Massive zusätzliche Impulse durch Aufholeffekte ...

US-Wahl
© Adam Schultz

Strategie

Hubertus Siegfried

Mit der Abwahl Donald Trumps endet in den USA auch die vierjährige Ära protektionistischer Wirtschaftspolitik, die nicht halbwegs von dem Erfolg gekrönt war, wie der noch amtierende Präsident gern behauptet: 2018 schrumpften US-Exporte nach China um 34 Prozent, während sich die Importe aus dem viel günstiger produzierenden Fernost-Land kaum verändert haben. Bereits im zweiten Jahr seiner Amtszeit schießt das Handelsbilanzdefizit auf ein Zehn-Jahres-Hoch von 621 Milliarden US-Dollar. Dem künftigen Präsidenten Joe Biden bescheinigen Ökonomen und Politiker statt der bisherigen Konfrontation nun die Kooperation mit anderen Nationen zu suchen – und prognostizieren einen massiven globalen Konjunkturaufschwung im kommenden Jahr

Die Fußböden sind mit Granit belegt. Die Decken und Wände haben 250 extra aus Italien angeheuerte Handwerker mit Stuckornamenten verziert. Mit seinen 352 Zimmern und seinem 18-Loch-Golfplatz ist das Mount Washington Hotel mit weitem Abstand das größte Anwesen im rund 300 Einwohner zählenden Urlaubsort Bretton Woods in New Hampshire. Was der Unternehmer Joseph Stickney von 1900 bis 1902 für damals 1,7 Millionen US-Dollar in den Bergen des US-Nordostküstenstaats im Stil der spanischen Renaissance hat errichten lassen, wird 1944 Ort einer Konferenz von historischer Bedeutung. Finanz- und Wirtschaftsminister sowie Notenbankpräsidenten aus 44 Staaten kommen hier vom 1. bis zum 22. Juli jenes Jahres zusammen, um der Welt eine neue Währungs- und Handelsordnung zu geben.

Globales Handelsvolumen wächst um 25,82 Prozent

Während in Europa und im Pazifik die alliierten Armeen die Truppen Deutschlands und Japans immer weiter zurückdrängen, zurren die späteren Siegermächte in Bretton Woods die monetäre und wirtschaftliche Nachkriegsordnung fest. Die Konferenz schafft die Grundlage für internationale Institutionen, die bis heute Rückgrat des globalen Finanzsystems sind: Weltbank und Internationaler Währungsfonds. Und sie legt mit dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT), Vorläufer der Welthandelsorganisation WTO, den Grundstein für einen freien Handel – und die darauf aufbauende spätere Globalisierung.

Der damalige US-Außenminister Cordell Hull bringt das Ziel auf den Punkt: »Wenn wir einen freieren Handelsfluss erreichen, können wir den Lebensstandard der Menschen in allen Ländern erhöhen und die Unzufriedenheit beseitigen, die in der Vergangenheit immer wieder zu Kriegen geführt hat.«

Der Plan geht auf: Das globale Handelsvolumen wächst nach Berechnungen der WTO von 1950 bis 2016 von 61,81 Milliarden US-Dollar auf 16.021,98 Milliarden US-Dollar. Ein Anstieg um atemberaubende 25,821 Prozent. Während die Weltbevölkerung von 2,53 Milliarden Menschen im Jahr 1950 auf aktuell 7,79 Milliarden steigt, sinkt parallel dazu weltweit die Zahl der Armen – jener Menschen, die weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag zum Leben haben. Allein von 1990 bis 2008 reduziert sich nach einer Studie der Weltbank ihre Zahl von 1,91 Milliarden Menschen auf 1,29 Milliarden.

Isolation und Protektionismus

Doch was der Welt bislang zu stetig wachsendem Wohlstand verholfen hat, reißt ein am 20. Januar 2017 neu ins Amt gekommener US-Präsident binnen kurzer Zeit ein. Donald Trump, angetreten mit dem Wahlkampfslogan »America First«, setzt auf Isolationismus und Protektionismus. Er zieht sich aus der Transpazifischen Partnerschaft (TPP), ein von seinem Amtsvorgänger Barack Obama mit Anrainerstaaten rund um den Stillen Ozean – von Chile bis Kanada, von Japan bis Australien – vereinbartes Handelsabkommen, zurück. Er keilt gegen europäische Importe und startet einen massiven Handelskrieg gegen China. Ziel ist es, das Handelsbilanzdefizit der USA gegenüber dem einstigen Reich der Mitte zu senken.

Strafzölle von hunderten Milliarden US-Dollar werden von Washington auf europäische, vor allem aber chinesische Produkte erhoben. Beijing kontert mit gleicher Härte. Verlierer sind am Ende die Vereinigten Staaten: 2018 schrumpfen US-Exporte nach China um 34 Prozent, während sich die Importe aus dem viel günstiger produzierenden Fernost-Land kaum verändert haben. Trump treibt damit, entgegen seinem Ziel, bereits im zweiten Jahr seiner Amtszeit das Handelsbilanzdefizit auf ein Zehn-Jahres-Hoch von 621 Milliarden US-Dollar.

