Innenstadt teurer geworden und wir drei Parkzonen geschaffen haben, die günstiger werden, je weiter weg man von der Fußgängerzone parkt, bis zur kostenlosen Zone – das ist ein richtiges Signal. Das müssen wir weiterdenken. Und natürlich sollten wir unsere Gäste noch viel stärker in Richtung achtsamer Tourismus sensibilisieren. Nur so können wir erreichen, dass alle mit der Natur und nicht gegen sie leben.
 

Das Interview führte
Susanne Osadnik,
Chefredaktion Shopping Places*