Merkliche Spielräume für Preiserhöhungen in Gastronomie und Tourismus ...

Stefan Kooths
Stefan Kooths © IfW Kiel / Studio23

Interview
Dranbleiben

Richard Haimann

Deutschlands Haushalte verfügen zurzeit über jede Menge Geld. Denn in den Phasen der Lockdowns wurde kräftig gespart. Ist die Pandemie erst einmal überwunden, werden sich dadurch dreistellige Milliardenbeträge in den Konsum ergießen, sagt Stefan Kooths, Direktor des Konjunkturforschungszentrums am Kieler Institut für Weltwirtschaft. Das wird kurzfristig für Preisanstiege sorgen, aber noch nicht zu einer Rückkehr der Inflation führen. Erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts könnte die Teuerung über Gebühr steigen

Herr Kooths, der Einzelhandel hat in den zur Bekämpfung der Corona-Infektionen verhängten Lockdowns schwer gelitten. Mit den Impfungen rückt das Ende der Pandemie nahe. Stehen wir damit auch vor einer Wiederbelebung des Konsums?
Stefan Kooths: Zunächst hat nicht der gesamte Einzelhandel gelitten. Möbelhäuser, Baumärkte und der gesamte Online-Handel konnten ihre Umsätze 2020 zum Teil beachtlich steigern. Weil die Menschen während der Lockdowns daheim bleiben mussten, haben sie die eigenen vier Wände verschönert. Insgesamt haben die Verbraucher jedoch deutlich weniger Geld ausgegeben als in anderen Jahren. Während der Pandemie häufen die privaten Haushalte schätzungsweise zusätzliche 230 Milliarden Euro an Ersparnissen auf. Das entspricht mehr als zehn Prozent der üblicherweise in einem Jahr anfallenden Konsumausgaben.

Es wird also eine immense Nachfrage geben, wenn die Pandemie vorüber ist. Nach der klassischen Lehre müsste damit die Inflation kräftig anziehen…
Würde sich die aufgestaute Kaufkraft binnen Monaten oder eines Jahres in den Konsum ergießen, würde dies zu zweistelligen Teuerungsraten führen. Denn in diesem Fall könnten die Anbieter ihre Mengen nicht schnell genug steigern, damit das Angebot mit der hohen Nachfrage Schritt halten kann.

›Die globale Konjunktur kehrt aus dem tiefen Krisental zurück, in das sie im Zuge der Corona-Pandemie geraten war.‹

Also werden die Preise steigen…
Nicht in jedem Fall. Nehmen Sie als Beispiel Güter wie Elektronikartikel, Schuhe oder Textilien. Diese Produkte konnten auch im Lockdown über das Internet erworben werden. Konsumenten werden es zwar genießen, wieder im stationären Handel solche Waren aus- und anprobieren zu können. Aufgrund der Konkurrenz mit E-Commerce-Anbietern dürften die Geschäftsinhaber hier jedoch kaum die Preise anheben können. Anders ist das bei Dienstleistungen, die Verbraucher über einen längeren Zeitraum entbehren mussten. Da werden sich für Unternehmen merkliche Spielräume für Preiserhöhungen bieten. Beispielsweise in der Gastronomie oder im Tourismus. Wer dringend endlich wieder in ein Restaurant gehen oder in die Ferne fliegen will, wird sich kaum daran stören, wenn das Steak drei Euro mehr kostet oder die Urlaubsreise ein paar Hundert Euro teurer ist als vor der Pandemie.

Benzin, Diesel und Heizöl sind bereits deutlich teurer geworden. Das Statistische Bundesamt vermeldet für Januar eine Inflationsrate von einem Prozent, für Februar bereits von 1,3 Prozent. Zeigt dies nicht, dass die Inflation bereits Einzug hält und die Kaufkraft der Konsumenten langfristig schmälert?
Nein. Zunächst haben wir in Deutschland die Besonderheit, dass die zu Jahresbeginn eingeführte CO2-Abgabe seither fossile Energien verteuert. Zudem ist die im vergangenen Jahr vorübergehend gesenkte Mehrwertsteuer wieder auf den vorherigen Stand gehoben worden. Beides treibt in diesem Jahr ausschließlich hierzulande die Teuerungsrate. Hingegen spiegeln die gegenwärtig weltweit zu beobachtenden Preisanstiege die kräftige Belebung der Weltwirtschaft wider. Die globale Konjunktur kehrt aus dem tiefen Krisental zurück, in das sie im Zuge der Corona-Pandemie zu Beginn des vergangenen Jahres geraten war. Die industrielle Aktivität zieht weltweit an und mit der Normalisierung der Wirtschaftsleistung normalisieren sich auch die Rohstoffpreise.

Der Kostenanstieg bei den Rohstoffen ist also vergleichbar mit den Preiszuwächsen am Ende der Großen Rezession nach der Finanzkrise?
Richtig. Allerdings waren der Finanzkrise mehrjährige Fehlentwicklungen vorausgegangen, die zu erheblichen Verzerrungen in der Realwirtschaft und schließlich zu Verwerfungen im Finanzsystem geführt haben. Deren Korrektur ist langwierig, weil sich Strukturen neu ausrichten müssen. Das führte dazu, dass die Erholung sich über mehrere Jahre hinzog und die Preise langsamer wieder das Vorkrisenniveau erreichten. Hingegen ist die gegenwärtige Rezession durch einen exogenen Schock, eben die Pandemie, ausgelöst worden. Bestehende Strukturen wurden dabei nicht in Frage gestellt, weshalb auch keine langwierigen Reformen nötig sind. Deshalb vollzieht sich der Aufschwung nun erheblich schneller. Wir werden rasch dahin zurückkehren, wo wir vor Beginn der Covid-19-Krankheitswelle waren. Die gegenwärtig zu beobachtenden Preisanstiege sind daher keine Vorboten für ein neues Inflationsregime.

