Menschen können neue Realitäten erschaffen

GCSP 3-5-1-Konferenz 2021
GCSP 3-5-1-Konferenz 2021, Hamburg © KD Busch

Vor Ort
Glokalisierung

Richard Haimann

Die German-Council-Konferenz im zweiten Pandemie-Jahr steht im Zeichen des Aufbruchs und der Zuversicht. Denn eine hohe Impfrate macht weitere Lockdowns unwahrscheinlich. Stattdessen warten andere Herausforderungen auf den Einzelhandel – beispielsweise die Wiederbelebung der Innenstädte. Eine durchaus lösbare Aufgabe, vorausgesetzt Immobilieneigentümer, Händler, Marketingverbände
und Kommunen ziehen an einem Strang

Deutschlands Handel und seine Immobilienwirtschaft – bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie zählen sie zu den Vorreitern. Deutlich wird dies bei der diesjährigen 3-5-1-Konferenz des German Council of Shopping Places im Börsensaal der Handelskammer Hamburg. Mehr als 95 Prozent der 130 Teilnehmenden vor Ort sind vollständig gegen den Covid-19-Erreger geimpft. Ähnlich hoch dürfte die Quote bei den mehr als 70 Verbandsmitgliedern sein, die das Event im Livestream über das Internet verfolgen.

Für Christine Hager, Vorstandsvorsitzende des Councils, ist das ein Wert, dem die Gesellschaft nacheifern sollte: »Die steigende Impfquote im Land gibt Grund zur Hoffnung.« Jetzt gelte es, »den harten Kern an Ungeimpften zu überzeugen, sonst droht ein turbulenter Herbst«. Eine hohe Impfquote verhindere, dass Covid-19-Infizierte erneut Krankenhäuser und Intensivstationen füllen – und nochmals massive Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie verhängt werden. Wobei Hager auch Kritik an den Entscheidungsträgern in Bundes- und Landesregierungen übt: »Eine Corona-Politik, die den stationären Handel einschränkt, obwohl nachweislich keine Infektionsgefahr von ihm ausgeht, darf sich nicht wiederholen.« Alles andere wäre »der Todesstoß für manchen kleinen und mittelgroßen Einzelhändler.«

»Break – Shake – Take«, lautet das Motto der Konferenz. »Bei Break geht es um die Frage, mit welchem Vertrauten aus der Vergangenheit wir brechen müssen«, erläutert Hager. Shake, das englische Wort für »schütteln«, berühre die Dinge, die verändert werden müssten. Take – englisch für »nehmen« – behandele die Veränderungen, »die gekommen sind, um zu bleiben«, sagt die Council-Chefin.

Das Motto ist dasselbe wie bei der Konferenz des vergangenen Jahres. Auch ein Tribut an den bisherigen Verlauf des zweiten Corona-Jahres, der viele Parallelen zu 2020 aufzeigt: Ein erneuter Lockdown im Frühjahr mit geschlossenen Geschäften, der den E-Commerce-Anbietern zu wachsendem Umsatz verhilft, während der stationäre Handel darben muss. Den Unterschied machen jedoch die Vakzine, die vor schweren Krankheitsverläufen schützen und dafür sorgen dürften, dass Geschäfte nicht noch einmal geschlossen werden. Dass viele Kunden lieber in einem Laden als über ihren Internetbrowser shoppen, steht für Hager außer Frage: »Natürlich kann ich eine neue Handtasche im Netz bestellen – sehr viel lieber kaufe ich sie aber vor Ort in einem Fachgeschäft, wo ich sie nicht nur betrachten, sondern direkt in die Hand nehmen kann.«

