Leere Regale, teure Waren

Lücken im Warenangebot
Erneut drohen Lücken im Warenangebot aufgrund von durchbrochenen Lieferketten © Martijn Baudoin – unsplash.com

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Susanne Osadnik

Der Handel sieht dem Weihnachtsgeschäft mit gemischten Gefühlen entgegen. Produktionsengpässe und Transportschwierigkeiten sorgen schon jetzt für Lücken in den Regalen. Kunden müssen sich auf weniger Angebot und höhere Preise einstellen

Mit den ersten Sonnenstrahlen kehrte auch die Kauffreude der deutschen  Verbraucher zurück. Der private Konsum verhalf der Wirtschaft im Frühjahr zu neuem Wachstum. Das Bruttoinlandsprodukt stieg zwischen April und Juni um 1,6 Prozent zum Vorquartal, wie das Statistische Bundesamt Ende August mitteilte. Nachdem der Lockdown endlich beendet war, die Zahl der Geimpften langsam anstieg und die Vorfreude auf einen entspannten Sommer inklusive Urlaubsreise aufkam, ging es scheinbar auch mit dem Einzelhandel bergauf.

Der Handel mit Nicht-Lebensmitteln, der seit Beginn der Corona-Krise von den Einschränkungen stark betroffen ist, konnte sich im Mai 2021 real, kalender- und saisonbereinigt um 6,7 Prozent gegenüber dem Vormonat steigern. Dabei verzeichnete der Handel mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren ein Plus von 72,1 Prozent,der Handel mit Waren verschiedener Art (zum Beispiel Waren- und Kaufhäuser) von 15,3 Prozent. Beide Bereiche lagen aber noch um 37,6 Prozent beziehungsweise 19,6 Prozent unter dem Vorkrisenniveau.

Der Internet- und Versandhandel zeigt sich währenddessen vom wieder aufkeimenden Wachstum des stationären Handels unbeeinflusst. Im März 2021 hatte der Versand- und Internethandel einen Umsatzrekord erzielt, von dem er – nach einem kurzen Rückgang im April – auch im Mai nicht weit entfernt lag.

So weit die nüchternen Zahlen. Doch der Euphorie des Frühjahrs ist längst die Ernüchterung eines Sommers gewichen, der jetzt schon offenbart, dass es nicht ganz so gut läuft wie erhofft. Seit Monaten verzögern sich Warenlieferungen infolge von durchbrochenen Lieferketten. Corona lässt auch die Produktionen selbst nicht mehr reibungslos funktionieren. Dazu kommt die Sorge um weitere Sanktionen durch die mittlerweile dominante Delta-Variante des Corona-Virus. Der Weg zurück in die Normalität führt nur noch bedingt über die doppelte Impfung, wenn diese nicht mehr in dem Maße schützt, wie zunächst angenommen. Vielerorts auf der Welt gibt es immer noch nicht ausreichend Vakzine, um die Bevölkerung zu schützen. Außerdem bleiben diejenigen, die sich der Impfung verweigern und damit das Ende der Pandemie hinauszögern. Alles in allem sind die Aussichten nicht so hoffnungsvoll, wie sie sich noch vor wenigen Monaten präsentierten.

Händler reduzieren ihre Produktpalette

Das bleibt auch nicht ohne Folgen für den Einzelhandel. Der große Run auf geöffnete Läden und Geschäfte ist ausgeblieben. Dennoch leeren sich die Regale im stationären Handel, weil der Nachschub an Ware ausbleibt. Um nicht irgendwann gähnende Leere präsentieren zu müssen, haben Unternehmen bereits beschlossen, ihre Warenangebote deutlich zu reduzieren. Das schwedische Möbelhaus Ikea hat angekündigt, vom kommenden Jahr an rund 600 Produkte aus dem aktuellen Sortiment zu streichen – das entspricht rund fünf Prozent des Angebots in Europa und vier Prozent in Nordamerika. Auch beim Möbel- und Dekoanbieter Butlers sorgte man sich schon in diesem Sommer, dass einzelne Produkte zeitweise ausverkauft sein könnten. Discounter wie Aldi rechnen mit weiteren Lieferschwierigkeiten für ihre Aktionsprodukte infolge von überbuchten und verspäteten Schiffen aus Asien. Selbst wenn es Schiffe und Container gibt, heißt es nicht unbedingt, dass die bestellte Ware auch im Hafen ankommt. So berichten Handelsexperten vom Warenstau in China durch fehlende Lkw-Fahrer, die sich wieder im Lockdown befinden.

Sich auch weiterhin auf schwierige Lieferbedingungen einzustellen, ist aus Sicht von Klaus Striebich daher nur konsequent. Zumal es der Kernaufgabe des Einzelhandels entspreche, den Warenbedarf zu analysieren und dementsprechend zu handeln – auch in Ausnahmezeiten. »Wie sensibel der Verbraucher auf die aktuelle Situation reagiert, haben wir ja bereits im Frühjahr gesehen, als wir erste Engpässe beim Toilettenpapier, aber auch bei Produkten wie Hefe oder Mehl gesehen hatten«, so Striebich. »Damit muss der Handel umzugehen lernen.«

Inzwischen werden Dinge des täglichen Lebens nicht mehr gehortet. Dafür mangelt es an anderen Waren mangeln, für deren Produktion und Herstellung man auf Komponenten angewiesen sei, die zurzeit kaum zu finden sind. »E-Bikes sind zurzeit so gut wie nicht mehr zu kaufen, weil es weder Kabelzüge noch Bremsen oder Motoren gibt«, sagt Striebich. »Selbst Rahmen können nicht gefertigt werden, weil der Rohstoff Aluminium nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist.«

Ware aus dem letzten Winter?

