Kein Zutritt für Viren

Greengate, Bonn
Greengate, Bonn

Fair Future

Richard Haimann

Seit Beginn der Corona-Krise arbeiten Immobilienunternehmen daran, Gebäude infektionssicher zu machen. In Bonn entsteht derzeit mit dem »Greengate« einer der ersten pandemiesicheren Bürotürme der Welt. Das Konzept kann auch auf Shopping Center übertragen werden. Der Clou dabei: Wenn Viren und Bakterien der Garaus gemacht werden kann, gibt es keinen Grund mehr, bei künftigen Pandemien Center und Ladenpassagen zu schließen oder eine Maskenpflicht zu verhängen 

Vor dem Eingang prüfen Thermokameras die Körpertemperatur. Nur wenn der Wert unter der Fieberschwelle von 37,7 Grad Celsius liegt, öffnen sich die Pforten. Die Luft im Innenraum wird nicht nur durch Filter von Bakterien, Pilzsporen und Viren gereinigt: Wie in Operationssälen von Krankenhäusern machen Ionisatoren mit elektrisch aufgeladener Luft Krankheitserregern in Sekunden den Garaus. Sämtliche Türgriffe, Handläufe in Treppenaufgängen und  Bedienknöpfe der Fahrstühle tragen antimikrobielle Oberflächen. Die Wasserhähne und Spülungen auf den Toiletten reagieren kontaktlos auf Handzeichen – in Bonn zieht die MAG Grundbesitz mit dem Greengate gerade eines der ersten pandemiesicheren Bürogebäude der Welt hoch.

Seit Beginn der Covid-19-Pandemie versuchen Eigentümer von Büro-, Einzelhandels- und Wohnimmobilien die Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus in ihren Gebäuden einzudämmen. »Pandemie-Prävention spielt aktuell eine Schlüsselrolle bei Immobilien«, sagt Resul Kilic, Niederlassungsleiter in Frankfurt am Main bei dem global tätigen, auf Um- und Ausbauten spezialisierten Baukonzern ISG. Im Greengate, das gegenüber dem DHL-Tower, dem Hauptsitz der Deutschen Post, im ehemaligen Bonner Regierungsviertel mit seinen 13 Geschossen in die Höhe wächst, wird an Hygienetechnik zusammengefasst, was der Markt derzeit hergibt. »Wir haben das Rad nicht neu erfunden, aber wir bringen es nun zum Rollen«, sagt MAG-Grundbesitz-Inhaber Marc Asbeck.

Büroarbeitsplätze sind Virenschleudern

Mit den Planungen wurde bereits vor der Pandemie begonnen. »Klassische Büroarbeitsplätze sind Virenschleudern«, sagt Asbeck. Regelmäßig jedes Jahr im Spätherbst und Winter hätten grippale Infekte und die Influenza die Krankenstände in den Unternehmen in die Höhe getrieben. »Sieben Prozent der Beschäftigten sind deshalb im langjährigen Durchschnitt zeitweise ausgefallen«, sagt Asbeck.

Diese Zahlen ließen beim Bonner Projektentwickler bereits vor Jahren die Idee für Greengate reifen. »Am Anfang stand die Frage, wie ein Bürogebäude konzipiert werden muss, um Infektionen zu verhindern, damit die Produktivität der Unternehmen im Winterhalbjahr nicht sinkt«, sagt Asbeck, der selbst schon lange darauf achtet, sich nicht die Grippe zuzuziehen: »Von November bis März schüttele ich seit Jahren niemandem die Hand.«

Bis zu Beginn der Corona-Pandemie war der Unternehmer mit dieser Haltung eher ein Außenseiter. Die Influenza wurde als saisonale Infektionswelle von Unternehmen einfach hingenommen. Und ebenso der mit ihr einhergehende Krankenstand. »Vor Covid-19 war es schwierig, Immobilien unter dem Aspekt des Infektionsschutzes zu vermarkten«, sagt Thomas Beyerle, Chefresearcher der internationalen Immobilienberatungsgesellschaft Catella. »Heute ist dies zu einem massiven Verkaufs- und Vermietungsargument geworden« – nicht nur bei Büroliegenschaften, sondern auch bei Einzelhandelsimmobilien.

