Kraftstoff aus der Steckdose

Geschäftshaus »Hammer«
Geschäftshaus »Hammer« am Frankfurter Ring, München © Michael Voit

Herausforderung

Richard Haimann

Die Bundesregierung will Autofahrer vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb bringen, auch wenn die Strommobile bislang keine überzeugende Umweltbilanz aufweisen. Um die nötige Infrastruktur zu schaffen, müssen neue und modernisierte Gewerbeimmobilien künftig Ladestationen bieten. Der Handel zählt bei der Installation zu den Vorreitern in Deutschland

Fünf Geschosse im rechteckig-pragmatischem Bauhausstil mit Glas- und Betonfassade: Aus der Straßenperspektive betrachtet verrät das Geschäftshaus am Frankfurter Ring 15-17 im Norden Münchens nicht, dass es ein Pilotprojekt für zukunftsweisende energetische Konzepte ist. Erst ein Blick aus der Vogelperspektive  zeigt die Besonderheit: Das Dach des 9.000 Quadratmeter Mietfläche messenden Bürokomplexes ist seit einem Jahr komplett bedeckt von einer Photovoltaikanlage. Von ihr führen Leitungen in die Tiefgarage, wo sechs Ladestationen für Elektromobile installiert sind.

An dem Gebäude hat der Münchner Projektentwickler und Immobiliendienstleister Hammer beispielhaft gezeigt, wie sich Elektromobilität und CO2-neutrale Stromgewinnung netzverträglich in eine Mehr-Mieter-Gewerbeimmobilie integrieren lassen. Von einer »hervorragenden Konzeption« spricht Wolfgang Langen, Leiter des Referats Energieforschung im Bundeswirtschaftsministerium, der das Projekt beim Kongress »Energiewendebauten« 2019 in Berlin mit einem Preis ausgezeichnet hat.

Strom aus Wind, Sonne und Wasserkraft. Elektromobile statt Fahrzeuge, die Benzin, Diesel oder Erdgas verbrennen. Die Bundesregierung will seit Jahren die Energiewende voranbringen, um die Kohlendioxidemissionen langfristig gegen Null zu reduzieren. Denn das bei der Verfeuerung fossiler Brennstoffe entstehende Gas trägt mit zur globalen Erwärmung bei.

Verbrenner versus Stromer

Ob die von Berlin auch massiv mit Steuerermäßigungen geförderten Elektro-Fahrzeuge tatsächlich die Umwelt weniger beeinträchtigen als Automobile mit Verbrennungsmotoren, ist allerdings umstritten. Was klar für die Stromer spricht: Sie emittieren während der Fahrt keine Schadstoffe und sind damit in diesem Aspekt selbst Verbrennern mit modernster Abgasreinigung überlegen. Feinstaub durch Brems- und Reifenabrieb fallen hingegen auch bei Elektromobilen an – und deutlich mehr Kohlendioxidemissionen bei deren Herstellung. Lisbeth Dahllöf und Erik Emilsson vom schwedischen Umweltforschungsinstitut ermittelten im vergangenen Jahr in einer Studie, dass allein bei der Produktion der Lithium-Nickel-Mangan-Batterien für Elektromobile bis zu 106 Kilogramm CO2-Abgase pro Kilowattstunde Batteriekapazität entstehen.

Je nach Akku-Leistung kann daher manches Elektroauto erst nach einer Fahrleistung von nahezu 100.000 Kilometer beim CO2-Ausstoß mit einem Verbrenner gleichziehen. Dann kann es allerdings bereits fast Zeit sein, dem Wagen eine neue Batterie zu spendieren. Ein 100.000-Kilometer-Test der Autobild mit einem BMW i3 offenbarte, dass die Speicherkapazität der Batterie über diese Distanz um 36 Prozent gesunken war. Verfügte das Elektromobil zu Beginn des Tests bei Nutzung der Klimaanlage im Sommer und der Heizung im Winter über eine Reichweite von 167 Kilometern, war der Akku 100.000 Kilometer später bereits nach 107 Kilometern leer.

Hinzu kommen gravierende Umweltprobleme bei der Gewinnung der für die Batterieherstellung nötigen Rohstoffe Lithium und Cobalt. Lithium kommt in Mineralien wie Pegmatiten vor. Um es zu gewinnen, muss es aus diesem magmatischen Gestein mit Wasser unter hohem Druck ausgewaschen werden. Das Wasser wird dabei zu einer giftigen Brühe. In den großen Fundstätten Argentiniens ist deshalb der Grundwasserspiegel massiv gesunken und die Landschaft zur Wüste geworden. Cobalt wiederum ist vor allem im von Bürgerkriegen erschütterten Kongo zu finden und wird dort in erheblichem Umfang durch Kinderarbeit gewonnen.

