Hinter den Kulissen des W:O:A

Das W:O:A
Das W:O:A ist eines der größten Heavy Metal und Hardrock-Festivals in der Welt. © Abaca Press / Alamy Stock Foto

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Susanne Müller

Auf dem platten Land fing’s klein an, mittlerweile ist das Wacken Open Air weltberühmt. Thomas Jensen ist neben Mitveranstalter Holger Hübner eine der treibenden Kräfte des Kultfestivals und schnackt mit uns über die große Community, Herkules-Aufgaben und headbangende Business-People.

Für den internationalen Hype ums Wacken-Open-Air – kurz W:O:A – spricht der Run auf die Tickets: 80.000 Karten waren im Vorjahr binnen schlappen fünf Stunden weg. Der Event ist auch kein Festival im landläufigen Sinne, sondern vielmehr ein Gemeinschaftserlebnis – „großes Familientreffen“ nennt das Thomas Jensen. Kaum zu glauben bei rund 85.000 Menschen auf dem Gelände.

„Oh doch, wir haben viel Stammpublikum, man kennt sich auf dem Holy Ground“, beteuert er. Beispielsweise in Südamerika hat das W:O:A eine große Community oder auch in Indien, erfreut sich also weltweit eines Rufes wie Donnerhall. Das liegt zum einen an den exzellenten Metal-Bands, die dort alljährlich auftreten, aber nicht zuletzt auch an der unvergleichlichen Atmosphäre. Einzigartig ist zum Beispiel der Metal Battle für den Nachwuchs: Auf allen Kontinenten finden Vorentscheide statt. Die Gewinnerbands treten in Wacken dann zum Finale an – eine hoch emotionale Angelegenheit. Das Preisgeld ist mit 15.000 Euro dotiert, aber unbezahlbar sind der Fame und das Glück, vor einem solchen Publikum aufzutreten.

Kleinstadt in die Höhe ziehen

Eingefleischte Wacken-Fans wissen derlei Dinge natürlich. Was es aber an Leidenschaft und Einsatz braucht, um „eben mal kurz für ein Wochenende“ eine Kleinstadt in die Höhe zu ziehen, ist weniger bekannt. Thomas Jensen spricht von 18 Monaten Minimum, um das W:O:A auf die Beine zu stellen. Während die eine Auflage noch läuft, schauen die Macher schon längst wieder auf die nächste Veranstaltung – mit fließenden Übergängen.

Eine Wahnsinns-Logistik

Von den unglaublichen Anforderungen beim Auf- und Abbau ganz zu schweigen. „Die Logistik ist schon der Wahnsinn“, plaudert Thomas aus der Schule. „Wir bespielen schließlich 350 Hektar Fläche mit allen Facetten des kommunalen Zusammenlebens, von der Nahversorgung über die Entsorgung bis hin zur Energie. Auf der grünen Wiese muss jede Steckdose einzeln installiert werden. Abwasser, Frischwasser, Strom – all diese Komponenten arrangieren wir in guter Zusammenarbeit mit der Gemeinde Wacken jedes Jahr neu. Itzehoe ist unsere Kreisstadt hier – und die hat nicht einmal die Hälfte der Einwohner wie wir Besucher bei unserem Festival. Das zeigt die Dimensionen.“ Hinzu kommen die Abstimmung mit den Landwirten und die Verträge mit den Lieferanten. Viele dieser partnerschaftlichen Beziehungen bestehen zum Glück schon lange.

Großes Gemeinschaftsprojekt

Thomas Jensen profitiert bei der Festivalorganisation von seiner Abstammung aus einer alteingesessenen Handelsfamilie, vermag das Versorgungsfeld für Wacken gut zu überblicken. „Gastronomie, Sanitäter, Security, die Kräfte am POS– ja, das ist schon eine Riesen-Aufgabe. 4000 bis 5000 Leute sind bei uns im Einsatz und stellen sicher, dass alle eine gute Zeit haben.“ Sämtliche Gemeinden um Wacken herum unterstützen das Festival. Allein 17 Feuerwehrzüge werden abkommandiert – unter Koordination von Matthias Vemohr, der Teil der Wacken-Urfamilie ist, als gelernter Techniker das entsprechende Know-how hat und sein Können auch schon beim European Song Contest in Baku unter Beweis stellte.

Top-Produktionen auf der Stage

Dem Aufbau der vier Bühnen kommt eine besondere Bedeutung zu: „Schließlich stehen bei uns einige der größten Produktionen Deutschlands auf der Stage“, sagt Thomas Jensen. „Viele Künstler kommen seit Jahren. Motörhead zum Beispiel hatten eine sehr enge Verbindung zum Management und waren stets gern gesehene Gäste.“ Von Iron Maiden über Slayer bis Machine Head geben sich die Superstars die Klinke in die Hand – und auch hier finden sich wieder familiäre Strukturen. Das bei einem Aufgebot von mehr als 150 Bands pro W:A:O, dazu Special-Shows, Party- und Walking-Acts und vielem mehr.

