Hätten wir nicht schon im Winter Bergschuhe bestellt, wären unsere Regale jetzt leer

Udo Siebzehnrübl
Udo Siebzehnrübl © Intersport

Interview
Glokalisierung

Susanne Osadnik

Udo Siebzehnrübl, Sporthändler aus Altötting, ist Anfang des Jahres mit seiner Ankündigung, während des Lockdowns seine fünf Läden zu öffnen, bundesweit bekannt geworden. Letztendlich hat er es doch gelassen. Über die Chancen eines zweiten Versuchs, den Fluch sozialer Medien und den Neustart in eine immer noch ungewisse Zukunft

Herr Siebzehnrübl, im Januar wurde Ihnen die Zahlung von Ordnungsgeld angedroht. Haben Sie zahlen müssen?
Udo Siebzehnrübl: Nein, das wurde zurückgezogen, weil wir ja doch nicht geöffnet haben. Wenn wir gegen die offiziellen Bestimmungen während des Lockdowns im Winter verstoßen und unsere Läden geöffnet hätten, wäre vermutlich ein Bußgeld auf uns zugekommen. Aber das wäre mir egal gewesen. Viel wichtiger war für mich zu der Zeit, endlich wieder Kunden in unseren Geschäften bedienen zu können und nicht länger zusehen zu müssen, wie uns die Umsätze wegbrechen, während andere Unternehmen satte Gewinne einfahren – indem sie als Lebensmittelhändler auch Sportartikel anbieten.

Würden Sie den Versuch wieder wagen, wenn es zu einem weiteren Lockdown im Winter kommen sollte?
Ja, das würde ich. Allerdings dieses Mal sehr viel besser vorbereitet als im Januar. Ich würde mir einen Rechtsbeistand suchen und mich auch auf den Medienansturm einstellen, der uns völlig unvorbereitet getroffen hat. Das war schon ein enormer Druck von allen möglichen Medien, die uns belagert haben, unsere Aussagen und Zitate in völlig anderen Zusammenhang gestellt haben, als wir sie geäußert haben. Aber vor allem die sozialen Medien haben uns sehr zugesetzt.

Sie wurden im Winter regelrecht gekapert von der rechten Szene und all jenen, die sich durch den Staat sanktioniert fühlten, inklusive Corona-Leugnern …
Ja, das war eine schlimme Erfahrung. Ich bin Einzelhändler. Ich wollte nur meine Geschäfte öffnen und darüber diskutieren, warum ein Aldi, der viel mehr Menschen gleichzeitig reinließ, öffnen darf, aber ich als Fachhändler zumachen muss. Und plötzlich wurde ich in die rechte Ecke abgeschoben und musste mich beschimpfen lassen. Zu der Zeit hatte ich wirklich Angst um meine Familie und ich bin froh, dass sich das wieder beruhigt hat.

Sie haben erst wieder Mitte Mai Ihre Türen für die Kunden vor Ort geöffnet. Lief es in Ihren Geschäften überall gleich gut an?
Wir haben sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. An unseren Stand-Alone-Standorten – also über dort, wo wir als Einzelgeschäft mit viel Platz, weitläufigen Räumlichkeiten und eigenem Parkplatz vertreten sind – ging es gleich wieder richtig gut los. Da fühlten sich die Kunden wohl und sicher. Das gilt für unsere Läden in Rosenheim, und Altötting, wo der Umsatz schnell wieder um gut 40 Prozent gestiegen ist. In unseren beiden Niederlassungen in München, in Riem und Pasing, die sich in Shopping Centern befinden, sah das anders aus. Da lief es erst einmal viel verhaltener an, weil die Menschen doch in Sorge vor Ansteckung waren und Menschenmassen meiden wollten – auch wenn es gar keine solchen Massen gab. Interessant ist, dass es beispielsweise in unserem Geschäft in Passau, das auch in einem Center liegt, überraschenderweise wiederum anders funktionierte. Weil dort die Inzidenzen extrem gering waren, wurden die Corona-Regeln außer Kraft gesetzt und die Kunden kamen in Scharen, sogar bis aus Nürnberg. Das hat den Umsatz schon Anfang Mai enorm angekurbelt.