Elektroautos sind (noch) Rohstofffresser

»Beim kumulierten Rohstoffaufwand schneiden Elektrofahrzeuge heute schlechter ab als verbrennungsmotorische Fahrzeuge«, bilanziert das Bundesumweltministerium in seiner 2019 erschienen Publikation »Wie umweltfreundlich sind Elek­troautos?« Das Fazit der Analyse: »Elek­trofahrzeuge sind kein Allheilmittel, um den Straßenverkehr klima- und umweltfreundlich zu gestalten.« Hoffnung setzt das Ministerium auf die Zukunft, weil die CO2-Emissionen bei der Herstellung der Elektromobile hierzulande sinken werden, wenn mehr Strom aus Sonnen-, Wind- und Wasserkraft statt aus Kohle gewonnen wird. »Der Ausbau erneuerbarer Energien im Strombereich wird den Vorsprung des Elektrofahrzeuges im Jahr 2025 weiter vergrößern, obwohl die Vergleichsfahrzeuge ebenfalls effizienter werden«, heißt es in dem Papier. »Mit jedem Jahr, das die Energiewende voranschreitet, wird auch elektrisches Fahren klimafreundlicher.«

Einzelhandel als Wegbereiter für Ladestationen-Netz

Hingegen wächst bei den Bürgern die Skepsis, wie der jüngste Mobilitätsmonitor des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften zeigt. 59 Prozent der 1.237 in diesem Jahr Befragten bezweifelt, dass das E-Auto eine umweltverträgliche Alternative ist. Im Vorjahr waren nur 48 Prozent dieser Ansicht. Mit nur 24 wünscht sich nicht einmal ganz ein Viertel der Umfrageteilnehmer, dass E-Mobile die Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren komplett ersetzen.

Das größte Problem: Wegen der geringen Reichweite der Stromer muss bundesweit ein enges Netz von Ladestationen geschaffen werden. Zu den Vorreitern zählt dabei der Einzelhandel. Das zeigt die Studie Elektromobilität im Handel 2020 des EHI Retail Institutes in Köln. »Der Handel ist maßgeblich am Ausbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland beteiligt«, sagt Laura Fleischmann, Co-Autorin der Analyse. Vor allem große Lebensmittelfilialisten installieren auf den Parkplätzen vor ihren Geschäften immer mehr Ladestationen. Anfang 2019 hätten »nur 19 Prozent der befragten Handelsunternehmen angegeben, mehr als 50 Ladestationen innerhalb des Filialnetzes in Betrieb zu haben«, berichtet Fleischmann. »In diesem Jahr liegt dieser Anteil bereits bei 35 Prozent.«

Eifrig engagiert sind auch die Betreiber von Shopping Centern. Im LAGO in Konstanz seien bereits vor zwei Jahren die ersten E-Ladesäulen im Parkhaus installiert worden, sagt Peter Herrmann, Head of Center Management bei Girlan Immobilien Management, das das Center für dessen Besitzer Union Investment Real Estate verwaltet. »Seitdem haben wir aufgrund der hohen Nachfrage die Zahl der Ladesäulen verdoppelt und planen bereits einen weiteren Ausbau.« Aus den Steckern komme ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien von regionalen Anbietern, sagt Herrmann. »Gut sichtbare Ladesäulen und günstige Stromtarife kommen bei unseren Kunden sehr gut an, sie erweitern unseren Service und erhöhen die Frequenz und Aufenthaltsdauer im Center.«

Die Deutsche Euroshop, Betreiber von 21 Shopping Centern im In- und Ausland, hat bislang in sieben ihrer deutschen und in einem tschechischen Einkaufszentrum insgesamt 42 Ladestationen installiert. »Mit den Ladestationen wollen wir die Elektromobilität und die Nutzung emissionsfreier Fahrzeuge fördern und in unseren Centern einen zusätzlichen Service bieten«, sagt CEO Wilhelm Wellner.