Ursprung in der Dorfkneipe

Hätte der E-Bassist das mal geahnt, als er mit Mitorganisator Holger Hübner, einem Discjockey, und zwei weiteren Kumpels 1989 in der Wackener Heimatkneipe über der Idee brütete. „Wir waren Musikverrückte, die einfach mal eine amtliche Metal-Party organisieren wollten, weil im ländlichen Raum sonst nichts lief“, erinnert sich Thomas Jensen. Und die Jungs vom Dorf, alle in Wacken und Umgebung  fest verwurzelt, stellten Erstaunliches auf die Beine. Viele Verbindungen in der Region halfen, den Traum zu verwirklichen. 1990 war’s dann so weit: Die erste Ausgabe fand in einer Kiesgrube statt, mit Headliner Skykline und fünf weiteren Bands, und schlug trotz damals noch eher unspektakulärem Werbeplakat bei den immerhin schon 800 Festival-Besuchern stimmungsmäßig gleich ein wie eine Bombe.

Wacken als TV-Serie

Diese allererste Vorlage war Basis für eine Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht. Der Ruhm mehrte sich von Mal zu Mal, und längst gilt Wacken als Hautstadt des Heavy Metal. 2019 gab’s für die Macher den Verdienstorden des Landes Schleswig Holstein. Und erst kürzlich hat RTL+ die sechsteilige Drama-Serie „The Legend of Wacken“ produziert, mit Top-Schauspielern wie Charly Hübner, Aurel Manthei und Katharina Wackernagel oder auch Metal-Legende Doro Pesch, alles unter Regie des norddeutschen Filmemachers Lars Jessen. Thomas Jensen und Holger Hübner sind begeistert und durften bei der Premiere auf dem Münchener Filmfest und den Hamburger Zeitreise Kinos natürlich nicht fehlen.

Das internationale Echo aufs W:O:A ist gewaltig. „Bei uns sind mehr Medienvertreter vor Ort als auf der EXPO“, erzählt Thomas. Der deutsche Metal-Hammer ist seit 2003 unser Medienpartner –die Kollegen vom bekannten Metal-Magazin Aardschok aus Holland sind ebenso vertreten wie beispielsweise die FAZ oder Journalisten aus den USA. Aber auch Schülerzeitungen dürfen vor Ort berichten.“

Gartenparty zu lauter Musik

Was macht denn nun diesen einzigartigen Spirit von Wacken aus? „Einmal im Jahr feiern wir eine ganz große Gartenparty zu lauter Musik“, sagt Thomas Jensen. „Man läuft über den Acker und staunt immer wieder, wie viele Menschen sich kennen. Das ist beeindruckend! Auch das Camping ist über die Jahre gewachsen. Da hat dann jeder seine Aufgabe – Grillmeister, Techniker und so weiter. Aber die Urmotivation und der Katalysator ist die Musik. Ich kenne keine andere Szene, in der das Gemeinschaftsgefühl so stark ist. Viele Besucher sehen Wacken wie die Olympischen Spiele: Dabei sein ist alles!“

Dienstleister mit Herzenssachen

Die Organisatoren gehen aber auch mit einem gewissen Pragmatismus an die Sache heran. „Im Grunde sind wir Dienstleister für unsere Heavy-Metal-Stadt. Generell steigen bei uns die Anzahl der Partner und die Vielfalt der Produkte.“ Und diese Auswahl gibt auch Gelegenheit, Herzensprojekte umzusetzen. „So werden wir den Farmers Market massiv ausbauen“, erzählt Thomas Jensen. „Und für die Aktion für bedrohte Tierarten unseres Partners Krombacher ist Wacken als ländliche Region geradezu prädestiniert. Die globalen Themen Arten- und Naturschutz und Nachhaltigkeit liegen uns sehr am Herzen.“

Wacken steht für Freiheit

Wenn in Wacken alles auf Schwarz steht, sind immer auch zahlreiche Retail-People und Mitglieder des German Council of Shopping Places dabei – sie haben sich längst als ganz große Wacken-Jünger geoutet. Selbst beim GC-Congress liefen schon entsprechende Hymnen, und die Wacken-Jungs waren auch 2016 bei einem Event im Berliner Adlon zu Gast.  „Viele lieben einfach die Musik“, weiß Thomas Jensen. „So mancher von ihnen besucht mehr Konzerte als ich. Aber Wacken steht auch für Freiheit. Die Metal-Szene bildet den Großteil der Gesellschaft ab – wobei wir natürlich nur die Besten haben. Niemand ist hier out of Space, jeder hat seine Geschichte. In unserer Jugend war Metal wichtig, um sich abzugrenzen, seinen Weg zu machen. Eine gute Platte hat über schwere Zeiten hinweggeholfen und der Sound von Judas Priest nach einem langen Tag wieder aufgebaut. Das ist in den Herzen verankert.“

Fels in der Brandung

Und er sinniert: „In Wacken finden sich viele Gleichgesinnte – und gewachsene Strukturen. Gerade in einer komplett schnelllebigen Zeit wie der heutigen ist eine solche Veranstaltung wie ein Fels in der Brandung.“ Die Liebe zur Musik habe ihm immer Glück gebracht, zieht Thomas Jensen Fazit. „Wenn zur Passion dann Professionalität und Erfahrung hinzukommen, kann Magisches entstehen.“

Susanne Müller