Kurze Wege, effiziente Entwicklungszyklen und Planungssicherheit

Paul Varga
Paul Varga © playbrush

Interview
Strategie

Susanne Osadnik

Paul Varga, Co-Founder und CEO von Playbrush, einem Startup, das seit fünf Jahren den Markt für Zahnpflege aufmischt und die Zukunft eines smarten Dentalmarktes maßgeblich mitgestaltet. Über die Wettbewerbsvorteile von »Made-in-Europe« und Wachstum in Corona-Zeiten

Herr Varga, wie oft am Tag putzen Sie sich die Zähne?
Paul Varga: Zweimal täglich für jeweils zwei Minuten, wie es von Zahnärzten empfohlen wird. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich das erst so konsequent mache, seit ich unsere smarte Zahnbürste verwende.

Sie und Ihre Mitstreiter haben eine Zahnbürste entwickelt, die mehr kann, als per Lichtsignal anzeigen, ob ich schon lange genug geputzt habe. Was ist das Besondere an Ihrem Produkt?
Matthäus Ittner, Tolulope Ogunsina und ich hatten eine Vision: Wir wollten Kinder mithilfe einer interaktiven Zahnbürste, die sich mit Spiele-Apps verbindet, für die tägliche Mundhygiene begeistern.

Und hat´s geklappt?
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Kinder gründlicher und besser putzen mithilfe unserer Zahnbürste. Auf dem Display des Smartphones oder Tablets passiert ja nur etwas, wenn man bestimmte Putzbewegungen macht. Also: Eine Reaktion erfolgt nur, wenn man agiert.

Was konkret erleben die Kinder?
Über eine App können Kinder in die Welt von Playbrush eintauchen und Spiele mit ihren eigenen Putzbewegungen steuern: Monster besiegen, Bilder malen, Tanzbattles veranstalten oder spielerisch die KAI-Methode mit dem Zahnputz-Coach erlernen – das heißt: Kauflächen werden als Erstes mit kurzen Hin- und Herbewegungen geputzt, dann folgen die Außenflächen mit kreisenden Bewegungen und zum Schluss die Innenflächen mit kleinen Kreisen oder Drehbewegungen von »Rot nach Weiß« - vom Zahnfleisch zum Zahn gereinigt. Deshalb nennt sich das Ganze KAI.

Eltern können die Putzerfolge ihrer Kinder auch nachvollziehen …
Ja, mithilfe von ausführlichen Putzprotokollen können sie sehen, wie gut es schon klappt und wo noch unterstützt werden muss. Außerdem kann man mit unserem Bonusprogramm für jede Putzeinheit Punkte sammeln, die später in barem Geld ausgezahlt oder den Abo-Kosten gutgeschrieben werden können. Wer ein Abo bei uns bucht, bekommt außerdem die Bürstenaufsätze nach Hause geschickt und immer neue Spiele als Update. Seit vergangenem Herbst gibt es übrigens auch eine Variante für Erwachsene, die über einen Lichtring anzeigt, ob alle Regionen im Mund ausreichend geputzt wurden: Vier Lichter signalisieren gründliche Reinigung. Ein Vibrationsfeedback fordert zum Wechseln der Zahnseiten auf und über eine App lassen sich die drei Putz-Modi Clean, Sensitive oder Massage steuern.  

Ihr Unternehmen ist noch jung, doch trotz Corona auf Wachstumskurs. Glück gehabt oder die richtigen Entscheidungen getroffen?
Ein bisschen Glück gehört bei jeder Unternehmung dazu. Aber ich denke, wir haben mit unserem Produkt einen Zeitgeist getroffen und eine Lücke im Angebot geschlossen. Dass wir in Coronazeiten nicht mit Lieferengpässen oder Produktionsstopps zu tun hatten, liegt schlicht daran, dass wir uns ganz klar dafür entschieden haben, unsere Produktion in Europa zu belassen. Für uns war von Anfang an klar, dass »Made in Europe« die besten Wettbewerbsvorteile bietet. Außerdem sind wir überzeugte Europäer. Und da wir schon über Hochtechnologie vor Ort verfügen, macht es Sinn, auch die Wertschöpfung komplett in Europa zu belassen. Wir vergleichen zwar jedes Jahr die Angebote mit Asien, kommen aber immer zu dem Schluss, dass es besser ist, unser anspruchsvolles Produkt in der Schweiz, Großbritannien, Slowenien und Österreich zu entwickeln und zu produzieren. Das birgt den Vorteil kurzer Wege, effizienter Entwicklungszyklen und Planungssicherheit. Wie wir in diesem Jahr gesehen haben, sind das fundamental wichtige Eckpunkte. Im Gegensatz zu vielen Wettbewerbern waren wir kaum von asiatischen Importen abhängig.