An den Finanzmärkten ist ein kräftiger Abverkauf bei Staatsanleihen zu beobachten, was allgemein als klassischer Frühindikator für eine anziehende Teuerung gilt. In den USA rentieren zehnjährige US-Staatsanleihen sogar wieder oberhalb der Marke von 1,7 Prozent…
Institutionelle Investoren wie Banken, Pensionskassen und Versicherungen sind durch gesetzliche Auflagen gezwungen, einen Teil ihrer Anlagen in Staatsanleihen zu halten. Für die übrigen Akteure an den Finanzmärkten gilt dies nicht. Sie ziehen gegenwärtig Kapital aus den Bonds ab und reinvestieren es dort, wo zurzeit die Musik spielt: an den Aktienmärkten. Dadurch fallen die Kurse von Staatsanleihen, während spiegelbildlich die Renditen aus den Zinskupons zulegen. Diese Entwicklung kündet jedoch nicht vor einer beginnenden Inflation. Sie zeigt nur, dass Kapitalmarktakteure das Ende der pandemiebedingten Rezession sehen und in den Aufschwung investieren.

Die Konjunkturerholung scheint vor allem den Notenbanken zu verdanken zu sein. EZB, Bank of England und die Fed in den USA nehmen für Milliardenbeträge Staatsanleihen auf, um die Wirtschaftsförderungsprogramme der Regierungen zu tragen.
Wir haben im Euroraum seit Jahren in hohem Umfang eine monetäre Staatsfinanzierung durch die EZB. Und die Zentralbanken werden auf absehbare Zeit auch weiterhin ihre Anleihekäufe tätigen. Das könnte in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts zu einem Anstieg der Teuerung führen. Die Gefahr besteht, dass die Notenbanken mit ihrer Geldpolitik Inflationsraten oberhalb ihrer Zielmarke von nahe zwei Prozent generieren. Dazu beitragen könnte ein Faktor, der in den kommenden Jahren immer mehr an Einfluss gewinnen wird: die demografische Entwicklung.

Sie spielen auf die Generation der Baby-Boomer an, deren Angehörige nun sukzessive aus dem Berufsleben in den Ruhestand wechseln?
Exakt. Mit dem Abschied aus dem Arbeitsleben werden die Einkommen der Angehörigen der letzten geburtenstarken Jahrgänge der jüngeren Geschichte sinken. Im Rentenalter werden die Baby-Boomer daher gezwungen sein, ihr über die vergangenen Jahrzehnte angesammeltes Vermögen zu entsparen. Bislang haben diese hohen Ersparnisse dafür gesorgt, dass an den Finanzmärkten reichlich Anlagekapital zur Verfügung stand. Das hat die Zinsen und die Inflationsrate gedrückt. Doch dies wird sich in den kommenden Jahren ändern, weil die neuen Seniorenjahrgänge zunächst ihr zurückgelegtes Geld für Reisen und Hobbys und später, im höheren Alter für Pflegedienstleistungen ausgeben werden.

In Japan hält die Notenbank seit dem zeitgleichen Crash an den Aktien- und Immobilienmärkten von 1990 durch den Ankauf von Staatsanleihen die Regierung liquide. Gleichzeitig ist der demografische Wandel dort sehr viel weiter fortgeschritten als in Europa. Dennoch schwankt die Inflationsrate dort in diesen ganzen 30 Jahren um den Nullpunkt…
Die Ereignisse in Japan sind in der Tat bemerkenswert. Trotz massiver monetärer Staatsfinanzierung gibt es kaum Inflation im Land. Die Bereitschaft, hohe Liquiditätspositionen in der Vermögensbildung zu halten, lebt dort maßgeblich vom Vertrauen darauf, dass die Inflation auch in Zukunft niedrig bleibt. Geld ist dann ein Ersatz für Staatsanleihen, die ebenfalls keine Zinsen abwerfen. Aus Sicht der Anleger ist es dann egal, ob sie oder die Zentralbank die Staatsanleihen kauft. Dabei spielt auch der in Japan ausgeprägtere Home Bias eine Rolle – also die Präferenz für heimische gegenüber ausländischen Anlageformen.

Japan liefert also keinen Vordruck für Deutschland oder die Eurozone?
Es gibt weder für Japan eine Garantie, dass dort die Inflation dauerhaft niedrig bleibt, noch kann man dieses Beispiel einfach auf andere Länder übertragen. Sollte die demografische Entwicklung in weiten Teilen der Weltwirtschaft – nicht zuletzt in China – in dieser Dekade Kapital knapper werden und damit Zinsen tendenziell steigen lassen, dann würde ein Gegenhalten der Zentralbanken aus Rücksicht auf die hohen Verschuldungspositionen der Staaten einen höheren Inflationstrend deutlich wahrscheinlicher machen. Der Blick in den statistischen Rückspiegel, der niedrige Inflationsraten zeigt, ist dann kein guter Ratgeber.

Das Interview führte
Richard Haimann,
freier Journalist


Stefan Kooths, 52, ist Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum am Kieler Institut für Weltwirtschaft und Professor für Volkswirtschaftslehre an der BSP Business School Berlin. Schwerpunkte seiner Arbeit sind neben der Konjunkturforschung und internationalen Wirtschaftsbeziehungen Fragen des Geld- und Währungswesens sowie der Ordnungsökonomik.