Mehrfach genutzt, immer gewonnen

Second-Hand
Second-Hand-Kleidung ist durch die Corona-Pandemie noch populärer geworden © terovesalainen / stock.adobe.com

Handel und Immobilien
Strategie

Susanne Osadnik

Immer mehr Menschen setzen auf Second-Hand-Kleidung. Längst sind nicht mehr ausschließlich junge Leute davon überzeugt, dass weniger mehr sein kann. Die Zahl älterer Konsumenten, die aus zweiter Hand kaufen, hat binnen eines Jahres ordentlich zugelegt. Die Corona-Krise hat die Sichtweise des umweltschonenden Shoppens noch verstärkt und wird gravierende Auswirkungen auf die Modewelt haben. Denn die Erwartungen der Kunden an ressourcensparende Produktion sowie nachhaltiges Handeln der Unternehmen werden weiter steigen

Arizona Grace Muse ist ein Model, das so ziemlich jede Luxusmarke auf dem Laufsteg trägt, die man mit Haute Couture in Verbindung bringt. Auch privat hat sie sich gern ihren Kleiderschrank mit den neuesten Designer-Klamotten gefüllt – bis ihr irgendwann klar wurde, dass sie damit zu einer höchst unökologischen Entwicklung beitrug. Denn den Vereinten Nationen zufolge ist die Modebranche für zehn Prozent der jährlichen weltweiten Kohlendioxidemissionen verantwortlich und verschmutzt die Umwelt fast genauso schlimm wie die Erdölindustrie. Die inzwischen 31-Jährige zog für sich selbst die Reißleine, kaufte weniger, bewusster und häufig Second Hand. Inzwischen gibt das Vogue-Model im Internet Tipps, wie man Mode mit gutem Gewissen tragen kann: Nichts wegwerfen, nur weil es eine kleine Macke hat! Kaufe Vintage, so oft Du kannst! Achte auf die Materialien, die verwendet werden! Trage lieber Leinen als Baumwolle! Hänge Deine Sachen nur noch auf Metallbügel, die ein Leben lang halten und vermeide Bügel aus Plastik!

Second-Hand-Kleidung immer beliebter

Dass Models für Umweltschutz und Umdenken beim Konsumverhalten aufrufen, scheint noch befremdlich. Denn bislang gehörte es kaum zu den selbst gewählten Aufgaben der überdurchschnittlich gut verdienenden Aushängeschilder von Designern und Modepäpsten, sich für irgendetwas einzusetzen – zumindest nicht, so lang die Karriere auf Hochtouren lief. Da war es eher unerwünscht, wenn schöne Menschen, die Verkaufszahlen in die Höhe treiben sollten, sich kritisch zu gesellschafts- oder umweltpolitischen Themen äußerten.

Doch die Zeiten ändern sich, wie auch aktuelle Studien zeigen. So hat beispielsweise der Second-Hand-Onlineshop Ubup kürzlich in Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsinstitut Kantar zum zweiten Mal eine repräsentative Studie mit mehr als 6.000 Teilnehmern durchgeführt, um detaillierte Einblicke in den Gebrauchtwarenmarkt für Kleidung zu bekommen. Das Ergebnis ist so verblüffend wie wegweisend: Mehr als jeder Zweite (56 Prozent) in Deutschland hat bereits Second-Hand-Kleidung gekauft – ein Zuwachs von 3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und für die Studienautoren eine Bestätigung dafür, dass Kleidung aus zweiter Hand mehr als ein kurzfristiger Trend ist. Weitere Erkenntnisse: Frauen (67 Prozent) shoppen häufiger Second-Hand-Ware als Männer (49 Prozent). Die Motivation scheint bei beiden Geschlechtern allerdings dieselbe zu sein: 86 Prozent kaufen Kleidung aus zweiter Hand, weil es gut für die Umwelt ist.

Die repräsentative Kantar-Umfrage zeigt, dass Second-Hand-Kleidung besonders gern online gekauft wird: 63 Prozent der Second-Hand-Käufer shoppen im Netz. Auf Flohmärkten suchen 42 Prozent nach dem nächsten Lieblingsteil aus zweiter Hand, gefolgt von Second-Hand-Läden mit 37 Prozent. Vor allem Frauen (73 Prozent) kaufen gerne online Second-Hand. Dafür kaufen Männer lieber in Second-Hand-Läden (43 Prozent).

Der Kauf von gebrauchter Kleidung scheint mehr und mehr zur Routine zu werden: mindestens alle drei Monate. Dieser Wert ist im Vergleich zum Vorjahr leicht (um 3 Prozent) gestiegen. Fast die Hälfte der Befragten (46 Prozent) gibt an, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass sie in Zukunft gebrauchte Kleidung kaufen werden – ein Zuwachs von 6 Prozent im Vergleich zu 2019.

