Gestaltung der Innenstädte

Friedrichstraße
Beispiel einer Visualisierung für die Friedrichstraße. © SenUMVK

Aktuelles
Resilienz

Susanne Müller

Ist Verkehrsberuhigung der Königsweg zu attraktiven Innenstädten? Kölner Ehrenstraße, Alter Wall in Hamburg und die Fußgängerzone Friedrichstraße in Berlin sind Beispiele für autofreie Zonen, in denen Flanieren, Shoppen und Genießen für Wohlgefühl sorgt. Wie sind die Erfahrungswerte?

Parken direkt vor dem Shop oder Pkw-freie City-Lagen: Da scheiden sich die Geister: „Ich will nicht auf mein Auto verzichten“ vs. „Die Innenstädte müssen dringend autofrei werden“. Der Ausbau des ÖPNV ist gerade für Menschen im Speckgürtel der Big Cities sicher nicht immer optimal, von der Anbindung der Landbevölkerung ganz zu schweigen.

Kürzlich vermeldeten die Frequenzen-Zähler von Hystreet.com 22 Prozent mehr Passanten zwischen Montag und Freitag in der seit Frühjahr 2022 verkehrsberuhigten Kölner Ehrenstraße, samstags ein Plus von 17 Prozent und an den Sonntagen eine Steigerung um 25 Prozent. Tausende Flaneure mehr pro Tag resultieren daraus. Verglichen mit dem Zeitraum 1. Januar bis 30. November 2018 konnte die Ehrenstraße in 2022 laut Hystreet.com durch Verkehrsberuhigung rund 30 Prozent an Passanten mehr mobilisieren. Das bedeutet einen Zuwachs von 1,2 Millionen real gezählter Passanten.

Kostengünstige Umsetzung in Köln

Mit einfachen Mitteln hat die Stadt Köln das Verkehrskonzept umgesetzt – sehr kostengünstig mit Maßnahmen wie Beschilderung und Markierungen. Durch die Einrichtung einer Fußgängerzone steht dem Fuß- und Radverkehr nun die gesamte Breite des Straßenraums zur Verfügung. Die Ausstattung der frei gewordenen Räume mit Sitzmöbeln und Begrünung befindet sich noch in Planung. Die zeitweise eingesetzten, im Rahmen eines Projekts geliehenen Stadtterrassen wurden nach Auskunft der Stadt Köln sehr positiv aufgenommen und werden rege genutzt.
Die Verwaltung hat positives Feedback von Fußgängern bekommen, die es begrüßen, dass der Autoverkehr aus der engen Straße herausgenommen wurde. Beschwerden gibt es laut der Stadt Köln allerdings über die schlechtere Kfz-Erreichbarkeit der Straße selbst, Hinweise zu teils längeren Wegen für den Kfz-Verkehr sowie über Radfahrende, die mit nicht angepasster Geschwindigkeit durch die Fußgängerzone fahren. Auch wurde anfangs die Fehlnutzung durch unerlaubt einfahrende Pkw beklagt.

Die Kölner Verwaltung erhoffe sich von der Attraktivierung der Ehrenstraße auch positive Effekte für den Einzelhandel, wenn die Straße mehr Menschen anlockt und sie dort länger und lieber verweilen, so Sabine Wotzlaw, Pressesprecherin Kultur, Digitalisierung, Wirtschaft, Stadtentwicklung. „Die Daten von hystreet zeigen, dass dieser Effekt womöglich bereits eingetreten ist.“

Neues Wahrzeichen in Hamburg

Ein glänzendes Beispiel eines Flanier-Boulevards realisiert Art-Invest Real Estate am Alten Wall in Hamburg. Das neue Wahrzeichen gesellt sich zur Elbphilharmonie und zum Michel. Das ikonische Ensemble mit historischen Fassaden erstreckt sich auf einer Länge von 150 Metern, bestehend aus fünf Gebäuden, und fungiert als Lifestyle-Brücke zur Belebung der westlichen und östlichen Innenstadt Hamburgs sowie zwischen Konsum- und Luxuslage. Die Hausnummern 2 bis 32 sind bereits fertig gestellt.