H&M: Offenheit und Leichtigkeit als Leitmotiv

Die Konferenz macht zugleich deutlich, dass E-Commerce und stationärer Handel längst nicht mehr gegensätzliche Konzepte darstellen, sondern erfolgreich miteinander in Einklang gebracht werden können. Beispielhaft dafür ist das schwedische Textilhandelsunternehmen Hennes & Mauritz. Dessen erster Deutschland-Chef, Edgar Rosenberger, und sein heutiger Nachfolger, Thorsten Mindermann, schildern im Gespräch mit Klaus Striebich, Ex-Council-Vorstand und Inhaber der Beratungsgesellschaft RaRE Advise – Retail and Real Estate, die Geschichte der Expansion des skandinavischen Bekleidungsanbieters in die Bundesrepublik. »Wir betreiben E-Commerce nicht nur, um Umsatzwachstum zu generieren, sondern um den Gewinn zu steigern«, sagt Mindermann. Und: Die deutsche Tochter der Schweden ist dabei so erfolgreich, dass sie diesen Service auch für »andere Firmen anbieten«. Einzelhändler, die sich zu klein wähnen, um selbst einen Online-Shop zu betreiben, haben damit eine Alternative zu Amazon und Ebay, die derartige E-Commerce-Shop-in-Shop-Konzepte zu nicht immer sonderlich attraktiven Konditionen offerieren – wie zahlreiche Händler monieren.

H&M ist auch ein Beispiel für »Take«. Aus Unternehmenskulturen anderer Länder lässt sich lernen. Der Erfolg der Schweden basiere auch auf »deren Offenheit und Leichtigkeit«, sagt Rosenberger. »Die Türen zur Chefetage stehen dort für alle offen.« Er selbst ist das beste Beispiel dafür. 1980, 25 Jahre jung und bei Hennes & Mauritz in Stockholm beschäftigt, entwirft er für Inhaber Erling Persson ein Konzept für die Expansion nach Deutschland. Ein paar Stunden später ruft Persson ihn zu sich. Mehrere Gespräche folgen – und im Spätherbst des Jahres wird die erste deutsche H&M-Filiale im Hamburger Hanseviertel mit Rosenberger als Geschäftsführer eröffnet. In den folgenden Jahren baut er die Präsenz der Skandinavier hierzulande kräftig und erfolgreich aus. »Ich hatte damals nicht erwartet, dass Persson mir diese Verantwortung anvertrauen würde«, sagt Rosenberger rückblickend.

Das Hamburger Hanseviertel selbst ist auch Gegenstand der Konferenz. Am 14. November 1980 eröffnet, wird die inzwischen unter Denkmalschutz stehende älteste Einkaufspassage Hamburgs vom Eigentümer CBRE nun aufwändig modernisiert. »Unser Umbauvorhaben zeigt, dass ein Denkmal gestärkt in die Zukunft geführt werden kann«, sagt Center-Managerin Sylvia Nielius.

Die Wandlung betagter Flächen in moderne, zeitgemäße Geschäfte steht beispielhaft für eine Antwort auf eine Forderung, die GCSP-Vorstandsvorsitzende Hager an die Eigentümer von Handelsliegenschaften richtet: »Die Immobilienwirtschaft muss künftig noch enger mit den Kommunen und dem Handel zusammenarbeiten.« Es gelte, die »nötige Infrastruktur« für einen erfolgreichen stationären Handel als Nutzer der Immobilien zu schaffen.

In Deutschland ist da vielerorts noch Verbesserungsbedarf, wie Christian Mikunda in seinem Referat deutlich macht. Der Wiener ist studierter Psychologe und Theaterwissenschaftler, hat sich aber vor allem als Begründer der Experience Economy, der Erlebniswirtschaft, und der Laden-Dramaturgie einen Namen gemacht. Mithin: Mikunda ist der Experte, der weiß, wie Innenstädte und Geschäfte gestaltet sein müssen, um Konsumenten zu locken. Hierzulande, das zeigen seine Bilder von diversen Fußgängerzonen, herrscht eher Tristesse, die Kunden eher abschreckt, denn anlockt. »Es fehlt die Emotionalität, die Menschen begeistert«, sagt Mikunda.

