»Mixed-Use-Immobilien sind eine Zwischenlösung ...«

Fußgängerzonen
Fußgängerzonen laden zum Bummeln, Flanieren, Schlendern ein ... © William – stock.adobe.com

Handel und Immobilien
Vision

Prof. Dr. oec. Hanspeter Gondring, FRICS

Mixed-Use-Immobilien haben sich gerade während der Pandemie als sehr krisenfest erwiesen und gelten deshalb heute als das Nonplusultra. Daran wird sich auch kurz- bis mittelfristig kaum etwas ändern. Da sich Städte aber stetig weiter entwickeln, verändern sich auch die Rahmen­bedingungen für Stadtimmobilien

 

In der Immobilienwirtschaft scheint aktuell die Zukunftsformel für die Innenstädte gefunden zu sein: Man nehme eine Mixed-Use-Immobilie, packe sie in ein innerstädtisches Quartier und man erhält eine renditestarke Asset-Klasse. Die Begründung ist so einfach wie anschaulich: In Quartieren gibt es unterschiedlich gemischte Nutzungsbedürfnisse, also müssen folglich die Nutzungsarten der Immobilie auch durchmischt sein. Auf dieser Basis werden bestehende Warenhäuser refurbished, indem die Fixierung auf den stationären Einzelhandel (homogene Nutzung) aufgegeben wird und ergänzt oder durchmischt wird mit anderen Nutzungsarten wie Wohnungen, Gastronomie, Büro oder Freizeiteinrichtungen. Diese diversifizierten Nutzungskonzepte (heterogene Nutzung) führen zu diversifizierten Einnahmequellen und sind perse für die Innenstadtbesucher und -bewohner attraktiver als die herkömmlichen, eher »langweiligen« Warenhäuser.

Was ist Quartier, was ist Nachbarschaft?

Mixed-Use-Immobilien haben sich gerade während der Pandemie als sehr krisenfest erwiesen und gelten deshalb heute als das Nonplusultra. Daran wird sich auch kurz- bis mittelfristig kaum etwas ändern. Gleichwohl ist das Mixed-Use-Immobilienkonzept auf längere Sicht nur ein »Durchgangs-« beziehungsweise  »Übergangskonzept« innerhalb des Transformationsprozesses der Städte. Mixed-Use-Immobilien sind eine Zwischenlösung, aber kein abgeschlossenes Zukunftsmodell, weil sich die Städte ständig verändern und damit auch die Rahmenbedingungen für Stadtimmobilien!

Die Quartiersentwicklung als »Motor« der Stadtentwicklung verändert stetig die Rahmenbedingungen. Der Begriff »Quartier« wird heute von den meisten Investoren und Projektentwicklern als Label oder nicht geschütztes Qualitätssiegel verwendet. Nach streng wissenschaftlichen Maßstäben sind es keine Quartiere, bestenfalls Substitute.

Die historischen Wurzeln bilden die »Blaupause« für den Städtebau von Hippodamos (griechischer Stadtschreiber, ca. 400 v. Chr.), der erstmals schriftlich einen Plan für die geometrische Stadtentwicklung (später übernommen bei der Planung nordamerikanischer und asiatischer Großstädte) lieferte.

Das orthogonale Grundmuster gleicht einem »Schachbrett«. Das heißt, es gibt nur gerade Wege, Straßen von Norden nach Süden und von Osten nach Westen. Dadurch bilden sich gleich große Parzellen (sogenannte Insulae), die der römische Kaiser Augustus später umsetzte, indem er Rom in 14 unterschiedliche Insulae einteilte. Mit der Aufteilung wurde erreicht, dass Senatoren (Oberschicht) ebenso wie Handwerker und niedere Bedienstete, also alle sozialen Schichten, gleichermaßen am öffentlichen Leben teilhaben konnten. In den islamischen Ländern gab und gibt es die Mahalle (arabische Stadtviertel) mit einem religiösen Mittelpunkt (etwa die Moschee) und einer Selbstverwaltungshoheit. Clarence Perry, US-amerikanischer Stadtplaner und Stadtsoziologe, beschreibt in den 1900er Jahren die Idee der »Neighbourhood« als selbstständige, territoriale Lebensräume innerhalb einer Stadt, in denen Menschen in engem sozialen Kontakt stehen. Nicht selten haben sich sogenannte Nachbarschaften bei Einwanderern in New England gebildet wie das deutsche, chinesische, italienische oder irische »Viertel«,  ebenso das Arbeiter-, Handwerker- oder Händlerviertel. Kennzeichen dafür war die uneingeschränkte Solidarität oder »Nachbarschaftshilfe« untereinander. Heute wird mit einer Nachbarschaft eher das »soziale Leben in einem Dorf« verbunden, also die dörfliche Sozialgemeinschaft in die Stadt tragen.