In den meisten Fällen sind die günstigeren Kosten in Asien das wichtigste Argument für eine Verlagerung der Produktion gen Osten …
Aus unserer Sicht ist es ein Trugschluss, anzunehmen, in Asien würde es günstiger als hierzulande. Tatsächlich ist der Unterschied bei den Kosten aufgrund der Automatisierung vieler Produktionsschritte gar nicht mehr so groß. Dafür aber haben wir hier den direkten Draht zu unseren Partnern, ähnliche Mentalitäten und kaum Sprachbarrieren. Das ist alles nicht zu unterschätzen, wenn mal etwas nicht so läuft wie geplant. Versuchen Sie mal in einem Werk in Zentralchina etwas schnell zu regeln. Das dauert und kostet Geld.

Als Technologie-Start-up haben Sie ein Produkt entwickelt, das sich zwischen digitaler und analoger Welt bewegt. Wie wichtig ist der stationäre Handel beim Vertrieb ihrer Zahnbürsten?
Das Online-Geschäft ist natürlich ein wichtiger Teil in unserem Business. Aber wir sehen schon, dass auch der Vertrieb über den stationären Handel deutlich zunimmt. Unser Produkt wird sichtbar und bekannter durch den stationären Handel. So sind wir bereits im Media-Markt, bei Conrad, Expert, Euronics, der Müller-Drogerie und in Österreich auch bei TK Mexx und dm vertreten. Langfristig läuft es sicher auf Omni-Channel hinaus.

Sie haben in diesem Jahr rund 20 Prozent mehr Umsatz gemacht; dabei auch die Umsätze im stationären Handel verdoppelt. Worauf führen Sie das zurück?
Wir waren nicht betroffen vom Lockdown, weil es unsere Zahnbürsten sowohl online als auch in den Drogeriemärkten zu kaufen gab. Was aber sicher eine Rolle gespielt hat: Vorübergehende Schließungen der Zahnarztpraxen haben dazu geführt, dass sich viele Menschen intensiver mit Prophylaxe und Kariesvorsorge beschäftigt haben. Wer wollte schon im Lockdown zum Notfall werden? Und auch jetzt noch scheuen viele Menschen den Gang zum Zahnarzt für Vorsorgetermine, wollen dafür aber ihre Zahnpflege intensivieren. Dazu kommt – vor allem in Italien, wo wir ein ordentliches Absatzplus erreicht haben – der vermehrte Familiensinn seit Corona. Man ist viel häufiger zusammen als früher und überlegt sich, wie man seinen Alltag besser und freudiger gestalten kann. Das hält auch jetzt noch an, weil wir inzwischen wissen, dass uns die Pandemie noch eine ganze Weile begleiten wird.

Sie haben bislang rund 300.000 Zahnbürsten in 25 Länder verkauft. Gibt es Verbraucherunterschiede in den Ländern?
Ja, durchaus. Da gibt es Unterschiede hinsichtlich Design und technischer Anwendung. Wir müssen unser Produkt immer an die jeweiligen Konsumenten anpassen. Der europäische Raum ist schon länger an den Gebrauch elektronischer Zahnbürsten gewöhnt, während beispielsweise in Asien noch sehr viel mehr manuell geputzt wird.

Wie kommt Ihr aus Unternehmenssicht cleverer Schachzug der Kooperation mit einer Versicherung bei Ihren Kunden an?
Als Start-up ist man immer auf finanzielle Unterstützung angewiesen und auch darauf, dass andere Unternehmen an das eigene Produkt glauben und darin Zukunftspotenzial sehen. Das haben wir sowohl mit unserer smarten Zahnbürste als auch mit unserer bislang einmaligen Versicherungsintegration mit dem österreichischen Versicherer Uniqua erreicht. Für unsere Handelspartner ist diese Kombination die smarte Lösung für den künftigen Dentalmarkt. Und bei unseren Kunden stößt dieses Angebot auch auf immer mehr Resonanz. Man hat nicht nur eine private Zahn-Zusatzversicherung, sondern kann mit jeder Putzeinheit bares Geld ansparen und beim nächsten Zahnarztbesuch einlösen. Je nach Abo-Modell können bis zu 179 Euro im Jahr für weiße Füllungen und Prophylaxe erstattet werden.

Das Gespräch führte
Susanne Osadnik,
Chefredakteurin GCM

Paul Varga. Gemeinsam mit Matthäus Ittner und Tolulope Ogunsina gründete der gebürtige Wiener das Unternehmen Playbrush, das bisher siebenstellige Investitionen erhalten hat. Zahlreiche Preise wie der Health Media Award 2016 und der Gamification World Award 2015 in der Kategorie »Beste Technologische Innovation« spiegeln den Erfolg des jungen Unternehmens wider. Fünf Jahre nach der Gründung besteht das Team nun aus 25 Mitarbeitern.