Geschichte der Inflation

Inflation
Wie entwickelt sich die Inflation in Deutschland? © wifesun - stock.adobe.com

Handel und Immobilien
Passion

Prof. Dr. Tobias Just

Wirtschaftsgeschichte kann (fast) immer auch als eine Geschichte der Inflationsentwicklung erzählt werden, denn die Preise drücken Knappheiten aus, und Knappheiten spiegeln den Erfolg einer Wirtschaft, auf Veränderungen in der Nachfrage oder den Produktionsbedingungen zügig zu antworten.

Auch für die letzten 30 Jahren der deutschen Wirtschaftsgeschichte gilt dies, und überwiegend war dies eine Erfolgsgeschichte, wie das Schaubild der langjährigen Entwicklung der Verbraucherpreise – hier als Veränderungsraten – illustriert: In den letzten 30 Jahren lag die mittlere Inflationsrate fast auf den Punkt auf dem Inflationsziel der EZB, nämlich bei knapp über zwei Prozent. Bemerkenswerter als dieser Durchschnitt ist aber, dass es bis auf zwei erhebliche Ausreißerphasen und ein nur kurzes Überschießen 2008 in Deutschland überwiegend ein Unterschreiten des Inflationszieles gab. Dies ist deswegen bemerkenswert, weil gerade mit der Euro-Einführung häufig die Sorge verbunden war, dass die innere Währungsstabilität gefährdet sein könnte. Die Empirie nährt Zweifel an diesem einfachen Narrativ.

Doch schauen wir chronologisch auf die Entwicklung, und zwar in vier Phasen: Die erste Phase umfasst den Aufschwung im Zuge der Deutschen Einheit. Mit diesem positiven Schock schwoll die gesamtwirtschaftliche Nachfrage massiv an, weil die aufgestauten Bedürfnisse auch dank des günstigen Umtauschkurses der Ost-Mark in die Deutsche Mark und vor allem dank der umfangreichen Förderprogramme nicht aus den Lagern heraus befriedigt werden konnten. Stark steigende Preise in den ersten Jahren der 1990er spiegeln dies. Die Wirtschaft reagierte ausgesprochen elastisch, so elastisch, dass Hunderte marode Ostbetriebe dem Wettbewerbsdruck nicht standhalten konnten. Auch der Bauboom mündete in Überhänge, sodass Förderprogramme zusammengestrichen werden mussten. Dem Boom folgte eine dauerhafte Strukturkrise, die nur kurzzeitig durch die Dot-Com-Begeisterung in den späten 1990er Jahren eine Unterbrechung und erst mit den Arbeitsmarktreformen, die durch eine sozialdemokratisch geführte Regierung glaubhafter und mit Basta-Mentalität durchgedrückt werden konnten. Die zweite Phase beschreibt also die Anpassung der Wiedervereinigung an eine umstrukturierte, liberalisierte Wirtschaft, die immer besser Tritt fassen konnte.

Die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 sorgte für ein jähes Ende dieses harmonischen Aufschwungs, und die folgende scharfe Rezession brachte auch die moderat beschleunigte Inflation wieder nach unten. Die Verwerfungen in Europa in den Folgejahren waren so groß, dass die sehr expansive Geldpolitik der 2010er Jahre nicht in der Lage war, die Inflation zu erhöhen, und dies macht diese dritte Phase zu der wohl bemerkenswertesten und für die deutschen Immobilienmarktakteure wohl segensreichsten Phase. Aber es war eine latent instabile Konstellation, in der gleich alle vier zentralen Fundamentalfaktoren (Einkommensentwicklung, Zinsentwicklung, demografische Entwicklung und unzureichende Bautätigkeit, vor allem im Wohnungsbau) einen langanhaltenden Aufschwung für die Immobilienbranche ermöglichten. Diese Phase war deswegen latent instabil, weil in normalerweise ein automatischer Ausgleich zumindest einiger dieser Faktoren einsetzen sollte, zum Beispiel müssten stark belebte Arbeitsmärkte eben mit eher steigenden Zinsen einhergehen oder starke Zuwanderung eben mit deutlich höherer Bautätigkeit. Das sollte so sein gemäß Lehrbuch, doch es war nicht so, die Anpassung wurde in die Zukunft verschoben. Diese Zukunft begann mit der Pandemie, die eine Zäsur darstellte und sie markierte den Beginn von Phase 4. Die Pandemie brachte eine scharfe Rezession, gerade auch für den Einzelhandel. Die Lockdowns stoppten die Zuwanderung. Zwei der zentralen Fundamentalfaktoren pausierten, wurden aber durch erneut expansive Geld- und Fiskalpolitik aufgefangen. Und genau dieser Anschub, der durch die Lockdown-induzierten Angebotsprobleme verstärkt wurde, sorgte bereits vor dem Krieg in der Ukraine für schneller steigende Konsumentenpreise. Der Ukraine-Krieg verstärkte die Angebotsprobleme dann zusätzlich. Letztlich war es also eine Mischung aus Angebotsverknappung und noch überhängenden Nachfragedynamiken der expansiven Stabilisierungspolitik, die zur beschleunigten Inflation 2022 führte. Die Zentralbank musste handeln, und sie konnte dies natürlich nur durch eine Einschränkung der Geldversorgung tun. Steigende Zinsen belasten immer zunächst jene Sektoren, die besonders zinsreagibel sind. Das ist der Sinn und Zweck der Zinspolitik, die Konjunktur über die zinsreagiblen Sektoren abzukühlen. Doch damit sind neue Herausforderungen nicht nur für die Transaktions- und Projektentwicklungstätigen verbunden, sondern gerade auch für die Wohnungssuchenden. Die notwendige Marktanpassung aus einem Nullzinsumfeld und historisch niedrigen Mietrenditen geschieht also als Reaktion auf die zuvor viel zu expansive Politik sowie die Angebotsprobleme. Die Angebotsengpässe lösen sich allmählich auf, dies wird eher für deflationäre Entwicklungen auf Lebensmittel- und Energiemärkten sorgen – nicht dauerhaft, aber vorübergehend. Doch weil alle Marktakteure die höheren Inflationsraten in ihre eigenen Entscheidungen integrieren, zum Beispiel in höhere Lohnabschlüsse, wird der Rückgang der allgemeinen Teuerung deutlich langsamer ablaufen als der Rückgang der zyklischen Preise für Energie und Lebensmittel.

Dies bedeutet, die Inflation wird allmählich sinken, aber die Zentralbank muss genau auf die Erwartungen der Akteure schauen, sonst senkt sie die Zinsen zu früh und induziert eine neue Inflationswelle. Diese vierte Phase ist also keine einfache Phase, denn die neuen Gleichgewichte werden über sinkende Preise, höhere Mieten (vor allem für Wohnen, bei vielen Gewerbeimmobilien indes nicht) und vorsichtige, durch die regulierenden Banken aufmerksam kontrollierte Banken, erreicht. Was positiv stimmen kann, zumindest in der mittlerne Frist, ist, dass es auf den Wohnungsvermietungsmärkten keine Überhänge gibt. Insofern könnte sich das zu Recht jahrelang bejammerte viel zu langsame Ausweiten des Wohnangebots noch als stabilisierender Segen erweisen, zumindest für die Wohnungsmärkte. Denn letztlich sind es die Immobiliennutzer, die langfristig den Takt für Auf und Ab auf Immobilienmärkten vorgeben, und die Wohnungsnutzungsmärkte sind eher durch zu wenig als durch zu viele Wohnungen gekennzeichnet.

Prof. Dr. Tobias Just
Universität Regensburg
IREBS