International bekannte Marken haben an diesem Abschnitt angedockt, unter anderem Uniqlo, die Premium-Designmarke by Aylin Koenig, Nobeleinrichter Ulrich Stein und erst in 2023 der E-Bike-Hersteller Smafo einen Pop-up-Shop für mehrere Monate. Das Restaurant Wallter’s und die Gastronomie Cotidiano sorgen für Genussmomente.

Der Neubau hinter historischen Fassaden umfasst insgesamt 13 Ebenen, vier für die Tiefgarage, drei für Einzelhandel, Gastronomie und Kunst sowie sechs für Büros. Das Gebäude Alter Wall 2-4 ist auch im Inneren teilweise denkmalgeschützt. Besonders ist der Erhalt der denkmalgeschützten Fassaden entlang des Alten Walls und der Adolphsbrücke – auf dieser Länge ein architektonisches Highlight und einzigartig in Hamburg. Über die kleine, aber feine Marion-Gräfin-Dönhoff-Brücke schafft der Alte Wall Hamburg neue Wegeverbindungen in der City und ist die kürzeste und attraktivste fußläufige Verbindung vom Rathausmarkt zu weiteren Hotspots der Innenstadt.

Art-Invest Real Estate konnte den international anerkannten Künstler Olafur Eliasson gewinnen, den Freiraum vor dem Alten Wall Hamburg mit zwei Installationen zu schmücken. Die beiden neun Meter hohen Skulpturen bestehen aus oberflächenbehandelten Messingpaneelen. Zusammen mit dem renommierten Bucerius Kunst Forum, das auf vier Stockwerken bis zu vier Ausstellungen pro Jahr zeigt, wird der Alte Wall Hamburg somit zum Magnet für Kunstliebhaber.

Beliebte City-Destination

Die Frequenzen sprechen für die Beliebtheit des Boulevards: Mit 16.915.341 Passanten in 2022 und bereits 1.758.077 Flaneuren allein schon bis Mitte Februar diesen Jahres ist der Alte Wall vom Publikum bestens angenommen. Elegant hat Art-Invest Real Estate auch das Parkplatzproblem gelöst, denn mit der Fertigstellung des historischen Gebäude-Ensembles hat ein mehrstöckiges unterirdisches Parkhaus eröffnet, das frei zugänglich für alle ist. Hat sich die Investition gelohnt? „Die Investition hat sich auf jeden Fall gelohnt. Wir haben aber auch durch ein sorgfältig kuratiertes Angebot aus besonderen Shops, gehobener Gastronomie und Kunst sowie Entertainmentkonzepten einen Boulevard geschaffen, der mehr ist als nur eine Einkaufsstraße. Denn wir brauchen neue Konzepte für die Innenstädte, um attraktiv für Besucher zu bleiben. Das ist uns hier gut gelungen und zeigt sich auch an den hohen Frequenzen besonders zwischen Frühjahr und Frühherbst, wo auch dank der Außengastronomie der Alte Wall schon nach kurzer Zeit zu einer der beliebtesten Destinationen in der Innenstadt geworden ist“, sagt Martin Wolfrat, Head of Hamburg bei Art-Invest Real Estate.

Neupositionierung in Berlin

Zunächst in einer Testphase von August 2020 bis Oktober 2021 hat die Stadt Berlin die Friedrichstraße auf etwa 600 Metern Länge zwischen Französischer und Leipziger Straße zur Fußgängerzone umgestaltet und will die Planung jetzt endgültig abschließen. „Die Friedrichstraße ist schon viele Jahre vor dem Verkehrsversuch und der Fußgängerzone kein einfacher Einzelhandelsstandort gewesen“, sagt Jan Thomsen, Leiter Kommunikation und Medien der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz. „Das aktuelle bezirkliche Einzelhandelskonzept, erstellt von der Agentur Stadt + Handel, empfiehlt daher auch eine Neupositionierung des Standorts.“

Während des Zeitraums des Versuchs erfolgten umfangreiche Begleituntersuchungen in den Teilbereichen Verkehr, Umwelt und Wirtschaft. Beteiligt waren Fachleute aus den Bereichen Verkehr, Luftgüte, Lärm sowie der Wirtschaftsförderung. Bei der Messung und Auswertung der Umwelteffekte wurde die Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz vom Potsdamer Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS Postdam) unterstützt.

