Gepflegte Urbanität

Seestadt Aspern
Die Seestadt Aspern bei Wien testet derzeit neue Quartiers-Ideen aus. © Christian Fuerthner

Handel und Immobilien
Courage

Susanne Müller

Marode Innenstädte verursachen Kommunen, Entwicklern und Händlern landauf, landab seit geraumer Zeit Bauchschmerzen. Ricarda Pätzold, Bereichsleiterin Stadtentwicklung, Recht und Soziales beim Deutschen Institut für Urbanität, hat den Überblick über die Spannungsfelder.

Um die Aufgabe gelungener  Stadtentwicklung erfolgreich zu meistern, müsse der Blick auf den gesamtstädtischen Kontext gerichtet werden, ist die Expertin überzeugt. „Meist wird auf die Hauptgeschäftsstraßen geschaut. Eine Innenstadt besteht aber auch aus B- und C-Lagen, die einbezogen werden wollen.“

Fokus auf Erdgeschosse

Schreckgespenst der Stadtentwickler, Retailer und Investoren seien zurzeit leere Immobilien. „Der größte Elefant im Raum sind natürlich die Kaufhäuser“, so Ricarda Pätzold. „Mittlerweile wird der Handel generell durch eine bestimmte Brille gesehen. Die Forscher vom GDI haben das recht drastisch formuliert: Es hat sich ausgebummelt. Auch Kommunen kaufen zunehmend leer stehende Immobilien auf und nutzen Raumressourcen teilweise anderweitig.“ Dagegen ist aus ihrer Sicht nichts einzuwenden – Institutionen wie Bibliotheken, Schulen und die Stadtverwaltung gehören in der City. „Insbesondere Erdgeschossflächen müssen wir für die Zukunftsnutzung im Fokus haben“, betont sie.

In Mental Maps verankern

Zu analysieren, welche Funktionen sich in einer Innenstadt gegenseitig unterstützen, ist laut Ricarda Pätzold Gebot der Stunde. „Alle Akteure sollten sich in Mental Maps verankern und quasi eine innere Karte der Innenstadtnutzung entwickeln. Der Citybesuch sollte mehr beinhalten, als nur zweimal jährlich vor den Feiertagen shoppen zu gehen. Aufenthaltsqualität, grüne Räume oder auch interaktive Mitmachangebote spielen eine zentrale Rolle bei der Gestaltung lebendiger Städte. Ab und an den einen oder anderen Event zu veranstalten, reißt es auf Dauer nicht raus.“

Stadt ist keine Shopping Mall

Den Verantwortlichen empfiehlt Ricarda Pätzold eine nüchterne Sichtweise auf die aktuellen Geschehnisse. „Fakt ist: Die Zukunftsaussichten für Innenstädte waren schon rosiger. Allzu idealistische Vorstellungen diverser Stakeholder scheitern oft an der Umsetzung. Wichtig ist daher, sich zunächst auf ein Innenstadtkonzept zu verständigen. Dazu gehören unbedingt auch die B-Lagen! Es empfiehlt sich, die verschiedenen Bereiche und Funktionen von Zentren zu betrachten und sich mit deren Qualitäten zu beschäftigen. Eine Stadt ist schließlich keine Shopping Mall.“ Von diesen Entwicklungen sind übrigens nicht nur Metropolen betroffen. „Wir haben viele vitale Mittelstädte, aber auch dort ist eine Schrumpfung der Handelslagen auszumachen“, hat Ricarda Pätzold beobachtet.

Realistischer Blick erforderlich

Wo auch immer Innenstädte zu bröckeln beginnen, empfiehlt sie, Tacheles zu reden. „Gemeinsame Interessen zwischen Nutzern und Immobilienbesitzern ausloten und Perspektiven klar ausformulieren. Jede potenzielle Nutzung ist darauf abzuklopfen, welchen Beitrag sie zur Stadtbelebung leistet. Ein gemeinsames Ziel verfolgen – Abstimmung und Verbindlichkeit werden gebraucht.“ Und sie gibt ein Beispiel: „Wenn wir auf 25 Metern Lauflänge zehn Handy-Läden finden, ist das nicht förderlich für die Attraktivität einer Innenstadt. Das weiß eigentlich jeder, nur ist in der Vermietung einigen Akteuren das Hemd – also die die eigene Fläche –  eben näher die Hose, sprich die Straße.“

Zuständigkeiten wischi-waschi

Fallstricke sieht Ricarda Pätzold in Zuständigkeiten. „Stadtverwaltungen haben meist nicht den Zugriff auf alle notwendigen Ressourcen zur Neugestaltung“, weiß sie. „Die Forderung nach einem Kurator für die Innenstädte klingt plausibel. Aber ein Kurator muss Zugriff haben auf die Gestaltung der Wände sowie die Auswahl und Hängung der Werke. Innenstadtmanager sind dagegen auf ihre Überzeugungskraft angewiesen. Auch die etablierten Werbegemeinschaften sind häufig zu schwach, um substanzielle Veränderungen einzuleiten. Wer soll es also machen? Letztendlich herrscht etwas Augenwischerei über die konkreten Möglichkeiten.“ Neue Wege würden in der Seestadt Aspern bei Wien ausprobiert werden, etwa indem die Eigentümer verpflichtend das Management ihrer Ladenlokale an eine Betreibergesellschaft übertragen. In Aspern wächst derzeit eines der innovativsten Stadtentwicklungsprojekte Europas heran – mit Wohnraum, Einkaufs-, Kultur-, Sport- und Freizeitangeboten sowie Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen.

Mix aus Wow und Hausaufgaben

Empfiehlt Ricarda Pätzold Experimente, oder sollten Stadtakteure eher auf Bewährtes setzen? „Naja“, wiegelt die Expertin ab. „Ich plädiere für eine Mischung aus dem Besonderen und bodenständigen Stadtelementen. Das Thema Grün in der Stadt und eine zukunftsweisende Mobilitätsentwicklung vertragen sich hervorragend mit künstlerischen Interventionen und Ansätzen der co-kreativen Raumentwicklung. Innenstädte bestehen aus gewachsenen Bedingungen – jeder Stein hat seine Geschichte. Dennoch braucht es zum Beispiel eine Anpassung mit Blick auf den Temperaturanstieg im Sommer, damit man sich auch in zehn Jahren auf den Plätzen aufhalten kann. Jede Stadt sollte sich mit der ureigenen Bedeutung ihrer Innenstadt auseinandersetzen. Diese ist als gesellschaftlicher Raum immer wieder neu zu definieren – nicht nur im Hinblick aufs Einkaufen.“


Umdenken ist gefragt

Sie ist überzeugt dass eine Stadt nur als Netz funktionieren kann: „Das ist wie beim Roulette: all in“, betont sie. Dies verlange zunächst einmal eine Kooperation aller Akteure. „Gegebenenfalls müssen auch in klassischen Handelslagen alternative Nutzungen in Betracht gezogen werden, so bitter das auch klingen mag – denn was passiert, wenn Geschäfte schließen? Ohne Umdenken wäre Verödung die Folge.“

Susanne Müller