In der über 2000-jährigen Stadtgeschichte (von der Antike bis heute) waren die Quartiere Orte mit einer sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Durchmischung und damit die feste Verbindung aller sozialen Schichten zu einer Stadtgesellschaft mit starker Identifikation und Zusammenhalt, was entscheidend für die »Überlebenskraft« und Immunität dieser Gemeinschaften war. Im Umkehrschluss muss jede Form der Segregation nach sozialer Herkunft, Einkommen, Bildung oder Religion zu einer eher »krisenanfälligen« schwach verbundenen und labilen Stadtgemeinschaft führen. Das ist der Grund dafür, dass Wissenschaft und die politisch Verantwortlichen »gebetsmühlenartig« eine Art » Insulae« fordern, um eine resiliente Stadtgesellschaft dauerhaft zu formen.

Die Wissenschaft konnte sich bislang nicht auf eine gemeinsame Definition des Quartierbegriffs einigen. Eine Einengung des Quartierbegriffs wie etwa in § 6a BauNVO (urbane Gebiete) auf die Nutzungsdurchmischung (mixed use) blendet wesentliche Aspekte der Quartiersbildung aus. Die räumliche Größe eines Quartiers kann grob geschätzt zwischen 1 bis 10 Quadratkilometer und zwischen 1.000 und 10.000 Einwohnern liegen. Abweichungen sind jederzeit nach der allgemeinen Bevölkerungsdichte möglich.

Charakteristische Merkmale eines Quartiers sind beispielsweise:  

  • lebendige Nachbarschaften mit großem Sozialkapital (= Anzahl der belastbaren Sozialkontakte einer Person)
  • zentrale Treffpunkte für soziale Interaktionen wie städtische, kirchliche oder karitative Einrichtungen für Begegnung, Kultur- und Freizeitangebote
  • hohe Aufenthaltsqualität des öffentlichen Raums
  • urbane Arbeitswelten (Co-Working, Kreativwirtschaft, Dienstleistungen)
  • urbane Versorgungskonzepte mit kleinteiligem Einzelhandel und Nahversorgung
  • urbanes Wohnen wie Collaborative Living oder andere Formen der Sharing Economy (jüngere Menschen definieren ihre Wohnbedürfnisse immer mehr entlang ihrer Lebensphase und ihrer situativen Bedürfnisse)
  • Freizeiteinrichtungen und unterschiedliche Kulturangebote
  • gastronomische Angebote von internationaler Küche über  Schnellrestaurants bis vegane Küche
  • andere gastronomische Zusatzangebote wie Tee-, Kaffeeläden, Kneipen und Bars
  • urbane Mobilitätskonzepte; Anbindung an den ÖPNV

Handel und Städte – untrennbar miteinander verbunden

Handel gibt es so lange es den Menschen gibt. Archäologische Funde zeigen, dass schon vor 50.000 Jahren die Menschen Handel über große Strecken betrieben haben. Der Handel jedoch, wie wir ihn heute verstehen, hat seine Wurzeln im frühen Mittelalter, in einer Zeit der Stadtgründungen. Der Marktplatz war der wichtigste Platz in der mittelalterlichen Stadt und fand sich meist in der Nähe zu einer Kirche. Markt und Messen hatten ihren Ursprung darin, dass die Kirchen und Klöster die Tatsache ausnutzten, dass an Kirchenfesten und hohen Festtagen viele Gläubige in die Städte kamen und damit das Abhalten von Märkten sehr günstig war. Neben den Wochenmärkten wurden zudem Jahrmärkte abgehalten, die sich an den kirchlichen Festtagen wie Michaelis, Johannis, Peter und Paul oder Christi Geburt orientierten.

Während auf den Wochenmärkten überwiegend Lebensmittel und Nutzvieh gehandelt wurde, lag der Schwerpunkt der Jahrmärkte auf den gewerblichen Erzeugnissen der Bauern und Handwerker. In dieser Tradition gibt es heute noch die Handwerkermärkte (überwiegend Kunsthandwerk) in den Städten.

Handel und Städte sind damit untrennbar miteinander verbunden. Durch die ständigen Veränderungen der Städte hat sich auch der Handel immer wieder verändern müssen. Daher: Handel ist Wandel.

Gegenwärtig sind der Online-Handel, die Corona-Krise, verändertes Konsumverhalten und die Veränderungen des jeweiligen Stadtbildes Entwicklungen, die den stationären Einzelhandel bedrohen. Nach dem Stadtmonitor 2021 des HDE Handelsverband Deutschland steigt das Umsatzvolumen des Online-Handels gegenüber dem des stationären Handels überproportional. Bezogen auf das Basisjahr 2010 (= 100 Prozent) ist 2019 der Umsatz des stationären Handels um 119 Prozent gestiegen und der des Online- Handels um 293 Prozent. Für das Jahr 2020 ist das Wachstum mit 118 Prozent für den stationären Handel nahezu gleich geblieben, während der Online-Handel um 336 Prozent gestiegen ist.