Die Bereitstellung von Ladestationen liege im »ureigensten Interesse von Kommunen, Immobilieneigentümern und Händlern«, sagt Marcus Eggers, seit Oktober neuer Geschäftsführer von IPH Centermanagement, das bundesweit 20 Shopping Center operativ verwaltet. »In Zeiten strengerer Abgasvorschriften bis hin zu Fahrverboten für Automobile mit konventionellen Verbrennungsmotoren brauchen unsere Innenstädte die nötige Infrastruktur, um weiterhin gut erreichbar und damit lebendig zu bleiben.« Der Handel leiste dabei einen »extrem wichtigen Beitrag«, sagt Eggers. »Jede achte E-Ladesäule in Deutschland ist auf einem Stellplatz im Einzelhandel installiert – mitunter ist das Aufladen sogar kostenlos möglich, oft mit 100 Prozent zertifiziert grünem Strom.«

»Motorisierter Individualverkehr bleibt das bevorzugte Transportmittel«

Auch APCOA, Vermieter von rund 1,3 Millionen Stellplätzen an 7.200 europäischen Standorten, rüstet seine Parkhäuser immer weiter mit Ladestationen auf, um den Besuch von Innenstädten für Nutzer von Elektromobilen attraktiver zu machen. »Fahrverbote für Automobile mit Verbrennungsmotoren in Innenstädten wirken sich tendenziell negativ auf deren Entwicklung aus, insbesondere auf den Einzelhandel, da es mit Online-Shopping und Lieferdiensten Alternativen gibt«, sagt Vorstandschef Philippe Op de Beeck. »Aus unserer Sicht ist und bleibt der motorisierte Individualverkehr das bevorzugte Transportmittel.«

Bis zu 25 E-Autos gleichzeitig laden

In den kommenden Jahren wird die Zahl der Ladestationen weiter steigen. Nicht nur durch Eigeninitiativen des Handels, sondern auch durch das »Gesetz zum Aufbau einer gebäudeintegrierten Lade- und Leitungsinfrastruktur für die Elektromobilität in Gebäuden«, das die EU-Richtlinie zu Gebäudeeffizienz in nationales Recht umsetzt. Es schreibt vor, dass jedes neu errichtete oder umfangreich renovierte Nichtwohngebäude, das über mehr als zehn Stellplätze verfügt, mit mindestens einem Ladepunkt ausgestattet werden und mindestens jeder fünfte Stellplatz mit der Leitungsinfrastruktur für die Elektromobilität ausgestattet werden muss. Zudem müssen sämtliche Gewerbeliegenschaften, die über mehr als 20 Stellplätze verfügen, vom 1. Januar 2025 an mindestens eine Ladestation aufweisen.

Doch deren Installation ist nicht so einfach, wie der Bürokomplex am Frankfurter Ring in München beispielhaft zeigt. Der elektrische Anschluss des 1994 errichteten Gebäudes ist nicht für die hohen Stromlasten ausgelegt, die künftig zur Aufladung von Elektromobilen nötig sind. »Als die Immobilie vor 26 Jahren errichtet wurde, war Elektromobilität kein Thema«, sagt Matthias Grottke, Projektkoordinator beim Eigentümer Hammer, der weitere Immobilien mit Ladestationen ausrüsten will. »Mit der existierenden In­frastruktur hätten wir maximal drei Ladestationen in der Tiefgarage betreiben können.« Ziel war es jedoch, Beschäftigten aller Mieter die Möglichkeit zu geben, ihre Elektromobile an der Arbeitsstätte aufzuladen. Möglich macht dies die Photovoltaikanlage auf dem Dach und ein intelligentes Lastmanagement. »Die Photovoltaikanlage produziert genügend Strom, um bis zu 25 E-Fahrzeuge gleichzeitig zu laden«, sagt der Projektkoordinator.

Allerdings kommt es beim Betrieb von Ladesäulen mit Strom aus Photovoltaikanlagen auf technische Details an. »Sobald sich eine Wolke vor die Sonne schiebt, geht die Stromproduktion einer Photovoltaikanlage merklich zurück«, sagt Grottke. Werden mehrere Fahrzeuge gleichzeitig aufgeladen, könne der plötzliche Leistungsabfall die Ladetechnik überfordern, erklärt er. »Wir haben deshalb eine Steuerung installiert, die innerhalb von Sekunden auf Veränderungen in der Stromausbeute reagiert.« Ein Problem, mit dem sich Immobilieneigentümer nicht herumschlagen müssen, die ihre Ladestationen mit Strom von externen Anbietern versorgen lassen. Dafür haben sie aber auch keine Chance auf eine Auszeichnung beim Energiewendebauten-Kongress.

Ein Beitrag von
Richard Haimann,
freier Journalist