»Die Amerikaner bekommen zu spüren, wie stark ihre Wirtschaft international verflochten ist – und wie schnell Handelskämpfe daher ganze Lieferketten auseinanderbrechen lassen«, analysiert in jenem Jahr der Ökonom Thomas Fricke, Direktor der Denkfabrik Forum New Economy in Berlin. Die Kosequenzen sind erheblich: »Trumps Handelspolitik hat für Unsicherheit gesorgt«, sagt Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW). Dies habe auch »europäischen Exporteuren geschadet«.

Die Hoffnungen ruhen nun auf Joe Biden, der als 46. Präsident der Vereinigten Staaten am 20. Januar nächsten Jahren in das Weiße Haus einziehen wird. Ein Ende der Handelskonflikte ist damit zwar nicht zu erwarten. Er wolle gegen »missbräuchliche Praktiken« Chinas vorgehen, sagt Biden. Beijing müsse »Diebstahl von geistigem Eigentum, Preisdumping sowie illegale Subventionen von Unternehmen« stoppen.

Brüssel, Berlin und Beijing sind erleichtert

Auch gegenüber Europa dürfte der neue Präsident die protektionistische Handelspolitik seines Vorgängers nicht einfach beenden. Vergangenes Jahr betrug das Handelsbilanzdefizit der USA gegenüber der EU 123 Milliarden US-Dollar, wovon fast die Hälfte auf Deutschland entfiel. »Zu viele Länder haben ihre Versprechen gebrochen, ehrliche und transparente Partner zu sein«, beklagte Biden in seinem Wahlprogramm – auch mit Blick auf den alten Kontinent und die dort begangenen Airbus-Subventionen.

Dennoch gibt es in Brüssel, Berlin und Beijing Erleichterung über den Machtwechsel im Weißen Haus. »In den vergangenen Jahren hat selten eine Wahl so viel Hoffnung gemacht wie diese«, sagt Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. »Ich glaube, dass unsere Beziehungen unter Trump einen nie dagewesenen Tiefpunkt erreicht haben – es kann nur besser werden, und es wird auch besser werden«, sagt David McAllister, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, und ergänzt: »Biden steht für Vertrauen, Verlässlichkeit und Berechenbarkeit.« Beijing hoffe auf eine »Kooperation mit der neuen Regierung in Washington« sowie auf »gesunde und stabile Beziehungen«, schreibt Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping in einem Glückwunsch-Telegramm an den künftigen US-Präsidenten. Chinas englischsprachige, parteinahe Zeitung »Global Times« schmeichelt: Biden sei »in auswärtigen Angelegenheit gemäßigter und reifer als Trump«.

Lösungsorientierte Politik statt provokantem Getöse

Worauf sich die Zuversicht gründet: Der neue Präsident gilt als harter, aber fairer Verhandlungspartner. Seit der Jurist 1973 in den US-Senat gewählt wird, schmiedet er immer wieder parteiübergreifende Bündnisse für Gesetzesvorgaben. Als Biden 2009 Vize-Präsident unter Barack Obama wird, schließt er erfolgreich Kompromisse mit dem Oppositionsführer John Boehner, um die damals angeschlagene US-Konjunktur dem Sog der Finanzkrise zu entreißen.

»Biden ist für die Weltwirtschaft besser als Trump, weil er nicht konfrontativ agiert, sondern eine lösungsorientierte Politik verfolgt«, sagt Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der deutschen Fondsgesellschaft Solvecon Invest. Einen Beweis dafür liefert der künftige Präsident Anfang Dezember. In einem Interview mit der New York Times reicht Biden dem Iran die Hand für eine Rückkehr zum internationalen Atomabkommen. Trump war aus der von Obama mit Teheran geschlossenen Vereinbarung ausgestiegen, die dem Mullah-Staat wirtschaftliche Hilfen zugesichert hatte, als dieser im Gegenzug auf die Entwicklung einer eigenen Atombombe verzichtete. Stattdessen setzte Trump auf harte Sanktionen – und der Iran fuhr die Urananreicherung, Grundlage für die Konstruktion nuklearer Massenvernichtungswaffen, wieder hoch. »Es wird schwierig werden«, sagt Biden im Interview. Aber Verhandlungen seien »der beste Weg, um Stabilität« im Nahen Osten zu erreichen. »Das verdammt nochmal Letzte, was wir in diesem Teil der Welt brauchen, ist ein Aufbau atomarer Fähigkeiten«, sagt der einstige Vizepräsident, der selbst für Obama das Abkommen mit ausgehandelt hatte.

Der neue Präsident werde zwar die US-Interessen gegenüber China und Europa mit Nachdruck vertreten, sagt Mark Zandi, Chefökonom der Ratingagentur Moody‘s. »Aber er wird sich dabei an die internationalen Handelsgesetze halten und keinen Handelskrieg vom Zaun brechen.« Vor allem aber werde Biden mit massiven Wirtschaftshilfen der durch die Corona-Krise darniederliegenden Konjunktur zu neuem Schwung verhelfen. Dadurch werde zwar das Haushaltsdefizit vorerst weiter steigen, sagt Mark Zandi, »aber das ist kein Problem, weil die Zinsen so niedrig sind und es auch für einige Zeit noch sein werden«, sagt Zandi.

