Mehr Grün, mehr Nähe, mehr Mixed-Use

Grün in der Innenstadt
Mehr Grün in der Innenstadt wünschen sich viele Menschen. © Unsplash / Chuttersnap

Handel und Immobilien
Courage

Susanne Müller

„Innenstädte im Wandel“ ist eine gemeinsame Studie – aufgesplittert in zwei Teilbereiche – der TU Darmstadt und von JC Real Estate betitelt. Dabei geht’s insbesondere um Grundlagen für die Transformation der Cities.

Das Ziel der ersten Studie besteht darin, die Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen der Bürger an zukünftige Innenstädte zu verstehen. Darauf aufbauend werden Handlungsempfehlungen gegeben, um die deutschen Innenstädte in spannende, lebendige Lieblingsorte zu transformieren, die gleichzeitig aber auch wirtschaftlich tragbar sind. Dafür wurden 1069 Bürger aus verschiedenen sozialen Milieus in ganz Deutschland befragt.

Am Bedarf vorbei entwickelt

Die Ergebnisse verdeutlichen, dass deutsche Innenstädte zuletzt deutlich am Bedarf einer Mehrheit der Bürger vorbei entwickelt wurden. Essenzielle Bedürfnisse der potenziellen Nutzer werden bislang nicht befriedigt, wodurch sich Handlungsbedarf im Bereich der Funktionsausgestaltung ergibt. So wünschen sich 55 Prozent der Bürger eine Attraktivitätssteigerung bei der Erholungs- und Freizeitfunktion der Innenstädte und jeweils 52 Prozent in der Qualität des öffentlichen Raums sowie des Wohnens. Auch die Attraktivität des Einzelhandels spielt für 47 Prozent der Befragten als Bürgermagnet weiterhin eine wichtige Rolle. Die Studienergebnisse verdeutlichen, dass die Transformationspfade der Innenstädte individuell ausgestaltet werden sollten, da sie zum großen Teil von den lokalen Rahmenparametern der jeweiligen Nutzer abhängen.

Immenses Potenzial

Besonders deutlich zeichnen sich die milieuspezifischen Anforderungen an der Einzelhandelsfunktion ab. Während im Mittel über alle Befragten 47 Prozent eine Attraktivitätssteigerung im Einzelhandel sie zukünftig öfters in die Innenstadt zieht, trifft dies in der Gruppe junger, gut ausgebildeter Städter nur bei 37 Prozent zu, wodurch eine Attraktivitätssteigerung im Einzelhandel einen geringeren Magneteffekt auf dieses Milieu ausübt. Wohnen und (Büro-)Arbeit spielen dabei im zukünftigen Funktionsmix eine wichtige Rolle, die Innenstädte über die Woche und den Tag homogener auszulasten, und dadurch zu lebhaften Orten zu machen. Dass sich 39 /26 Prozent der befragten Bürger grundsätzlich vorstellen können, in der Innenstadt zu arbeiten und / oder zu wohnen, unterstreicht das immense Potenzial, welches aus diesen Funktionen für die Wiederbelebung der Innenstädte, sofern der bedarfsgerechte Rahmen geschaffen wird, erwächst.

Effektiver Funktionsmix

In Bezug auf die möglichen Angebote und Aktivitäten, die einen Funktionsmix unterfüttern, zeigen die Studien­ergebnisse, dass einige Angebote Pflichtbestandteile für Innenstädte darstellen, während andere das Potenzial haben, wie Nahversorgung (46 Prozent), Versorgung mit Ärzten (45 Prozent) oder Schulen (33 Prozent), für weite Teile der Bevölkerung Pflichtkriterien in den Innenstädten darstellen, ohne die die Innenstadt als Ganzes abgelehnt wird. Auf der anderen Seite können das Individuelle, Lokale wie heimische Produkte (23 Prozent), lokale Nahrungsmittel (17 Prozent) und die Möglichkeit, den individuellen Charme der Stadt zu erleben (Mitmach-Manufakturen 21 Prozent, Open-Air-Kinos 19 Prozent, lokale Künstler 14 Prozent) die Bürger begeistern. Innenstadtakteure müssen laut den Forschern den Spagat zwischen notwendigen Angeboten und Angeboten, die die Bürger mitreißen und begeistern können, schaffen.