Eigentümer sogenannter pandemiesicherer Immobilien könnten höhere Mieten erzielen. »Investoren legen deshalb auch mehr Geld für solche Objekte auf den Tisch«, sagt Beyerle. »Derzeit sind unsere Kunden bereit, für Pandemieschutz höhere Ausgaben zu tätigen, um eigene Anforderungen zu erfüllen, die über die Arbeitsstättenverordnung hinausgehen«, sagt auch Kilic. Sogar Luftreinigungssysteme aus Krankenhäusern, die mit UV-C-Licht Viren und Keime beseitigen können, kämen nun in Gewerbeobjekten zum Einsatz.

Umfassender Infektionsschutz, höhere Mieten

Für Einzelhandelsimmobilien könnte ein massiver Infektionsschutz sogar ein wirksames Argument sein, um weitere Schließungen in einem künftigen Lockdown zu verhindern – und unsichere Konsumenten zu beruhigen, ist Beyerle sicher: »Wenn umfassende Technik Viren und Bakterien den Garaus macht, gibt es keinen Grund mehr, in einer Pandemie Shopping Center und Ladenpassagen zu schließen oder für deren Besucher eine Maskenpflicht zu verhängen.« Gleichzeitig dürften Kunden, die sich aufgrund von Vorerkrankungen vor einer Infektion fürchten, solche Geschäfte unbesorgt aufsuchen.

Der hohe technische Aufwand klingt zwar, als würde er immense Geldbeträge verschlingen. »Tatsächlich ist der Infektionsschutz jedoch gar nicht teuer«, sagt Asbeck. »Die Mehrkosten betragen nur sieben bis zehn Prozent gegenüber dem Bau einer herkömmlichen Gewerbeimmobilie, weil sämtliche angewendeten Technologien längst entwickelt sind.« Auch bereits bestehende Immobilien könnten entsprechend nachgerüstet werden, sollten die Eigentümer bereit sein, die nötigen Investitionen zu tätigen und deren Nutzer entsprechend höhere Mieten akzeptieren. Für Käufer und Eigentümer von Shopping Center seien die zusätzlichen Kosten gering im Vergleich zu den Mietausfällen in der Corona-Pandemie, sagt Researcher Beyerle. »Das Investment lohnt sich in jedem Fall.«

Lohnt sich die Umrüstung von Bestandsobjekten?

Denn die Verluste der Center während der Lockdowns war immens. Die Deutsche Euroshop, Eigentümer von 21 Einkaufszentren in Deutschland, Österreich, Polen, Tschechien und Ungarn, verbuchte im ersten Quartal dieses Jahres aufgrund des zur Infektionsbekämpfung verhängten Lockdowns bei den Umsatzerlösen einen Rückgang um 9,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf 51,9 Millionen Euro. Das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) fiel um 34,9 Prozent auf 31,4 Millionen Euro. »Es gibt positive Signale, die uns für den Sommer optimistisch stimmen«, sagt Vorstandssprecher Wilhelm Wellner. »Die Verfügbarkeit von Impfstoffen steigt stetig und der Impfstatus der Bevölkerung verbessert sich weiter.« Zudem sinken die Infektionszahlen seit Wochen rapide. Dennoch setzt die Deutsche Euroshop massiv auf Prävention. »In unseren Centern unterstützen wir den Geschäftsbetrieb durch umfangreiche Hygiene- und Schutzmaßnahmen und zusätzlich durch die Einrichtung von Testzentren«, sagt Wellner.

