Idealerweise sollten siebzig Prozent begrünt werden ...

Dirk Arenz
Dirk Arenz © Drees & Sommer

Interview
Menschen

Susanne Osadnik

Dirk Arenz, zertifizierter Starkregenberater bei Drees & Sommer, über die Gefährlichkeit von Starkregen, geeignete Präventionen - und was Ackerfurchen damit zu tun haben.


Herr Arenz, was genau macht ein Stark­regenberater?
Dirk Arenz: Es geht in erster Linie darum, Probleme zu lösen. Dazu werden die Gegebenheiten vor Ort analysiert, Gebäude genau inspiziert, um Gefahrenquellen auszumachen. Alles dreht sich immer um die Frage: Wo kann theoretisch Wasser eindringen? Wo sind die Schwachstellen des Gebäudes? Ich sehe mir aber auch das gesamte Umfeld an und beziehe es in die Analyse mit ein. Hanglagen, die Nähe zu Wasser, aber auch der abschüssige Acker nebenan können zur potenziellen Gefahr bei Stark­regen werden.

Was macht Starkregen so gefährlich?
Starkregen setzt ohne Vorwarnung ein. Er kommt plötzlich und heftig und hat das Überraschungsmoment auf seiner Seite. Bei Hochwasser ist die Bevölkerung schon Tage vor der Überschwemmung gewarnt, weil die Pegel der Flüsse kontinuierlich steigen. Starkregen ist insofern gefährlicher, weil man nicht weiß, wo er genau einsetzt. Wir sehen nur, dass er immer häufiger auftritt und großen Schaden anrichtet.

Welche grundsätzlichen Schwachpunkte haben Gebäude?
Türen, Fenster, Lichtschächte und Tiefgarageneinfahrten. Alles gehört grundsätzlich auf den Prüfstand. Moderne Türen mit dreifach Dichtung können teilweise verhindern, dass Wasser eindringt. Bei älteren Türen sieht das schon anders aus. Dasselbe gilt für alte Fenster  ohne oder mit defekten Dichtungen, durch die Schlagregen problemlos eindringen kann.  Vor allem in älteren Schulgebäuden könnte man durch den Austausch von Fenstern im Untergeschoss Wasserschäden vorbeugen.

Tiefgaragen sind aufgrund ihres Gefälles schon eine Einladung für Wasser?
Ja, durch das Gefälle kann das Wasser sehr schnell und ungehindert eindringen und die Garagen überschwemmen. Das ist aber durch einfache Maßnahmen gut in den Griff zu bekommen. Man kann auf Höhe der Einfahrt – also am höchsten Punkt – eine Schwelle einbauen, die das Wasser bei möglichem Starkregen nicht so einfach überwinden kann. Da reichen je nach Örtlichkeit schon wenige Zentimeter. Das ist eine Höhe, die auch für die darüber fahrenden Autos kein Problem ist.

Was macht man mit den Lichtschächten?
Lichtschächte werden bei Vorsorgemaßnahmen häufig vergessen, sind aber durchaus ein Schwachpunkt. Wenn man sie beispielsweise rund zwanzig Zentimeter höher baut oder später in dieser Höhe ummauert, sodass das Gitter höher liegt, ist das schon mal eine Hürde für eindringendes Wasser. In den meisten Fällen reicht das aus, um das Gebäude zu schützen.

Das sind Maßnahmen, die greifen, wenn das Wasser überirdisch eindringt. Welche Maßnahmen gibt es, wenn Wasser von unten nach oben gedrückt wird – etwa, wenn die Kanalisation mit den Wassermassen überfordert ist.
Wir haben vor allem bei älteren Gebäuden das Problem, dass Rückstausicherungen fehlen. Das sind Klappen in Abwasserleitungen, die sich schließen und damit das Wasser nicht ins Gebäude lassen. Grundsätzlich muss immer mit einem Rückstau gerechnet werden. Ist der Kanal oder eine Anschlussleitung in Fließrichtung des Abwassers voll – entweder mit Wasser oder auch Schmutz – kann anfallendes Abwasser nicht abfließen, kommt es zum Rückstau. Dies stellt eine große Gefahr für Abläufe innerhalb des Straßenniveaus dar. Deshalb sollten auch im eigenen Haus alle tieferliegenden Ablaufstellen mit einer entsprechenden Rückstausicherung ausgestattet werden. Entscheidend ist dabei die Höhe des Hauses zur jeweiligen Rückstauebene. Das ist in den meisten Fällen der Kanaldeckel auf Straßenhöhe. Liegt ein Haus tiefer als die Straße, ist es daher gefährdeter als ein Gebäude oberhalb der Straße.