Kauflust der 55- bis 64-Jährigen steigt stark an

Wie auch schon im vergangenen Jahr bestätigt die diesjährige Kantar-Umfrage, dass der Kauf von Second-Hand-Klamotten nicht im Zusammenhang mit dem Brutto-Haushaltseinkommen steht. Lediglich die Befragten mit einem Brutto-Haushaltseinkommen von über 50.000 Euro liegen minimal unter dem Durchschnitt von 58 Prozent. Am beliebtesten ist Kleidung aus zweiter Hand vor allem bei Jüngeren: So haben bereits 63 Prozent der 16- bis 24-Jährigen und 64 Prozent der 24- bis 34-Jährigen bereits Second-Hand-Kleidung gekauft. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Kauflust bei den 55- bis 64-Jährigen von 43 auf 51 Prozent gestiegen.

Um mehr über die Gründe für den Kauf von Second-Hand-Kleidung zu erfahren, hat Ubup eine Kundenumfrage unter knapp 5.000 Teilnehmern durchgeführt. Klare Motivation für den Kauf von gebrauchter Kleidung ist der Nachhaltigkeitsaspekt: 86 Prozent aller Befragten geben an, Kleidung aus zweiter Hand zu kaufen, weil das gut für die Umwelt ist. Im vergangenen Jahr waren es 83 Prozent. 79 Prozent shoppen Kleidung Second-Hand aufgrund der Preisersparnis im Vergleich zur Neuware. Fast die Hälfte der Befragten (47 Prozent) geht auf Kleidungssuche bei Second Hand, weil die gewünschte Ware nicht mehr im regulären Handel verfügbar ist. Männern (86 Prozent) scheint der günstige Preis dabei wichtiger zu sein als Frauen (79 Prozent). Frauen wiederum legen mehr Wert auf Umweltschutz (88 Prozent gegenüber Männern zu 80 Prozent). Ganze 90 Prozent geben an, dass ihnen allgemein beim Kleidungskauf Nachhaltigkeit und Umweltschutz wichtig oder sehr wichtig sind. Dabei ist der Nachhaltigkeitsaspekt jeder zweiten befragten Frau (50 Prozent) sehr wichtig, bei den Männern sind es nur 37 Prozent. Vor allem Menschen über 60 Jahre achten beim Kleidungskauf auf Nachhaltigkeit (56 Prozent).

Corona-Pandemie ändert Kaufverhalten

Angesichts der Corona-Pandemie haben Ubup und Kantar die möglichen Veränderungen beim Kaufverhalten in Bezug auf Kleidung untersucht. Das Ergebnis: 29 Prozent der Deutschen haben aufgrund der weltweiten Corona-Pandemie weniger Kleidung gekauft – egal ob neu oder gebraucht. Dabei geben 63 Prozent an, dass sie nichts Neues brauchen und fast jedem Zweiten (49 Prozent) erschien der Kleidungskauf nicht wichtig. Gleichzeitig gibt über die Hälfte der Deutschen (57 Prozent) an, dass sich ihr Kaufverhalten bei Kleidung durch Corona nicht verändert hat. 8 Prozent der Befragten haben mehr Kleidung geshoppt als zuvor. Unter den Ubup-Kunden geben 16 Prozent an, seit der Corona-Pandemie bewusster einzukaufen und auf Nachhaltigkeit zu achten. Dabei kaufen jetzt 91 Prozent gebrauchte Artikel. Mehr als die Hälfte achtet auf Label wie Fair Trade (58 Prozent) und verzichtet auf Fast Fashion (56 Prozent). Ein Fünftel kauft jetzt nur noch Mode von nachhaltigen Labels.

Modeindustrie muss ihre Wertschöpfungskette neu gestalten

Das alles deckt sich auch mit den Erkenntnissen aus dem Coronavirus-Update zum »State of Fashion 2020«-Report. Für den Report haben die Unternehmensberatung McKinsey & Company sowie die Medienplattform Business of Fashion (BoF) aktuelle Umfragen mit mehr als 1400 Experten aus der BoF-Community sowie 6000 Konsumenten aus einem McKinsey-Survey, daneben Daten und Experteninterviews analysiert, um für die Modebranche einen Ausblick in die 12- bis 18-monatige Phase nach der Krise zu geben. »Die Krise wirkt sich auf unser tägliches Leben aus und flößt vielen Menschen Angst ein. Das Klima ist infolge der hohen Arbeitslosigkeit und der Einschränkungen im Alltag alles andere als konsumfreundlich«, sagt Achim Berg, Experte für die Mode- und Luxusindustrie bei McKinsey. Außerdem seien die Kleiderschränke der Verbraucher gut gefüllt, und es fehlten die Gelegenheiten, Mode zu tragen.