Aus Sicht von Immobilienexperte Günter Vornholz wird es auch künftig in vielen Fällen auch eher bei dieser Form der Präventivmaßnahmen bleiben. Der Professor für Immobilienökonomie an der EBZ Business School in Bochum bezweifelt, dass für die Eigentümer von Einzelhandelsimmobilien eine umfassende Nachrüstung bestehender Einzelhandelsimmobilien mit Ionisatoren, antimikrobiellen Oberflächen und Thermoscannern wirtschaftlich darstellbar ist. »Volkswirtschaftlich gesehen ist es natürlich sinnvoll, Infektionskrankheiten so massiv wie möglich einzudämmen«, sagt der Immobilienökonom. »Ob sich die Kosten für die Eigentümer rechnen, hängt jedoch davon ab, wie häufig es künftig zu Pandemien im Ausmaß von Covid-19 kommen wird.« Sollten in den kommenden Jahren keine neuen massiven Krankheitswellen auftreten, werde der Infektionsschutz für die Verbraucher schnell an Bedeutung verlieren. »Thermoscanner, die Besuchern mit einer leichten fiebrigen Erkrankung den Zutritt zu Geschäften verweigern, könnten dann eher kontraproduktiv sein«, sagt Vornholz. »Diese Konsumenten suchen dann andere Ladenzeilen auf, wo sie ohne Fieberkontrolle einkaufen dürfen.«

Pandemiesicherheit als neuer Standard

Researcher Beyerle hingegen erwartet, dass innerhalb der kommenden fünf Jahre Pandemiesicherheit für Gewerbeimmobilien zur Vorschrift wird. Nicht nur in Deutschland, sondern innerhalb der gesamten EU und Nordamerika. »2026 wird ein umfassender Schutz gegen die Verbreitung von Bakterien und Viren in Büro-, Einzelhandels- und Logistikimmobilien so selbstverständlich sein, wie die heute geltenden Energiesparauflagen«, sagt Beyerle. »Eigentümer, die jetzt schon ihre Gebäude umrüsten, und Investoren, die pandemiesichere Einkaufszentren erwerben, profitieren vom Image-Gewinn als Anbieter einer sicheren Shopping-Destination.«

In den USA arbeiten Projektentwickler und Immobilienunternehmen bereits mit Macht daran, neue, infektionsgeschützte Gewerbeimmobilien zu schaffen. Columbia Property Trust, Eigentümer von Office Towers an der Ost- und Westküste mit insgesamt 576.000 Quadratmetern Bürofläche, errichtet gerade am New Yorker Broadway gegenüber dem Union Square ein neues zwölfstöckiges Bürogebäude, dessen Türen, Fahrstühle, Lichtschalter, Waschbecken und Toiletten bedient werden, ohne Knöpfe oder Griffe zu berühren.

Touchless-Technologie in Manhattan

Der Projektentwickler RAL Companies & Affiliates zieht an der 14th Street in Manhattan den 22geschossigen Büroturm Zero Irving in die Höhe. Auch dort soll neueste Touchless-Technologie greifen. Per Smartphone-App werden die Beschäftigten Türen öffnen und Aufzüge rufen können. »Es wird ein völlig berührungsfreies Gebäude«, sagt RAL-Präsident Spencer Levine. Zudem erhält jedes Stockwerk eine separate Klimaanlage, damit Viren nicht von einem Geschoss ins andere gelangen können.

An ähnlichen Konzepten für bestehende und geplante Shopping Malls arbeiten Projektentwickler und Architekten in Chicago, Houston und Los Angeles. Das überrascht nicht: Mit mehr als 35 Millionen Infizierten und 600.000 Toten (Stand 14. Juni) verzeichnen die Vereinigten Staaten nach Erhebungen der Johns Hopkins University in Baltimore mehr Covid-19-Opfer als jedes andere Land der Welt.

Zugleich aber haben bis Mitte Juni knapp 64 Prozent der 331,5 Millionen US-Bürger ihre erste Impfdosis erhalten, 54 Prozent sind vollumfänglich vakziniert. Das dürfte dem stationären Einzelhandel bis zum Jahresende gute Zahlen bescheren. Insbesondere jenen Standorten, die mit guter Lage und guten Hygienekonzepten glänzen können, sagt Neil Saunders, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft GlobalData. »Die guten Malls werden wieder ein gutes Jahr verbuchen…«


Ein Beitrag von
Richard Haimann,
freier Journalist