Hermès schlägt Gold

Birkin-Bag
Die »Birkin-Bag« von Hermès © ingrid's birkin / Miranda – commons.wikimedia.org

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Susanne Osadnik

Der Verkauf von Handtaschen hat selbst in Pandemie-Zeiten sensationelle Umsätze erzielt. Das liegt vor allem daran, dass die Shopper, Baguette, Clutch oder Pochette längst mehr als ein Transportmittel für persönliche Gegenstände sind. Als modisches Accessoire dienen sie zur eigenen Inszenierung und Image-Bildung – vor allem im Luxusbereich. Je berühmter die Trägerin einer Designer-Tasche, desto sicherer sind dem Unternehmen Millionengewinne. Klassiker wie die »Birkin-Bag« erreichen sogar als Secondhand-Ware irrwitzige Gewinnsteigerungen

Queen Elizabeth II hat man noch ohne sie in der Öffentlichkeit gesehen. Margaret Thatcher hat sie zu einem Symbol ihres politischen Amtes gemacht und selbst Angela Merkel hatte sie immer im Deutschen Bundestag dabei – wenn das Modell der scheidenden Bundeskanzlerin auch nicht so glamourös, edel und schick war, wie das anderer Damen, sondern eher an Arbeitsgerät denn an modisches Accessoire erinnerte.

Die Rede ist von der Handtasche. Für viele Frauen ein unverzichtbares Utensil, das längst mehr ist als die Möglichkeit, Puderdose und Lippenstift zu transportieren. Dabei gibt es nicht die eine Handtasche. Es gibt sie in allen Größen, Farben, Formen, Materialien. Mal wiegt sie glatt ein Kilo, mal ist sie federleicht. Aber immer ist sie für die Trägerin Ausdruck ihrer Persönlichkeit – was sich in der Theorie häufig besser anhört, als es in der Praxis aussieht.

Mehr als 70 Prozent der Taschen im Laden gekauft

Dass die Handtasche zur Imagebildung nur funktioniert, wenn sie von anderen registriert wird, versteht sich von selbst. Daher ist es umso erstaunlicher, dass der Absatz von Handtaschen mitten in der Pandemie enorm gestiegen ist. Weltweit wurden in diesem Jahr voraussichtlich mindestens 45,7 Milliarden Euro (de.statista.com) für Handtaschen ausgegeben. Laut Prognose werden es im kommenden Jahr 54 Millionen Euro sein und 2026 wird ein Marktvolumen von 61,7 Milliarden Euro erreicht werden.

Die meisten Handtaschen werden zurzeit in den USA (9 Milliarden Euro) verkauft, gefolgt von China (5,3 Milliarden Euro), Indien (2,7 Milliarden Euro), Großbritannien (1,8 Milliarden Euro) und Japan (1,7 Milliarden Euro). Deutsche Konsumentinnen tragen zum weltweiten Umsatz in diesem Jahr mit 1,16 Milliarden Euro bei. Laut Prognose wird im Jahr 2026 ein Marktvolumen von 1,34 Milliarden erreicht.

Trotz Pandemie haben Käuferinnen weltweit mehrheitlich beschlossen, vor Ort zu kaufen. Immerhin lag der Anteil am Offline-Verkauf 2021 noch bei mehr als 70 Prozent. Der Online-Handel machte nur 29 Prozent aus. Zwar soll sich dieses Verhältnis laut Prognose weiter zugunsten des Online-Handels verlagern, dennoch bleibt wohl bis 2026 – trotz stetigen Absinkens – der Anteil am lokalen Verkauf mit 61,6 Prozent immer noch hoch.

Maggie Thatcher und ihre schwarze Ledertasche

Modekenner schätzen, dass sich der Kauf vor allem von Luxus-Taschen besser in einem Geschäft zelebrieren und genießen lässt. Da der Preis des neuen guten Stücks auch jenseits der 20.000 Euro liegen kann, scheint das eine plausible Erklärung. Dass Frauen grundsätzlich bereit sind, für die Lieblingstasche tief in die bereits vorhandene  zu greifen, beweist eine Umfrage des Online-Luxustaschenhändlers Fashionette. Danach würden 22 Prozent der Befragten ohne mit der Wimper zu zucken, zwischen 1000 und 1500 Euro berappen; 19 Prozent bis zu 1000 Euro und immerhin noch 16 Prozent bis unter 2000 Euro.