Wie gefährlich Regen sein kann, haben die meisten von uns bis zum vergangenen Sommer unterschätzt. Wäre durch entsprechende Beratung eine Katastrophe wie im Ahrtal zu verhindern gewesen?
So schrecklich die Überflutung des Ahrtals auch war – vor allem, weil Menschen dabei ums Leben gekommen sind und andere vielleicht ihr Zuhause für immer verloren haben – es hätte nicht verhindert werden können. Man hätte die Katastrophe selbst mit einem sehr guten Hochwasserschutz höchstens abmildern können. Grundsätzlich waren die Wassermassen in so kurzer Zeit einfach zu viel für die gesamte Region. Es hört sich immer schlimm an, das sagen zu müssen: Aber entsprechende Infrastrukturmaßnahmen zum Schutz für solche extrem gefährdete Gebiete, wenn die überhaupt technisch machbar wären, stünden in keinem wirtschaftlichen Verhältnis zum Nutzen, weil solche Ereignisse wie im Ahrtal statistisch gesehen deutlich seltener als alle fünfhundert Jahre eintreten. Dass so etwas in den kommenden hundert Jahren wieder passiert, ist statistisch gesehen sehr unwahrscheinlich.

Auch angesichts der Häufigkeit von Starkregen und Unwettern mit lokalen Tornados, wie wir sie bislang gar nicht kannten?
Wir werden uns grundsätzlich auf häufigeren Starkregen und extreme Wetterereignisse einstellen müssen. In den vergangenen Jahren haben wir immer häufiger erlebt, dass das Hochwasser auf fünf oder sechs Meter gestiegen ist. Zum Vergleich: Im Ahrtal lag der Wasserstand bei geschätzt neun Metern – also gut drei Meter über den bisher bekannten  Höchstständen, die wir als katastrophal bezeichnen. Das ist der höchste Wert gewesen, den wir bislang gemessen haben.

Dass die Elbe oder die Oder über die Ufer treten, haben wir in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder erlebt. Wir erinnern uns alle an die inzwischen zwanzig Jahre alten Bilder eines Kanzlers Gerhard Schröder in Gummistiefeln in Sachsen, wo die Oder selbst Teile der Dresdner Innenstadt unter Wasser gesetzt hatte. Hätte man daraus nicht viel früher Lehren ziehen müssen?
Das Bewusstsein in der Bevölkerung für Hochwasser ist schon länger vorhanden. Seitdem ist schon viel in den Hochwasserschutz investiert worden. Aber hundertprozentige Sicherheit gibt es nun mal nicht. Das Thema Starkregen ist zwar nicht ganz neu, aber die Sensibilität in der Bevölkerung fehlt zum Teil noch, dies kommt erst nach und nach und damit auch das Bewusstsein für Schutzmaßnahmen gegen Starkregen. Ein Hochwasser verhält sich ganz anders als ein örtlich sehr begrenzter plötzlich auftretender Starkregen.

Eine aktuelle Studie kommt zu dem Schluss, dass generell zu wenig getan wurde, um Überflutungen zu verhindern. Betroffene Städte und Gemeinden sollen verpflichtet werden, Gefahren- und Risiko-Karten zu erstellen. Auf denen müsste Straße für Straße gekennzeichnet werden, wie hoch die Überschwemmungsgefahr für die Anlieger ist. Eine gute Idee?
Wenn solche Karten grundsätzlich für die Allgemeinheit einzusehen sind, wird das nur zu mehr Verunsicherung führen. Denn diese Karten muss man interpretieren können. Laien sehen beispielsweise nur irgendwo eine rote Fläche, die einen Meter Wassertiefe markiert und gehen davon aus, dass alles in diesem Gebiet sofort unter Wasser steht, sobald es kräftig regnet. Ihnen fehlen viele zusätzliche Informationen, die notwendig sind, um die Lage wirklich beurteilen zu können. Außerdem könnte sich das Ganze auch nachteilig für Immobilienbesitzer auswirken, wenn Versicherungen sich ebenfalls an diesen Karten orientierten. Dann würden sie vermutlich die Policen erhöhen oder aber bestimmte Eigenheime gar nicht mehr versichern. Eine fachtechnische Interpretation der Gefahrenkarten ist daher unabdingbar.