Strategische Wahl von Janet Yellen

Die Weichen dafür hat Biden auch mit der Wahl seiner designierten Finanzministerin gestellt: Janet Yellen war von 2014 bis 2018 Präsidentin der Federal Reserve Bank.  »Yellen schafft als ehemalige FED-Chefin eine direkte Verbindung zwischen Finanzministerium und Notenbank«, sagt Heinz-Werner Rapp, Leiter des FERI Cognitive Finance Institute in Bad Homburg. »Sie wird damit Teil einer neuen US-Strategie mit dem klaren Ziel, Geld- und Fiskalpolitik künftig noch enger zu verflechten.« Sie sei »wie kaum jemand sonst prädestiniert, in den kommenden Jahren eine enge Verflechtung von Geld- und Fiskalpolitik in den USA zu organisieren«, sagt Rapp.

Das dürfte Biden auch helfen, sein gigantisches Klimaschutz-Programm auf den Weg zu bringen. Die USA sollen dabei nicht nur wieder dem Pariser Klimaschutz-Pakt beitreten, den Trump aufgekündigt hatte. 2.000 Milliarden US-Dollar – eine Zwei mit zwölf Nullen – will der künftige Präsident binnen zehn Jahren aufwenden, um die USA zu einer »grünen Nation« zu machen. Spätestens im Jahr 2035 soll sämtlicher Strom in den Vereinigten Staaten aus erneuerbaren Energien gewonnen werden. Spätestens 2050 soll die gesamte Wirtschaft des 328 Millionen Einwohner zählenden Landes komplett klimaneutral sein – also netto Null Emissionen aus der Verfeuerung fossiler Energieträger emittieren. Darüber hinaus sollen Milliardenbeträge in die Bildungs- und Gesundheitssysteme fließen.

USA: Grüne Infrastruktur, Bildung und Gesundheit

»Angesichts der tiefen Zinsen und der niedrigen Inflationsrate ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um die dringend nötigen Investitionen in grüne Infrastruktur sowie in Bildung und Gesundheit vorzunehmen«, sagt Josh Lipsky, Direktor des geoökonomischen Centers des zur Förderung der Beziehungen zwischen den USA und Europa 1961 gegründeten Think Tanks »Atlantic Council« in Washington. »Diese Chance sollte nicht vertan werden, indem wieder die Austeritätspolitik der Jahre nach 2010 verfolgt wird.« In der Finanzkrise hatte die Obama-Regierung zwar Banken und Automobilkonzerne mit Milliardenbeträgen gerettet, jedoch Investitionen in die Infrastruktur zurückgefahren.

Für die Weltwirtschaft signalisieren Bidens Pläne enormes Wachstumspotenzial – und damit auch für den deutschen Handel. Die Stimulusprogramme für die US-Konjunktur und den Klimaschutz würden zusammen mit den bald beginnenden Covid-19-Schutzimpfungen »spätestens in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres in einem profunden globalen Wirtschaftsaufschwung münden«, sagt Ökonom Hellmeyer. Schon jetzt addierten sich weltweit die staatlichen Konjunkturprogramme zur Bewältigung der von der Corona-Pandemie ausgelösten Rezessionen auf 12 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. »Zudem wird es 2021 massive zusätzliche Impulse durch Aufholeffekte geben«, sagt Hellmeyer.

»Mit Bidens Amtsantritt platzt der Knoten ...«

Unternehmen, die in diesem Jahr angesichts der krisenbedingten Unsicherheit den Kauf neuer Maschinen aufgeschoben haben, würden dies im kommenden Jahr nachziehen. »Zudem haben bereits in den dreieinhalb Jahren zuvor viele Konzerne wegen der von Trump geschürten Handelskonflikte auf die Erneuerung und Erweiterung von Produktionsstätten verzichtet«, sagt der Ökonom. »Der Investitionsstau ist gigantisch.« Sobald mit dem Amtsantritt Bidens der Knoten platze, werde es einen »massiven globalen Konjunkturschub geben«.

Für Deutschland werde dies »in einem starken Wachstum der Beschäftigung und einer damit einhergehenden immensen Verstärkung der Kaufkraft münden«, sagt Hellmeyer. »Der stationäre Einzelhandel wird davon deutlich profitieren.« Denn mit der Covid-19-Impfung werde auch die Angst vieler Konsumenten schwinden, Geschäfte und Shopping Center aufzusuchen. »Viele Menschen werden die wiedergewonnene Freiheit nutzen, um endlich wieder unbesorgt einkaufen zu gehen«, sagt der Ökonom. »Dem düsteren 2020 wird ein sehr helles Jahr 2021 folgen.«

Ein Beitrag von
Hubertus Siegfried,
freier Journalist