Wie es anders geht, zeigt der Professor für Marketing-Dramaturgie an der Universität Wien am Beispiel der Osttiroler Stadt Lienz. Die liegt 673 Meter über dem Meeresspiegel wo Drau-, Isel- und Pustertal aufeinanderstoßen und der Südwind für mediterranes Klima sorgt. »Bereits im Februar stellen die Cafés ihre Tische draußen auf und holen sie erst Ende Oktober wieder hinein«, schildert Mikunda.

Diese Wärme ist ein Pfund, mit dem die Einzelhändler, Gastronomen und Hoteliers der 11.935 Einwohner zählenden Stadt gut wuchern können. Als »Sonnenstadt« vermarkten sie seit Jahren erfolgreich ihren Ort. Die Stadtverwaltung habe dabei eifrig mitgezogen, sagt der Professor. »Sie haben Palmen vor dem Rathaus gepflanzt, um für ein entsprechendes Ambiente zu sorgen.« Das Resultat sind Jahr für Jahr Besuche von anreisenden Urlauber aus der Ferne und von kauffreudigen Tagesbesuchern aus der Region.

Kiels City wandelt sich zum wieder zum Vollzeitquartier

Dass eine erfolgreiche Innenstadtbelebung auch in Deutschland möglich ist, zeigt Uwe Wanger, Geschäftsführer von Kiel-Marketing, am Beispiel der Schleswig-Holsteinischen Landeshauptstadt. An der Förde haben Immobilieneigentümer, Händler und Kommune vor Jahren gemeinsam begonnen, die Einkaufsmeilen wieder attraktiver zu machen. Gebäude wurden modernisiert, Straßen verschönert, eine Marina geschaffen. 500 Millionen Euro an privaten Investitionen sind geflossen. Der Erfolg könne sich sehen lassen, sagt Wanger. »2019, im Jahr vor der Corona-Pandemie, ist die Passantenfrequenz in den Einkaufsstraßen nochmals um zehn Prozent gestiegen.«

Ein Schlüssel zur Stärkung des stationären Kieler Handels: Die Innenstadt wurde von einem primären Arbeits- und Einkaufsquartier durch den Bau neuer Wohnungen wieder in ein Vollzeitquartier umgewandelt. »Seit der Jahrtausendwende ist die Zahl der Einwohner in der Innenstadt um 31 Prozent gewachsen«, sagt der Marketing-Chef. Zudem seien fünf neue Hotels errichtet worden, um die Zahl auswärtiger Besucher zu steigern.

Die entscheidende Erkenntnis Wangers: »Stadtentwicklung ist ein Teamsport.« Nur wenn Immobilieneigentümer, Händler, Stadtplanungsämter und Marketinggesellschaften kooperieren, könnten die Herausforderungen bewältigt werden. In der Fördestadt ist dies gelungen. Kiels Attraktivität lockt Konsumenten und ihre Kaufkraft so massiv, dass selbst in der Corona-Krise neue Mieter für Geschäfte gewonnen werden konnten. »2019 haben wir 23 Neuansiedlungen verzeichnet, 2020 sogar 25«, sagt Wanger.

Die Corona-Pandemie ist nicht die einzige Herausforderung, mit der die Welt zurzeit konfrontiert ist. Noch weit größer sind die Anforderungen, die in den kommenden Jahrzehnten der Klimawandel an Wirtschaft, Politik und Gesellschaft stellt. Eine kleine Antwort darauf wollen die National Geographic Society, die 1888 gegründete US-amerikanische Gesellschaft zur Förderung der Geografie, und CoreM, eine Tochter des Textilherstellers Omnibrand Group in Hongkong, gemeinsam geben. CoreM hat als Lizenzpartner von National Geographic eine nachhaltige Apparel-Linie entwickelt, die unter dem Namen der US-Gesellschaft vermarktet wird und dabei auch auf die durch den Klimawandel entstehenden Gefahren aufmerksam macht.