Während des Lockdowns ist das Online-Geschäft für viele Händler der rettende Anker gewesen. Bei Ihnen auch?
Das kann ich nicht bestätigen. Online-Handel ist nur ein Feigenblatt in unserem Geschäft. Der Aufwand ist groß, das Ergebnis wirtschaftlich nicht wirklich tragend. Außerdem passt es auch nicht zu unserem Anspruch, für die Kunden vor Ort da zu sein, sie zu beraten, uns mit ihnen auszutauschen. Unsere Mitarbeiter sind Experten, die selbst Sport treiben und ganz genau wissen, was jemand benötigt, wenn er das erste Mal auf einen Berg steigt. Da geht es um Fachwissen, das vermittelt wird. Andererseits tauschen sich auch Mitarbeiter und Kunden als Profis untereinander aus, wenn sie über bestimmte Touren reden, die sie schon gemacht haben. Das kann das Internet niemals leisten.

Dennoch ist auch bei Ihnen der Online-Anteil am Umsatz gestiegen. Wie viel beträgt er aktuell?
Der Online-Handel liegt seit Corona ungefähr bei rund zehn Prozent.

Das heißt, die Kunden nehmen das Angebot schon wahr.
Es gibt immer Kunden, denen es um sofortige Verfügbarkeit geht. Die wollen ein Produkt sofort haben. Da wir über genügend Shops verfügen, können wir inzwischen auch Übernacht-Lieferungen machen. Wenn wir beispielsweise ein Paar Laufschuhe in Größe 8 in Altötting haben und jemand aus Pasing sucht genau diese Schuhe, dann regeln wir das intern und schicken sie über Nacht dorthin. Das Interessante ist, dass manche Kunden gar nicht im Shop vor Ort nachfragen, sondern automatisch im Internet nachschauen, ob etwas lieferbar ist oder nicht. Dabei entgehen ihnen schon manchmal Gelegenheiten. Wir hatten ein Skateboard, das im Geschäft rund 80 Euro günstiger war als online. Doch online wurde es gekauft.

Was genau bedeutet diese Erfahrung für Sie als Händler?
Für mich bestätigt es einen Trend, dass es in vielen Fällen nicht um den Preis geht, sondern darum, so schnell wie möglich meinen Wunsch erfüllen zu können. Und da scheint sich das Internet im Bewusstsein der Kunden als die schnellere Möglichkeit zu etablieren – auch wenn es häufig gar nicht so ist.

Wie hat sich denn das Kundenverhalten vor Ort nach der Wiederöffnung verändert?
Die Kunden waren glücklich, endlich wieder kommen zu können. Anfangs war die Frequenz noch niedrig, dafür aber der Umsatz pro Person höher als sonst: Jeder, der kam, kaufte gleich ein bisschen mehr ein, weil ja niemand wusste, wie lange das möglich sein würde. Auch das veränderte Freizeitverhalten haben wir bewusst miterlebt. Alles, was man für Outdoor-Aktivitäten braucht, wurde uns aus den Händen gerissen. Mit dem Homeoffice zog zudem die bequeme Kleidung bei den Menschen ein. Wir hätten Unmengen Jogginghosen verkaufen, wenn wir denn welche gehabt hätten. Aber der Markt war leer gefegt.

Wie sieht es aktuell mit der Lieferung von Ware aus?
Es ist eng. Das muss man schon so sagen. Die Lieferketten sind immer noch nicht wiederhergestellt. Es wird mancherorts nicht genügend oder das Falsche produziert. Oder andere Länder haben sich schon eingedeckt, als wir noch gar nicht wussten, wie es weitergehen würde. Das beste Beispiel sind Fußballschuhe, die nicht verkauft wurden, als die Vereine pandemiebedingt niemanden mehr auf die Plätze und in die Hallen lassen durften. Als das endlich wieder möglich war, stellten viele Eltern fest, dass die Kinder schon wieder aus den Schuhen herausgewachsen waren – und dann setzte der Run auf Fußballschuhe ein. Inzwischen bräuchten wir dringend Nachschub, bekommen aber nichts, weil die Amerikaner, deren Wirtschaft schneller wieder angesprungen ist als unsere, früher geordert haben und wir jetzt warten müssen.