Was schlagen Sie stattdessen vor?
Es wäre wünschenswert, wenn Städte und Gemeinden bei der Planung von Neubaugebieten von vornherein festlegten, wie hoch der Anteil der Grünflächen sein soll. Idealerweise sollten siebzig Prozent begrünt werden. Das kann man mit grünen Flächen, aber auch mithilfe grüner Dächer bewerkstelligen. Der Trend zu Steingärten und zugepflasterten Einfahrten ist eine ökologische Katastrophe, die sich immer mehr rächen wird. Denn diese versiegelten Flächen verhindern das Versickern von Regenwasser in den Boden und tragen so zur Gefahr von Überschwemmungen bei – und sorgen bei zunehmender Trockenheit auch noch für große Hitzeentwicklung. Ein größerer Anteil an Grünflächen und Wiesen würde nicht nur Wasser versickern lassen, sondern gleichzeitig auch für bessere Kühlung im Sommer sorgen. Auch Bäume könnten einen wichtigen Beitrag leisten: Würde man beim Pflanzen unter jeden Baum einen Behälter installieren, hätte der Baum nicht nur seine eigene Zisterne, sondern könnte so auch dafür sorgen, dass weniger Regenwasser in der Kanalisation landet.

Finden Ihre Vorschläge Anklang bei Städten und Kommunen?
Es ist noch ein weiter Weg, aber ihn nicht zu gehen, wäre auch keine Lösung. Gelegentlich werde ich schon von den Tiefbauämtern zu Vorträgen eingeladen, bei denen ich auf die verschiedenen Möglichkeiten zur Prophylaxe aufmerksam machen kann. Das ist häufig Basisarbeit, um erst einmal die unterschiedlichen Entscheidungsträger zum Umdenken zu bewegen. Wenn etwas über Jahrzehnte immer gleich gelaufen ist, fällt es schwer, sich andere Ansätze oder Handlungsweisen vorzustellen.

Was können Eigenheimbesitzer tun, um sich vor Schäden durch Starkregen zu schützen?
So viele Grünflächen wie möglich schaffen und so wenig zupflastern wie nötig – auch wenn das mehr Gartenarbeit bedeutet. Der Gewinn ist aber enorm. Mulden neben dem Haus sind ebenfalls ein einfaches und kostengünstiges Mittel, um zu verhindern, dass Wasser ins Haus eindringt. Wer neu baut, kann auch im Vorfeld überlegen, wie man möglichst wenige Öffnungen auf Bodenebene hinbekommt. Auch eine tiefer gelegte Terrasse, die über zwei Stufen nach unten vom Wohnzimmer aus zu erreichen ist, verhindert, dass Regen eindringt. Selbst die Gestaltung der Fassade ist ein nicht zu unterschätzender Faktor: Klinker mit Dämmung darunter sind nicht gut geeignet, weil dadurch Wasser hinter die Fassade eindringen kann. Besser ist ein glatter Putz, der dem Wasser keine Angriffsfläche bietet. Und natürlich sollte man immer Rückstausicherungen einbauen. Entsprechende Maßnahmen sind jedoch immer grundstück- und standorttypisch zu bewerten.

Und was mache ich, wenn mein Haus einen abschüssigen Acker vor der Tür hat?
Am besten mit dem Bauern reden. Das hat sich bislang als sehr effektiv erwiesen. In einem Fall haben wir den Bauern angeregt, einfach die Pflugrichtung zu wechseln. Statt längsseits zu pflügen, die Bahnen quer zu ziehen, hatte den Effekt, dass das Wasser nicht mehr unkontrolliert den Hang hinunterlief, sondern sich in den quer gepflügten Rinnen sammelte und versickern konnte. Damit war das Problem schon gelöst.