Nachhaltige Bekleidung von »National Geographic«

»National Geographic hat erkannt, dass es heute nicht mehr genügt, nur die Welt zu erklären«, sagt der Strategieberater Dietmar Axt, der seit 2019 das Projekt begleitet. Durch die Apparel-Linie würden Konsumenten auf die Gesellschaft und die Anliegen des Natur- und Klimaschutzes aufmerksam gemacht. Entsprechend nachhaltig seien die Bekleidungsstücke konzipiert: High-Tech-Stoffe wie strapazierfähiges, recyceltes Nylon und Polyester treffen auf öko-zertifizierte Baumwolle und biologisch abbaubare SeaCell-Fasern, die aus Meeresalgen gewonnen werden.

»National Geographic Clothing« zeigt auch, dass für einen erfolgreichen Textilvertrieb das Internet allein nicht ausreicht – selbst wenn eine Weltmarke dahintersteht. Das National Geographic Magazin, publizistisches Aushängeschild der Gesellschaft, wurde 1905 erstmals aufgelegt und erreicht heute in 40 Sprachen mehr als 60 Millionen Leser weltweit. Allein die deutsche Ausgabe hat eine Auflage von 172.500 Exemplaren. Dennoch wird die Apparel-Linie nicht nur per Internetshop, sondern gezielt auch stationär vertrieben. Europaweit gibt es mehr als 60 stationäre Verkaufspunkte in 19 Ländern. »Größtenteils handelt es sich um Pop-up-Flächen in etablierten Einzelhandelsgeschäften«, sagt Axt. Zu den Partner zählen renommierte Adressen wie Appelrath Cüpper, Peek & Cloppenburg und Inhaber von Intersport-Filialen.

Was CoreM und National Geographic unternehmen, ist ein Wagnis – und damit genau das, was unternehmerisches Handeln ausmacht. Solche neuen Ideen sollten Unternehmer zu verwirklichen suchen – weil sie meist von Erfolg begleitet werden, sagt der Neurologe und Gründer der Berliner Beratungsgesellschaft Boutique Consultancy phi360, Arndt Pechstein. »Menschen können neue Realitäten erschaffen, in dem sie sich diese zunächst in ihrem Geist vorstellen.«

Diese Fähigkeit habe zu Erfindungen, zur Entdeckung neuer Kontinente, zum Besuch des Mondes geführt. Und sie könne uns helfen, alle kommenden Herausforderungen zu bewältigen. »Wir müssen uns heute nicht nur fragen, sondern vorstellen«, sagt Pechstein, »wie wir morgen leben wollen, wie unsere Zukunft aussehen soll – und die unserer Kinder.«

Mehr Freiheit durch Corona ...

Dabei dürfte es auch gelten, sich von manchem zu verabschieden, was einst zur Routine gehörte. Was dieses Shake – das Abschütteln unnützer Gewohnheiten – bedeutet, wird deutlich im Interview, das Annika de Buhr, Nachrichtensprecherin bei NTV und Moderatorin der GCSP-Konferenz, mit Gabriele Fischer, Chefredakteurin des Wirtschaftsmagazins Brand Eins, führt. Die Corona-Zeit habe uns einiges gelehrt, sagt Fischer. »Wir brauchen vieles nicht, das wir zuvor für unbedingt nötig gehalten haben.« Ein Beispiel dafür seien Flugreisen für halbstündige Meetings. Per Zoom oder Microsoft Teams seien derartige Termine schneller und effizienter zu erledigen. Fischer hat für sich selbst ein Fazit gezogen: »Ich denke bei allem, was an mich herangetragen wird, heute mehr darüber nach, ob ich es wirklich will.« Was so gewonnen wird, sei Zeit. Ein Stück Freiheit, mit dem die eigene Kreativität und Leistungsfähigkeit gestärkt werden könne.

Ein Beitrag von
Richard Haimann,
freier Journalist