Wie haben Sie sich denn auf diesen Herbst und Winter angesichts unkalkulierbarer Lieferzeiten vorbereitet?
Wir haben schon im Dezember 2020 Bergschuhe geordert, weil wir sicher waren, dass wir im Sommer und Herbst genügend parat haben müssen, weil die Menschen den Drang haben werden, sich im Freien zu bewegen. Unsere Annahme hat ja auch zugetroffen. Hätten wir nicht schon im Winter Bergschuhe bestellt, wären unsere Regale jetzt leer. Dagegen haben wir im alpinen Skibereich nichts Neues bestellt. Im vergangenen Jahr sind Skier und Skikleidung kaum verkauft worden, weil die Skigebiete ja geschlossen waren. In diesem Winter müssen wir das anbieten, was da ist und hoffen, dass es ausreicht – oder nicht noch eine Saison liegen bleibt.

Das Warten und Hoffen auf Ware ist das eine. Das andere sind die Fragen nach Finanzierungsmöglichkeiten und höheren Verkaufspreisen. Wie schätzen sie das perspektivisch ein?
Ich gehe davon aus, dass uns der Warenengpass noch mindestens 24 Monate lang begleiten wird. Wir sehen ja, dass die Pandemie noch längst nicht vorbei ist, was weiterhin zu Unsicherheiten und Verzögerungen führen wird. Die Häfen sind manchmal voller Ware, aber die Container sind irgendwo auf der Welt, wo sie gar nicht gebraucht werden. Und da, wo man sie dringend benötigt, sind sie so rar, dass darum ein heißer Wettbewerb stattfindet. Die Containerpreise haben sich vervielfacht. Die Lieferanten müssen also mehr zahlen, was letztendlich heißt, dass auch wir mehr für die Ware zahlen werden. Die steigenden Preise kommen dann zum Schluss beim Endverbraucher an. Im Klartext: Alles wird teurer werden.

Bleibt die Frage nach der Finanzierung von Ware. Sie gehören durch Intersport zu einem weit gespannten Netzwerk, das strategischer und effizienter einkaufen kann, was vor allem in Krisenzeiten ein großer Vorteil ist. Ist das vor allem jetzt ein Vorteil?
Es ist natürlich schon anderes, wenn man zu einem Verbund gehört. Aber grundsätzlich muss man trotzdem den Banken erklären, was man genau will und wie die Zukunftsstrategie aussieht. Dass man ein Familienunternehmen in zweiter Generation ist und tief verwurzelt in der Region, ist den Banken auch egal. Was zählt, ist, ob du deine Schulden zurückzahlen kannst oder nicht. Man muss sich exakt an deren Spielregeln halten, sonst läuft da nichts. Wir sind in der glücklichen Situation, dass wir gut aufgestellt sind – trotz großer Verluste in Zeiten des Lockdowns. Im Übrigen gilt das auch für die große Mehrzahl der über 800 Intersport-Läden in Deutschland. Fast alle sind gut durch diese Krise gekommen. Wir sind auch deshalb zuversichtlich und natürlich freuen wir uns, weil wir sehen, dass wir persönlich schon wieder im Bereich des Umsatzes vom Sommer 2019 sind – vielleicht sogar ein bisschen drüber.

Sie sind sogar so zuversichtlich, dass Sie zwei zusätzliche Shops übernommen haben. Expansion in Krisenzeiten ist für Sie kein Widerspruch?
Nein, überhaupt nicht. Wir denken langfristig und haben zwei interessante Standorte dazugewonnen, die auch künftig gefragt sein werden. Beide Geschäfte liegen in München:  das eine im Einkaufscenter in Perlach, das zu den umsatzstärksten in der Region gehört; das andere liegt in Ottobrunn und profitiert vom Alleinstellungsmerkmal und seiner strategisch günstigen Lage fast an der A8 im Speckgürtel Münchens, wo die Kaufkraft hoch ist. Das alles sprach für eine Investition in die Zukunft. Und auch das gehört zu einem Familienunternehmen dazu, das die Geschäfte irgendwann an die dritte Generation übergeben möchte.

Das Interview führte
Susanne Osadnik,
Chefredaktion Shopping Places*