Heutzutage muss man sich mehr anstrengen, um Geld zu verdienen

Nikolas Samios
Nikolas Samios

Interview
Fair Future

Susanne Osadnik

Nikolas Samios, Founding Partner von PropTech1 über die Konzentration auf europäische Start-ups, ESG-Kriterien als Geschäftsmodell und konkrete Wachstumsziele

Herr Samios, Sie haben eine illustre Schar an Investoren gewonnen. Selbst in jüngster Vergangenheit sind noch neue Venture-Partner dazugekommen. Gilt die Erfahrung, sich in Krisenzeiten mit Investitionen zurückzuhalten, nicht für Ihr Business?
Nikolas Samios: Zu Beginn einer Krise verhalten sich Investoren grundsätzlich erst einmal zurückhaltend, weil man nicht einschätzen kann, was da gerade passiert. Durch Covid-19 kam erschwerend hinzu, dass sich plötzlich niemand mehr so bewegen konnte, wie er es gewohnt war. Makler mussten auf Besichtigungen vor Ort verzichten; Mitarbeiter konnten sich nicht mehr im Büro treffen. Dadurch rückte die digitale Welt immer mehr in den Vordergrund. Nach dem anfänglichen Schock, den Corona ausgelöst hatte, kam man zu der Erkenntnis, dass diejenigen, die schon gut digital ausgerüstet waren, fast unbehelligt weiter arbeiten konnten. Und dann setzte die Aufholjagd ein. Faktisch haben sich zwei Effekte überlagert und dazu geführt, dass inzwischen kaum mehr jemand daran zweifelt, dass die Digitalisierung ein nicht aufzuhaltender und notwendiger Prozess ist. Und der kann nur mit entsprechenden Investitionen vorangetrieben werden.

Sie haben zurzeit neun PropTech-Start-ups im Fonds-Portfolio …
Ja, aber eine Nummer 10 gehört eigentlich auch schon dazu und wird demnächst öffentlich bekannt gegeben und eine Nummer 11 ist bereits in konkreter Planung.

Welche Anforderungen haben Sie an PropTech-Start-ups, die Sie auswählen?
Zunächst einmal geht es darum, interessante Angebote auf den Tisch zu bekommen. Bei uns sind das mittlerweile zwischen 30 und 40 potenzielle Kandidaten monatlich. Unseren Auswahlkriterien entsprechen allerdings nur wenige junge Unternehmen: Wir nehmen im Durchschnitt nur 1 von 100. Zum einen konzentrieren wir uns ausschließlich auf Angebote aus Europa, zum anderen auf Start-ups mit hohem Skalierungspotenzial. Wachstum von 40 Prozent jährlich sind dabei schon die Untergrenze. Damit fallen viele Gründer grundsätzlich aus, weil sie in Bereichen angesiedelt sind, in denen so schnelles Wachstum gar nicht möglich ist – etwa Betreiber von Co-Working-Spaces. Ein weiterer wichtiger Punkt ist aus unserer Sicht auch die Gesellschafterstruktur. Wenn beispielsweise 80 Prozent des Unternehmens jemand anderem gehört und denjenigen, die das Ganze voranbringen sollen, nur 20 Prozent, ist das keine gesunde Verteilung. Ein Start-up, das nach dem Prinzip eines Band-Castings zusammengestellt wurde, kann auf Dauer nicht die Leistungen bringen, die wir erwarten. Am besten ist es deshalb, wenn die Firmengründer noch dabei sind und auch die Mehrheit an ihrem Unternehmen halten.

Müssen die Start-ups schon einen gewissen »Reifegrad« erreicht haben, bevor sie für PropTech1 interessant sind?
Wir investieren in sehr unterschiedliche Reifegrade. In unserem Portfolio finden sich Firmen, deren Wert bei unserem Erstinvestment zwischen 3 und 50 Millionen Euro liegen. Generell unterstützen wir diese Unternehmen auch bei ihrer Entwicklung. Es geht ja nicht nur darum, eine zündende Idee zu haben. Vielmehr muss diese Idee möglichst schnell umgesetzt und marktfähig werden. Das ist zwar keine Raketenwissenschaft, wird aber häufig unterschätzt. Auch eine gute Finanzierungsbasis allein reicht nicht aus, um erfolgreich zu sein. Wenn ich nicht weiß, wo ich in der Wachstums­phase die entsprechend qualifizierten Mitarbeiter herbekomme, kann ich schnell scheitern. Um das hinzubekommen, brauche ich Zugang zu ganz anderen Strukturen und Netzwerken als sie ein Start-up für gewöhnlich besitzt.

Ihre PropTechs wurden auch in Corona-Zeiten mit Wachstumsfinanzierungen ausgestattet. Wer hat da wie viel auf welcher Grundlage bekommen?
Auch während der Pandemie war es erfreulicherweise möglich, neue externe Investoren für unsere Portfoliounternehmen zu gewinnen. Venture-Capital-Finanzierung ist ein durchgängiger Prozess, der sich über Jahre hinweg zieht. Wir forcieren das Wachstum durch entsprechende Kapitalspritzen, die je nach Entwicklungsstadium des Start-ups kleiner oder größer ausfallen können.