Neben einer Steigerung des Rad- und Fußverkehrs zeigte sich schnell, dass sich die Anzahl der Aufenthalte und deren Dauer erhöht haben. Das Parkraumangebot sank nur um vier Prozent. Die Erreichbarkeit der Tiefgaragen in den Querstraßen ist sichergestellt. Das Parkleitsystem wird angepasst.

Hohe Zustimmung bei Umfrage

Aus Sicht der befragten Passanten ist die Bewertung des Projekts eindeutig: 82 Prozent der Befragten begrüßen eine dauerhaft verkehrsberuhigte Friedrichstraße. Etwa die Hälfte der Befragten sieht in der umgestalteten Friedrichstraße für sich einen Anreiz, diese häufiger aufzusuchen. Die geäußerten Defizite bei Einzelhandel und Gastronomie geben Hinweise auch für Immobilieneigentümer und Gewerbetreibende auf Wünsche der Kunden und somit auf noch vorhandene Potenziale. Laut einer Online-Befragung zeigten sich die gewerbetreibenden Anlieger gespalten: Weder die Ausgangssituation vor der Umgestaltung noch der Zustand während des Verkehrsversuches fanden ihre Zustimmung. Es sei aber ein großer Wunsch und Wille zur Veränderung festzustellen, heißt es im Abschlussbericht.

Letzterer sowie das verkehrliche Nahbereichskonzept wurden nach Angaben der Stadt Berlin den Anrainern der Friedrichstraße vorgestellt. In Vorbereitung sei jetzt die künftige Gestaltung, die das gesamte Areal in den Blick nehme, bis hin zum Gendarmenmarkt. Themen dabei seien auch eine höhere Aufenthaltsqualität und mehr Grün.

HBB: Verkehrsversuch ist gescheitert

Ganz klar kontra das Projekt Friedrichstraße ist hingegen der Handelsverband Berlin-Brandenburg: „Der Verkehrsversuch ist gescheitert.“ Kritikpunkte: Die zur Fahrrad­stecke verkommene Straße lade nicht wie angedacht zum Flanieren ein. Stattdessen stelle die Verkehrsberuhigung insbesondere für Lieferfahrzeuge und Reiseverkehr eine Herausforderung dar, wie Christian Andresen, Präsident der DEHOGA Berlin und Geschäftsführer des direkt betroffenen Hotels THE MANDALA, anmerkte. Eine Umlegung des Radverkehrs in die Charlottenstraße bedeute lediglich eine Verlagerung des Problems: Diese sei schon jetzt zur Rush Hour stark vom Stau überlastet, so eine Anliegerin. HBB-Geschäftsführer Nils Busch-Petersen fordert ein tragbares, ideologiefrei erarbeitetes Gesamtkonzept für den Bereich der Neuen Mitte, und zwar unter Einbeziehung aller betroffenen Parteien aus Handel, Gastronomie und Hotellerie. HBB und DEHOGA hatten eine kritische Stellungnahme an die Verwaltung versandt. Bei der Nachwahl in Berlin Mitte Februar büßten die Grünen / Bündnis 90 bekanntlich zahlreiche Wähler ein – so manch einer führt das unter anderem auf den Alleingang der Verkehrssenatorin Bettina Jarasch in punkto Friedrichstraße zurück, denn dort ging das Gros der Stimmen an die CDU. Nach jüngsten Erkenntnissen haben Anwohner Einspruch gegen die Teil­einziehung vorgelegt und wollen bis in die letzte Instanz gegen den Bezirk klagen.

Susanne Müller