In den kommenden Monaten müssten sich auch in der Textil- und Schuhbranche vor allem Unternehmen, die auf Eigenmarken setzen, auf Engpässe einstellen, ist der Einzelhandelsfachmann überzeugt: »Sie haben einen längeren Produktionsvorlauf und waren dadurch zunächst im Vorteil, weil die Lager noch gefüllt waren. Die Veränderungen zeigen sich daher erst später. Das heißt aber auch: Sie laufen jetzt in den Engpass hinein, was sich negativ auf das Weihnachtsgeschäft auswirken könnte.«

Im hessischen Mainhausen, dem Sitz der ANWR Group, die in Deutschland rund 600 Schuh-, Sport- und Lederwarenfachhändler vertritt, betrachtet man die Entwicklung der Lieferprobleme für Waren aus Fernost deshalb ebenfalls sehr aufmerksam und registriert bereits Verzögerungen bei der Auslieferung der Herbst-/Winterware an den Handel. Das sei umso bedauerlicher, als neue Schuh-Herbstware bislang gut verkauft werde und man im Sportbereich weiter mit überdurchschnittlicher Nachfrage rechne, insbesondere im Segment Footwear. »In letzter Konsequenz werden die Verbraucher in diesen Geschäften aber nicht vor leeren Regalen stehen. Vielleicht ist ein absolutes Lieblingsprodukt gerade nicht verfügbar. Leerverkäufe schmerzen den Handel, aber er hat Alternativen im Angebot. Durch den Lockdown im vergangenen Winter sind zudem die Lager im Handel und auch bei der Industrie noch mit interessanten Produkten gefüllt, die ein attraktiver Ersatz sein können«, so ANWR.

Verkaufsschlager Kaffee-Service

Ware aus dem vergangenen Winter zu verkaufen, wird wohl für viele Händler eine Möglichkeit sein, die Kunden bei Laune zu halten. Wer jedoch denke, er könne »alten Krempel« aus dem Keller holen und verkaufen, begebe sich auf gefährliches Terrain, ist Klaus Striebich sicher: »So etwas verzeihen die Kunden nicht so schnell. Das hat schon früher nicht funktioniert und wäre heutzutage ein fataler Fehler«, so Striebich. »Die Kunden werden immer qualitätsbewusster, wollen sich in schwierigen Zeiten etwas gönnen und dafür auch mehr Geld ausgeben.«

Dazu passt auch die Beobachtung des IFH KÖLN (Institut für Handelsforschung): In Corona-Zeiten werden nicht nur Sportartikel, Möbel, Fahrräder und alles rund ums Verschönern der eigenen vier Wände nachgefragt, sondern auch Artikel, die in der Vergangenheit keinen reißenden Absatz mehr fanden: etwa Kaffee- und Tafelservices für zehn Personen. Häuslichkeit, gemeinsames Essen mit der Familie und Kochen statt Ausgehen sind die Motivation, die hinter der Renaissance von Geschirr und Porzellan, aber auch jeder Form von Kochutensilien steckt. Die Branche Glas-Porzellan-Keramik kann laut IFH KÖLN Wachstumsraten um durchschnittlich 7 Prozent verzeichnen.

Kunden favorisieren nahe Produktionsstandorte

Aber auch bei Villeroy & Boch, KPM oder Meissen könnte es bald enger und damit teurer werden. Beim IFH KÖLN geht man davon aus, dass sich in den kommenden Monaten viele Waren verteuern werden, weil das Angebot knapper wird und Händler für Produktion und Transport immer tiefer in die Taschen greifen müssen. Selbst im Drogeriemarkt müssten Kunden sich auf Lücken in den Regalen und höhere Preise einstellen. »Die Ausnahme wird der Fashion-Bereich sein. Die Händler haben sich frühzeitig auf die neue Situation eingestellt und die Produktion zurückgefahren«, erklärt Boris Hedde, Geschäftsführer des IFH KÖLN. »Als Kunde muss ich im Herbst und Winter aber damit rechnen, dass die Auswahl an bestimmten Artikeln kleiner ausfällt als üblich.«

Die Händler indes stehen schon wieder vor der nächsten Hürde: Wie geht es im kommenden Jahr weiter? Die Waren für Frühjahr/Sommer 2022 werden beispielsweise für den Schuhfachhandel im August und September bestellt. »Hier waren viel Fingerspitzengefühl und auch der enge Austausch mit der Industrie und den Lieferanten gefordert, um Probleme frühzeitig zu erkennen, gegenzusteuern, vielleicht auf andere Marken auszuweichen«, heißt es bei ANWR. »Derzeit ist noch nicht abzusehen, ob sich die gerade deutlich erhöhten Kosten für die Seefracht auf den Handel und nachgelagert auf die Kundinnen und Kunden auswirken werden.«

Laut ANWR Group werden 85 Prozent der weltweit produzierten Schuhe in Südost-Asien hergestellt, auch viele Komponenten, die in Europa weiterverarbeitet werden – etwa Ösen, Schnallen, Sohlen oder Schnürsenkel – kommen aus dieser Region. Das habe auch Auswirkungen auf Produktionsstandorte in Europa. »Zu rechnen und zu wünschen ist mit Produktionsverlagerungen in Richtung Europa. Nicht zuletzt das Thema Nachhaltigkeit wird dazu führen, dass Anbieter verstärkt auf verkaufsnahe Produktionsstandorte schauen werden«, so ANWR.

Ein Beitrag von
Susanne Osadnik,
Chefredaktion Shopping Places*