Es gibt in Deutschland Fördermittel und Corona-Hilfen von Seiten des Staates. Wie sieht es andernorts aus?
In der Schweiz war man sogar noch schneller und unbürokratischer als in Deutschland. Übrigens auch in den USA. Dennoch ist das auch in Deutschland sehr gut gelaufen: So konnte Seniovo, der digitale Ansprechpartner für barrierefreien Umbau, schon im September von Corona-Hilfen für Start-ups profitieren, während das in Hessen beheimatete Thing Technologies, das digitale Gehirn für smarte Gebäude, einen KfW-Schnellkredit sowie Corona-Fördermittel in den USA in Anspruch nehmen konnte. Und das Schweizer Immobilien-Datenanalyse-Start-up Archilyse bekam Mittel aus dem lokalen Corona-Paket des Regierungsrats der Zürcher Wirtschaft. So konnten wir schon einem Großteil unseres Portfolios mit Fördermitteln zusätzliche Liquidität verschaffen.

Sie wollen im europäischen Ausland Fuß fassen. Nach der DACH-Region ist London dazugekommen. Wie wichtig ist es, in Europa vertreten zu sein?
Eine europäische Plattform zu schaffen, war ja von Anfang an unser Ziel. Daran hat sich nichts geändert. Schon jetzt kommen 40 Prozent der Investmentangebote aus dem Ausland. Das künftige PropTech Nummer 10 stammt beispielsweise aus Großbritannien. UK ist ein starker Markt für Start-ups und ist daher auch für uns wichtig. Daneben werden wir uns in Richtung Nordeuropa, Benelux-Staaten und Niederlande orientieren. Vorstellen können wir uns aber auch Frankreich und das nahe Osteuropa.

Sie sagten kürzlich: »ESG ist für uns ein Geschäftsmodell, nicht nur eine Checkliste, die wir abarbeiten.« Wird das irgendwann common sense in der Immobilienbranche sein?
Wir leben von Veränderungen. Und die progressiven Kräfte werden von diesen Veränderungen profitieren. Hier sind Prozesse im Gange, die nicht mehr umkehrbar sind. Die Zeitenwende beim Klimaschutz ist irreversibel. Das ist bei einem Großteil der Player angekommen. Ebenso, dass soziale Fragen sich nicht länger ignorieren lassen und die Digitalisierung voranschreiten wird. Und ehrlich gesagt: Bei wem das alles immer noch nicht angekommen ist, der wird vielleicht morgen auch nicht mehr dabei sein. Auch in der Immobilienbranche gilt eine Form von »survival of the fittest«. Die innovativen Player haben verstanden, dass sich das Anlagekapital verschieben wird und Investoren eben bestimmte Standards verlangen. Wer die nicht erfüllt, spielt nicht mehr mit. Auch die Banken werden sich künftig stärker an ESG-Regularien orientieren und dann gibt es eventuell die Finanzierung für nicht-sanierte Wohnungen, die einen hohen CO2-Abdruck hinterlassen, nur zu hohen Aufschlägen – oder auch gar nicht. Wir sehen ja heute schon, dass sich große Wohnungsbauunternehmen ganz anders mit Energieverbrauch auseinandersetzen als früher. Haben solche Immobilienbestände über Jahrzehnte immer nur Energie verbraucht, versucht man heutzutage alles dafür zu tun, Energie zu sparen oder sogar einen Überschuss zu produzieren.

Dann braucht die Branche weniger »Überzeugungstäter« als vielmehr Pragmatiker, die die Zeichen der Zeit erkennen?
Traditionelle Player aus der ohnehin eher unbeweglichen Immobilienbranche tun sich schwer mit der Tatsache, dass der Turbo-Kapitalismus, der ja durchaus in den vergangenen Jahrzehnten seine Spuren hinterlassen hat, vorbei ist. Heutzutage muss man sich mehr anstrengen, um Geld zu verdienen. Der Druck von der Straße nimmt zu und wir werden immer stärkere Regulierungen nicht nur in den Städten sehen.

Dennoch wissen allein in Deutschland rund 70 Prozent der Menschen nicht, was ESG ist …
Das spielt keine große Rolle. Entscheidend ist, dass die großen Staatsfonds, Versicherungen, Rentenfonds verstanden haben, um was es geht. Da entsteht durch die Umverteilung von Anlagekapital ein ganz neuer Druck.

In diesem Zusammenhang wird auch Blackrock als prominentes Beispiel genannt …
Als einer der weltgrößten Vermögensverwalter setzt Blackrock jetzt immer stärker auf Nachhaltigkeit und auf Unternehmen, die ESG-Kriterien in den Fokus ihres unternehmerischen Handelns gerückt haben. Das tun sie nicht, weil sie selbst zu engagierten Umweltschützern geworden sind, sondern weil sich damit viel Geld verdienen lässt.

Das Interview führte
Susanne Osadnik,
Chefredaktion GCM