Ob Margaret Thatcher jemals auch nur annähernd so viel Geld für eine Tasche ausgegeben hat, darf bezweifelt werden. Eine Tatsache hingegen ist: Tasche und Trägerin passten perfekt zusammen. Die quadratische robuste Ledertasche in schlichtem Schwarz lehrte die Mitglieder des britischen Parlaments sogar das Fürchten. Denn die Tasche enthielt jede Menge offizielle Dokumente, deren Erkenntnisse sie schlagkräftig in Parlamentssitzungen einbrachte. Wenn sie ihre große schwarze Tasche gut sichtbar auf der Regierungsbank abstellte, wusste jeder, dass es jetzt rund gehen würde, sagten Parlamentarier in den 1980er Jahren. Böse britische Zungen nannten es auch den Auftakt, um »Minister zu terrorisieren«. Die Tasche prägte eine ganze Ära und sorgte sogar für einen neuen umgangssprachlichen Ausdruck, der in die Annalen des Oxford English Dictionary eingegangen ist: »handbagging«. Bis dahin existierte ein solcher Begriff gar nicht. Heutzutage steht er dafür, jemandem verbal eine Tasche um die Ohren zu hauen.

Seitdem hat zwar nie wieder eine Damenhandtasche so viel Einfluss auf Sprache und Wahrnehmung gehabt, dafür aber setzt in den 90er Jahren ein nie gekannter Siegeszug der Handtasche ein. Der Markt für dieses Accessoire explodierte förmlich – nicht zuletzt das Ergebnis erfolgreichen Merchandisings der US-Erfolgsserie »Sex and the City«, in der Hauptdarstellerin Carrie Bradshaw nicht nur durch wenig arbeiten, viel ausgehen und mit Freundinnen freizügig über Sex reden einen neuen Lebensstil kreiiert, sondern auch durch sündhaft teure Designer-Klamotten und in New York eigentlich untragbare Schuhe – und jede Menge Handtaschen in auffällig-verrückten Outfits. Fendis »Bagu­ette«, die Carrie Bradschaw in der Serie lässig über die Schulter geworfen trägt, war 1997 die klassische It-Bag der ersten Stunde. Hartnäckig halten sich in der Modewelt die Gerüchte, denen zufolge die Tasche allein im ersten Jahr 100.000 mal verkauft wurde.

»Kaugummirosa und mit verspieltem Tüll«

Von da an geht es steil bergauf mit den sogenannten It-Bags, die offenbar viele Frauen besitzen mussten, um so cool wie Carrie zu sein. Wenn sie demnächst in der Neuauflage der Serie durch New York flaniert, hängt an ihrem Handgelenk eine winzig kleine Handtasche von Louboutin in »Kaugummirosa und mit verspieltem Tüll«, die von der Vogue als »kokett und witzig, aber trotzdem modebewusst« bezeichnet wird. Wenn die wichtigste Modezeitschrift der Welt, die mit einem einzigen Satz Designern zu Ruhm oder Absturz verhelfen kann, das Täschchen lobt, hat es sich als Verkaufsschlager qualifiziert.

Dauerbrenner »Birkin-Bag«

Die »Birkin-Bag« von Hermès ist hingegen seit Jahrzehnten ein Dauerbrenner. Die Tasche, die 1984 für die Schauspielerin Jane Birkin entworfen wurde, wird seitdem in Paris in begrenzter Stückzahl handgefertigt und steigt dadurch stetig im Wert. Wer eine der begehrten Taschen besitzen will, muss sich hinten anstellen. Die Warteliste bei Hermès liest sich wie das »Who-is-Who« der Haute-Volée. Die künstliche Verknappung ist ein Wertgarant für den französischen Hersteller von Luxusartikeln: In der vergangenen Dekade erzielte Hermès allein im Taschensegment eine Wertsteigerung von 108 Prozent. Der Goldpreis stieg in derselben Zeit um 29 Prozent.


Ein Beitrag von
Susanne Osadnik,
Chefredaktion Shopping Places*