Daher geht man auch davon aus, dass die Folgen der Corona-Krise einen einschneidenden Moment für die Modeindustrie markieren und die Art und Weise, wie die Branche funktioniert, neu gestalten werden. »Sobald sich der Staub der unmittelbaren Krise gelegt hat, wird die Mode mit einem rezessiven Markt und einer Industrielandschaft konfrontiert sein, die sich noch immer in einem dramatischen Wandel befindet. Dies wird eine noch nie dagewesene Zusammenarbeit innerhalb der Branche erfordern – sogar zwischen konkurrierenden Organisationen. Kein Unternehmen wird die Pandemie allein überstehen, und die Akteure der Modebranche müssen Daten, Strategien und Erkenntnisse darüber austauschen, wie sie den Sturm bewältigen können«, sagt Imran Amed, Gründer und CEO von The Business of Fashion. »Die Krise ist ein Katalysator, der die Branche in einen Wandel stürzen wird – jetzt ist es an der Zeit, sich auf eine Welt nach dem Coronavirus vorzubereiten.«

Modeindustrie-Fachmann Berg erwartet zwar »eine Phase der Erholung, die aber durch eine anhaltende Flaute bei den Ausgaben und einen Rückgang der Nachfrage über alle Kanäle hinweg gekennzeichnet sein wird.« Die aus der Krise resultierende »Konsumquarantäne« könnte nach Ansicht von McKinsey einige Veränderungen in der Modebranche beschleunigen. Die Krise bietet der Mode nach Ansicht von Berg aber auch die Chance, die Wertschöpfungskette der Industrie neu zu gestalten. Themen wie Digitalisierung, Discount, Branchenkonsolidierung und Unternehmensinnovation würden nach dem Abklingen der unmittelbaren Krise viel stärker verfolgt werden als bisher. Denn Kunden würden künftig ihre wachsende Antipathie gegenüber Abfall erzeugenden Geschäftsmodellen deutlich machen und erhöhte Erwartungen an den digitalen Wandel sowie an nachhaltiges Handeln stellen.

Berliner NochMall setzt auf pfiffige »Handelskonzepte«

Aus Sicht von Klaus Striebich, Inhaber des Beratungsunternehmens »RaRE Advise – Retail and Real Estate«, ist all das durchaus wünschenswert. »Wir können davon ausgehen, dass Nachhaltigkeit von Seiten der Unternehmen, aber auch Städte und Kommunen künftig sehr viel ernster als bislang genommen wird«, sagt der Einzelhandelsexperte. »Es gibt schon eine Reihe lobenswerter Initiativen, die hoffentlich noch mehr Nachahmer finden.« Beispiel Berliner Stadtreinigung (BSR): Die BSR hat in ihrer Unternehmensstrategie die Förderung von Wiederverwendung als wichtige Maßnahme zur Abfallvermeidung fest verankert. Ein 2018 durchgeführter Pilotversuch (Abgabe von Material am Recyclinghof Ruppiner Chaussee für einen Zeitraum von 5 Wochen, Vermarktung über Sozialkaufhäuser und andere Einrichtungen) bestätigte das vorhandene Potenzial für die Wiederverwendung. Seitdem werden gut erhaltene Sachen aus dem Sperrmüll nicht weggeworfen, sondern wieder aufgearbeitet und verkauft. Das läuft so gut, dass im Sommer – trotz Corona – in Reineckendorf ein Gebrauchtwarenkaufhaus eröffnet wurde: die NochMall. Dort werden nicht nur Möbel, Kleidung, Elektrogeräte, Haushaltswaren, Spielzeug, Bücher und vieles mehr auf mehr als 2.000 Quadratmeter verkauft, um ihnen ein zweites Leben zu geben, sondern auch Upcyclingworkshops und Repaircafés veranstaltet sowie Flächen an Pop-up-Stores vermietet.

Loooop verwandelt alte T-Shirts in neue

Aber auch Vertreter der sogenannten Fast Fashion-Industrie denken um – wenn auch nicht unbedingt freiwillig. Bereits seit sieben Jahren kann man bei H&M Altkleidung abgeben – unabhängig von Marke und Zustand der Ware. Sogar einzelne Socken, zerrissene T-Shirts und alte Bettlaken nimmt die schwedische Modekette an. Die Textilien werden zur nächsten Sortieranlage gebracht und dort  sortiert. Für jede abgegebene Tüte mit aussortierter Kleidung gibt es einen Gutschein für den nächsten Einkauf. »H&M versucht damit, der zunehmenden Knappheit beim Rohstoff Baumwolle entgegenzuwirken«, erklärt Striebich. »Da zwar immer weniger Baumwolle produziert wird, weil sie viel Wasser verbraucht und der Einsatz von Pestiziden immer häufiger verboten wird, sinkt das Angebot an diesem Rohstoff. Die Nachfrage ist aber ungebrochen hoch. Da muss man sich etwas einfallen lassen.«

Die schwedische Bekleidungskette hat das getan und seit Oktober in einer Stockholmer Filiale ein Recyling-System installiert, das alte Kleidung vor Ort im Laden in neue verwandeln kann. In nur acht Schritten zerkleinert die Maschine den eingespeisten Stoff und strickt aus den alten Fasern ein neues Kleidungsstück. Ganz ohne Wasserverbrauch oder schädliches Färben. Das Einzige, was hinzugefügt wird, ist ein bisschen nachhaltig bezogenes Material zur Stärkung des Fadens. Das sei notwendig, da die Fasern des alten Kleidungsstücks durch das maschinelle Zerkleinern verkürzt werden, heißt es beim Modeanbieter. Doch Looop, so der Name des Systems, sei erst der  Anfang einer echten Recycling-Revolution, so H&M »und wir hoffen, ihr macht mit.«

Ein Beitrag von
Susanne Osadnik,
Chefredaktion GCG