Ganzheitliche Vision

Die Studienergebnisse zeigen, dass die Attraktivitätssteigerungen der Innenstadt sowohl im Nutzungsmix der Immobilien – Freizeit für 55 Prozent, Wohnen für 52 Prozent oder Einzelhandel für 47 Prozent – als auch in der Aufenthaltsqualität des öffentlichen Raums –  Qualität des öffentlichen Raums für 52 Prozent, Grün- und Freiflächen für 52 Prozent der Befragten –  notwendig sind. Die dies berücksichtigende, ganzheitliche Vision und Innenstadtstrategie gelte es demnach von Seiten der Kommunen als Leitplanken für die Immobilieneigentümer vorzugeben. Kommunen hätten damit die Chance, bedarfsgerechte und wirtschaftlich tragbare Innenstadtentwicklung zu initiieren. Dieser grundsätzliche Rahmen müsse sich datenbasiert eng am Bedarf der betroffenen Bürger orientieren. Die Genehmigungsprozesse und Regelwerke müssten an dem Ziel der erfolgreichen Transformation der Innenstadt ausgerichtet werden und darüber hinaus im Tandem mit den Immobilieneigentümern Projekte mit Leuchtturmwirkung geschaffen werden. Einer symbiotischen Herangehensweise mit gegenseitigem Geben und Nehmen solle Vorrang vor Alleingängen gewährt werden.

Grundlage für Planung

Das Ziel der  zweiten Studie besteht darin, die Bürgerpräferenzen bezüglich der Ausgestaltung des Innenstadtquartiers und des konkreten Nutzungsmixes von Innenstadtimmobilien zu verstehen. Die Studienergebnisse bieten damit eine erste Grundlage, die im Dialog um die Innenstadtentwicklung und in zukünftigen Planungsverfahren strukturiert berücksichtigt werden kann. Die Bürgerpräferenzen bringen zum Ausdruck, in welcher Form die Nutzer ihre Bedürfnisse in den Innenstädten befriedigt sehen möchten. Im Rahmen einer groß angelegten Haushaltsbefragung mit über 1000 Bürgern aus allen gesellschaftlichen Milieus wurden unterschiedliche Bürgerpräferenzen zu folgenden Teilbereichen abgefragt: Ausgestaltung des Innenstadtquartiers, (Finanz-)Ressourcenallokation bei der Nachhaltigkeit im Innenstadtquartier, konkrete Flächenallokationen in einer Mixed-Use-Innenstadtimmobilie und Flächenallokation der mittleren Geschosse der Mixed-Use-Innenstadtimmobilie.

Vorliebe für Mixed-Use-Ansatz

Die Studienergebnisse zeigen deutlich, dass deutsche Bürger bei der Ausgestaltung von Innenstadtquartieren einen ausgewogenen Mixed-Use-Ansatz präferieren. Angebote für Shopping, Freizeit und Wohnen werden von den Bürgern am stärksten präferiert und liegen in ihrer Wichtigkeit nahe beieinander (Shopping Rang Eins mit 5,5 Prozent höherer Präferenzdeckung als Wohnen auf Rang Drei). Dass in Bezug auf das Innenstadtquartier mehr Stadtgrün (Rang Eins der präferierten Quartierselemente), ein fahrrad-/fußgängerfreundliches Layout (Rang Zwei) sowie der Fokus auf den ÖPNV (Rang Drei) insgesamt am stärksten von den Bürgern präferiert werden, eröffnet Anknüpfungspunkte für die öffentliche Hand. Der öffentliche Raum als Aushängeschild der Innenstadt sollte von den Kommunen bedarfsgerechter im Sinne der erkannten Bürgerpräferenzen – multifunktional, grüner und fußläufig – transformiert werden. Überraschend war, dass die Bürgerpräferenzen zur Ausgestaltung des Innenstadtquartiers zeigen, dass sie kaum signifikante Unterschiede zwischen den Einkommen der Bürger und Milieus, wohl aber hinsichtlich der jeweiligen Stadtgröße aufweisen. Die Ausgestaltung des Quartiers ist damit keine Frage des Einkommens. Hieraus ergibt sich für die öffentliche Hand die Erkenntnis, dass bedarfsgerechte Innenstadtquartiersentwicklung den Bürgern und Milieus in der Gesamtheit zugutekommt.

