Invasion aus Fernost
Aktuelles
Tacheles
Susanne Müller
Chinesische Akteure greifen massiv den europäischen Handelsmarkt an. Vor dem Hintergrund beispielsweise der Schließung von Galeria-Kaufhäusern räubern sie locker am deutschen Markt und haben inzwischen auch Europa gut im Klammergriff. Erkenntnisse liefert Wirtschaftswissenschaftler Professor Dr. Gerrit Heinemann, Leiter eWeb Research Center bei der Hochschule Niederrhein.
Künstliche Intelligenz und in diesem Zusammenhang der nicht mehr so ganz heimliche Siegeszug chinesischer Plattformen treibt die Branche um – unter anderem waren dies Top-Themen auf der Konferenz K5 – The Future of Retail in Berlin, ein namhaftes Meeting der E-Commerce-Community. Fazit: Die China-Plattformen sind sehr viel aggressiver als vermutet. Geahnt hat das die europäische Retail-Branche zwar schon länger – aber nicht gegengesteuert.
Angriff auf die Märkte
„Die Schlüsselfrage ist: Hat ein Angriffskrieg auf europäische Handelsmärkte begonnen“, stellt Gerrit Heinemann in den Raum, „und welche Konsequenzen hat er? Den Kopf in den Sand zu stecken, ist keine Option. In diesem Zusammenhang sind Multilabel-Händler in der Defensive, weil sie austauschbar sind – außer sie bieten einen ganz besonderen Mehrwert. So befeuern sie die China-Invasion.“
Starthilfe aus Deutschland
Mit Blick auf den deutschen Markt findet Professor Dr. Heinemann klare Worte. „ Galeria ist relevant als Beispiel dafür, wie völlig verpeilt die deutsche Regierung agiert. Der Warenhaus-Scheinriese ist mittlerweile zu einem Handelshospiz degeneriert – nicht einmal mehr Jurassic Parc mit noch lebenden Aggressoren. In dieses Auslaufmodell hat der Staat nicht nur über eine Milliarde Euro inklusive Insolvenzgeld gesteckt, auch die Gläubiger haben dreimal auf insgesamt rund vier Milliarden Euro verzichtet. Übrig geblieben ist ein Gebilde ohne Zukunftschancen mit nicht einmal mehr zwei Milliarden Umsatz. Sollte stattdessen die Regierung nicht das Geld in deutsche Start-Ups, Unternehmensgründungen und in die Ausbildung gesteckt haben, um kriegstüchtig gegen die chinesischen Plattformen zu sein“, fragt er.
Insolvenz als Geschäftsmodell
Die jeweils nächste Insolvenz sei ein Geschäftsmodell geworden, prangert der Experte an – er spricht sogar von einer Insolvenzkaskade wie am Beispiel Galeria. „Das permanente Reinpumpen von Geldern und übertriebene Subventionen sind ein Fehler. Leider lässt das Insolvenzrecht derartige Praktiken zu. Da werden Massekredite gewährt, und die Insolvenzverwalter langen voll zu. Das ist unerträglich.“
Bürokratie und Personalmangel
Der Handel leide ohnehin unter Überbürokratisierung, die ständig weiterbetrieben werde. „Jedes kleinste Unternehmen ist dazu gezwungen, alles zu dokumentieren. Hinzu kommt der übergroße Personalmangel – das ist ein Riesenproblem. Migration heißt keineswegs, dass alle Stellen auch besetzt werden können. Das funktioniert in anderen Ländern, aber nicht in Deutschland. Bei uns sind 25 Prozent der Migranten in Beschäftigung – anderswo bis zu 75 Prozent.“ Den Einsatz von Verbänden und Arbeitsämtern findet er in diesem Zusammenhang „ausufernd, komplex, überfordernd“.