Selbstverständlich ist der rasante Anstieg des Online-Handelsvolumens bereits 2020 teilweise der Corona-Pandemie zuzuschreiben. Aber auch ohne die Pandemie wäre das Wachstum mit  rund 300 Prozent deutlich ausgefallen.

Aber allen Unkenrufen zum Trotz wird der Einzelhandel in den Innenstädten nicht wegzudenken sein und erlebt sogar eine Renaissance. Gleichwohl müssen sich sowohl die Städte als auch der Einzelhandel grundlegend ändern. Es gibt auch Unterschiede je nach der Größe der Stadt: Eine Stadt von mehr als 500.000 Einwohnern hat generell eine andere Wirkung als eine Stadt mit weniger als 25.000 Einwohnern.

Studien zeigen, dass die Gestaltung der Innenstadt, das Ambiente, die Atmosphäre und das Flair die wichtigsten Merkmale für die Attraktion einer Innenstadt sind. Menschen gehen nicht mehr nur zum Einkaufen in die Städte, sie wollen die Städte erleben. Und so ist der Erlebnischarakter einer Stadt ein zentrales Element zur Bestimmung der Stadtattraktivität. Als selbstverständlich werden die Vielfalt der Angebote, die Sauberkeit und das Gastronomieangebot angenommen. Daraus ist die Schlussfolgerung zu ziehen, dass noch mehr Angebotsvielfalt, noch mehr Gastronomie und noch mehr Sauberkeit nur eine marginale Attraktivitätswirkung haben, während mit der Innenstadtgestaltung und damit auch der Verbesserung des Erlebnisempfindens die Innenstadtattraktivität sehr stark erhöht werden kann.

Was zieht die Menschen in die Städte?

Das Flair und der Erlebniswert einer Innenstadt ist abhängig von den Gebäuden, den Plätzen, den Grünanlagen, aber auch von der Beseitigung von Barrieren für den Innenstadtbesuch wie schwere Erreichbarkeit mit ÖPNV oder unzureichende Parkmöglichkeiten. Einkaufsmeilen der 1970er Jahre entfalten keine Attraktivität mehr. Die Plätze und Straßen in den Innenstädten können durch Kultur- und Erholungsinseln aufgewertet werden. Ebenso ist die Abwechselung der Events ein entscheidender Punkt: Warum sollte jemand in die Stadt gehen, wenn er dort das Gleiche erlebt wie vor zwei Wochen? Eventmanager haben Hochkonjunktur. Jede Stadt muss für sich überlegen, die gegebene Gebäude-, Platz- und Straßenkultur durch weiche Faktoren aufzuwerten.

Mixed-Use-Immobilien – holistische Projektentwicklung

Mobilität, Klimaresilienz, Stadt der kurzen Wege, Lebensqualität, entschleunigte Städte sind einige Forderungen an eine »zukünftige lebenswerte Stadt«. Das beste Konzept, alles »unter einem Dach« zu verwirklichen, ist das Quartiersmodell. Städte entwickeln sich zu gigantischen Wachstums- und Regenerationsmaschinen.

Das holistische Konzept der Projektentwicklung adaptiert diese Entwicklungen. Die traditionelle Projektentwicklung hat den Blick von der Gebäudeentwicklung aus in den Mikrostandort, die holistische Projektentwicklung verändert die Blickrichtung vom Mikrostandort aus zur Projektentwicklung. Die Mixed-Use-Immobilien sind erste Schritte dieser holistischen Projektentwicklung, indem die verschiedenen Lebensbereiche des Mikrostandorts wie Konsum (Einzelhandel), Arbeiten (Büro), Wohnen, Kinderbetreuung, Freizeitangebote wie Wellness und Fitness in der Projektentwicklung aufgenommen werden und so das Nutzungsprofil des Mikro­standortes unter einem »Dach« abbilden. Somit ist die Mixed-Use-Immobilie die erste konkrete Form einer holistischen Projektentwicklung, was sie auch so erfolgreich macht. Gleichwohl verändern sich die innerstädtischen Mikro­standorte im 10-Jahres-Rhythmus vergleichsweise sehr schnell, was bedeutet: Was heute gilt, kann morgen schon falsch sein.


Ein Beitrag von
Prof. Dr. oec. Hanspeter Gondring, FRICS,
Geschäftsführender Gesellschafter
und wissenschaftlicher Leiter der ADI Akademie der Immobilienwirtschaft GmbH