Nachhaltigkeit im Fokus

Im Zuge der Betrachtung von Nachhaltigkeit im Innenstadtquartier zeigen die Studienergebnisse, dass allen drei Dimension – Ökologie 34,4 Prozent, Soziales 33,8 Prozent und Ökonomie 31,8 Prozent – eine annähernd gleich hohe Bedeutung zugemessen wird, ökonomische Faktoren wie die Förderung lokaler Unternehmen über alle Dimensionen die zweithöchste Bürgerpräferenz erfahren. Auffällig ist, dass die Begrünung des Quartiers für 45 Prozent der Befragten das wichtigste Element der Ökologie (vor technischen Lösungen mit 29 Prozent) ist. Eine vermeintlich kostengünstige Gestaltungsentscheidung der öffentlichen Hand, in der am Grünanteil gespart wird, könnte somit am Bedarf der Bürger vorbeigehen und gesamtwirtschaftliche Nachteile hervorrufen. Im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit ist für 35 Prozent der befragten Bürger das Sicherheitsempfinden der wichtigste Aspekt. Auch der gesellschaftliche Austausch und Zusammenhalt ist für die Befragten ein wichtiger Bestandteil der sozialen Nachhaltigkeit im Innenstadtquartier. Die Schaffung von Angeboten für Bürger mit niedrigen Einkommen und für alle Generationen wird von den Bürgern stark präferiert (Rang Zwei / Drei in der sozialen Dimension).

Zukunft für Warenhäuser

Die Bürgerpräferenzen zur Flächenallokation in Innenstadtimmobilien wurden am Beispiel eines viergeschossigen Warenhauses mit Dachterrasse und Untergeschoss untersucht. Die Studienergebnisse verdeutlichen, dass der jeweilige Nutzungsmix stark von lokal individuellen Parametern geprägt wird, zum Beispiel Einkommensklasse und Milieu. Dennoch wird dem Einzelhandel in erdgeschossnahen Lagen noch immer ein wichtiger Anteil der Flächenallokation zugeschrieben. Die Studienergebnisse belegen, dass abhängig vom umliegenden Angebot flankierende Nutzungen der Grundversorgung durch Nah- oder Gesundheitsversorgung im UG/EG oder ersten OG oder Gastronomie einen erheblichen Hebel zur Deckung der Präferenzen der Bürger bieten können. Dabei sei wichtig zu erwähnen, so die Studienautoren, dass der kleinteilige günstige Einzelhandel mit Abstand am geringsten in den Geschossen präferiert werde. Die Studienergebnisse verdeutlichen damit, dass sich eine Nachnutzung um jeden Preis nicht empfiehlt. Die geringe Voreingenommenheit der Bürger zur Nutzung der mittleren Geschosse bietet demnach im Gesamtkonzept das Potenzial, die verschiedenen Nutzungen innerhalb des Gebäudes auf kreative Art und Weise zu verknüpfen. Gastronomische Angebote wie Cafés und Imbisse, aber auch die Gesundheitsversorgung werden hier am stärksten präferiert. Besonders auffällig ist, dass die konkrete Ausgestaltung der mittleren Geschosse kaum Unterschiede zwischen den Einkommensklassen oder Milieus aufweist. Damit bergen die mittleren Ebenen das Potenzial, nicht nur den Kitt zwischen den Hauptnutzungen, sondern auch zwischen der Gesellschaft und Stadtmilieus zu stellen. Überraschend ist, dass den Nutzungen auf der Dachterrasse aus Sicht der Bürger – noch vor den Erdgeschosslagen – das höchste Bedeutungsgewicht zukommt.

Susanne Müller