Siegeszug der KI
Wie ließen sich diese Probleme lösen? „Ganz einfach“, sagt Professor Dr. Gerrit Heinemann: „Der Handel muss sein verstaubtes Arbeitsimage ablegen, unschöne Arbeitszeiten abschaffen, die Mitarbeiter gut bezahlen, möglicherweise die Öffnungszeiten reduzieren oder stärker auf Automatisierung setzen.“ Menschliche Arbeitskraft ließe sich durch KI ersetzen: „In zehn bis zwanzig Jahren werden wir ohne Mitarbeiter auskommen“, gibt er eine Prognose. „In China sind bereits vor zehn Jahren Roboter in der Gastronomie im Einsatz gewesen, die am Tresen die Getränke ausgegeben haben.“ Der Siegeszug der AI beschränke sich nicht auf intelligente Chatbots im Online-Geschäft, sondern erfasse zunehmend auch den stationären Handel. Einer Studie der Universität Leipzig zufolge müsse die Anwendung von KI pro Jahr anteilig um sieben bis acht Prozent gesteigert werden: „Oder wir müssen ab sofort jedes Jahr 250.000 Stellen mit Migranten besetzen, davon mindestens rund 20.000 im Handel.“
Direct to Customer
Die dritte Stufe des weltweiten Handelskrieges wird gerade gezündet, ist Professor Heinemann überzeugt. Dieser erinnert an die vor 2500 Jahren von Sunzi erfundene Kunst des Krieges: Nachdem die Händler der westlichen Welt fast ausnahmslos aus China ihre Ware beziehen und in die Abhängigkeit gebracht wurden (Stufe Eins), zugleich China in den letzten 15 Jahren massiv digital aufgerüstet und mit der neuen Seidenstraße die erforderliche logistische Infrastruktur errichtet hat (Stufe Zwei), exportieren chinesische Plattformen mit dem Geschäftsmodell „Direct to Customer & Customer to Manufactori“ nunmehr die in China produzierte Ware direkt an die Endkunden in der westlichen Welt und nutzen kreativ Gesetzeslücken, um beispielsweise Zölle zu umgehen oder Mehrwertsteuer nicht abzuführen. Stufe Vier könnte der exklusive Verkauf chinesischer Hersteller ausschließlich über die chinesischen Plattformen sein. Wie die fünfte Stufe aussehen könnte, wurde vorigen September mit Apple deutlich, als die Benutzung von iPhones für alle chinesischen Regierungsmitglieder sowie von ChatGPT über die Apple-Sprachfunktion Siri verboten wurde und der Apple-Kurs mal eben um 20 Prozent einstürzte. Immerhin werden noch 90 Prozent aller iPhones in China produziert und rund ein Viertel davon in China verkauft. Apples Marktanteil in China fällt dabei derzeit ins Bodenlose mit minus 25 Prozent Dauerrückgang, während Huawei bereits auf Platz Eins aufstieg. Die Smartphones dürften den Lackmustest für die deutschen Autos darstellen, so Professor Heinemann.
Schädliche Praktiken
Im Raum stehe somit ein Drohpotenzial: „Seitdem China forciert eigene Smartphones und E-Autos produziert, machen die Absatzzahlen der ausländischen Markenanbieter in China einen Sturzflug. Die Volkswagen-Absatzzahlen haben sich bereits halbiert. Zweifellos verwerflich, aber wir nehmen das sehenden Auges in Kauf. Unsere ‚bunte‘ Regierung ist an Naivität nicht zu überbieten. Es muss gehandelt werden, bevor die westliche Welt komplett in Abhängigkeit gerät! Amazon stellt sich in punkto Chinaware schon massiv auf, senkt die Gebühren und will eine Billigplattform gründen. Auch AboutYou hat erklärt, das Geschäftsmodell von Shein kopieren zu wollen. Die Export-Import-Lücke wird immer größer. Customer to Manufacturer – kurz C2M – ist ein völlig neues Geschäftsmodell. Shein beispielsweise produziert täglich fünf- bis achttausend neue Artikel, die es vorher noch nicht gab. So entscheiden quasi die Kunden, was hergestellt wird. Derartige Praktiken werden der Wirtschaft unweigerlich schaden.“
Susanne Müller