Nach »A« wie Absturz folgt »B« wie Boom

Joe Biden
Der neu gewählte US-Präsident Joe Biden und die neue Vizepräsidentin (Senatorin) Kamala Harris © UPI / Alamy Stock Photo

Strategie

Richard Haimann

Die Corona-Krise hat die Weltwirtschaft massiv einbrechen lassen. Doch nun zeichnet sich die Wende ab: Neue Impfstoffe nehmen dem Erreger seinen Schrecken. Ökonomen erwarten deshalb eine rasante Konjunkturerholung im kommenden Jahr – insbesondere in jenen Wirtschaftszweigen, die bislang besonders getroffen waren: dem stationären Einzelhandel und dem Tourismus. Gestützt wird die Prognose vom Aufschwung auch vom Blick auf die künftige US-Politik des neuen Präsidenten Joe Biden. Er steht für internationale Kooperation 

Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, blickt zuversichtlich auf die kommenden Monate: In Deutschlands Konjunktur werde »im Frühjahr nach ersten Erfolgen bei der Bekämpfung der Pandemie durch Impfungen ein stärkerer Rückprall erfolgen, als vor dem zweiten Lockdown erwartet wurde.«

Für Optimismus sorge zudem der Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA, sagt der Professor für Internationale Wirtschaft: »Für die langfristige konjunkturelle Entwicklung ist der Wahlsieg von Joe Biden eine gute Nachricht – für Deutschland, Europa und die Weltwirtschaft.« Der künftige Präsident der Vereinigten Staaten werde – anders als sein Vorgänger Donald Trump – mit anderen Nationen kooperieren. »Das schafft Berechenbarkeit und fördert damit globalen Wohlstand«, so Felbermayr.

Deutsche Wirtschaft wächst 2021 um fünf Prozent

Der Österreicher an der Spitze des Forschungsinstituts im hohen deutschen Norden steht mit seiner Einschätzung nicht allein da: »Deutschland wird 2021 auf einen soliden Wachstumskurs zurückkehren«, urteilt auch Michael Böhmer, Chefökonom des Prognos Instituts in Berlin. Einen kräftigen Aufschwung nach dem Einbruch in diesem Corona-Krisenjahr erwartet ebenso Gertrud R. Traud, Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen: »Das Wirtschaftswachstum in Deutschland fällt 2021 als Gegenbewegung auf die tiefe Rezession in diesem Jahr mit 5 Prozent sehr stark aus.« In der gesamten Eurozone, wo Staaten wie Frankreich, Italien und Spanien dieses Jahr durch die SARS-CoV-2-Pandemie besonders harte Einschnitte hinnehmen mussten, dürfte die Konjunktur 2021 sogar um durchschnittlich sechs Prozent anziehen.

»… rasche und breite Erholung ist möglich«

Das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit verheißt für das kommende Jahr einen deutlichen Rückgang der Erwerbslosen. »In fast ganz Deutschland wird die Arbeitslosigkeit sinken«, schreiben die Forscher in ihrer jüngsten Studie. »Flächendeckend ist ein Zuwachs an Beschäftigung zu erwarten.« Damit einhergehen werde auch ein Anstieg der Kaufkraft.

Das Corona-Virus hat der globalen Wirtschaft in diesem Jahr einen harten Schlag versetzt. Zwar nimmt die von ihm ausgelöste Krankheit Covid-19 in den meisten Fällen einen milden Verlauf. Der Großteil der Infizierten verspürt keine oder allenfalls geringe, grippeähnliche Symptome. Doch bei schwer Erkrankten greift das Virus nicht nur die Lunge, sondern häufig auch Herz, Nieren, Milz und sogar das Gehirn an. Diese Patienten müssen häufig wochenlang auf Intensivstationen versorgt und künstlich beatmet werden. Zudem infizieren sich Ärzte und Pflegekräfte, fallen somit für die Betreuung von Patienten aus. Das überlastet weltweit Krankenhäuser. Operationen werden zurückgestellt, Chemotherapien bei Krebspatienten verschoben.

China, die Werkbank der Welt, riegelt am 23. Januar komplett die neun Millionen Einwohner zählende Metropole Wuhan ab, nachdem sich 500 Einwohner mit dem Erreger infiziert und 17 Patienten an der durch ihn ausgelösten Krankheit Covid-19 verstorben sind. Nur Tage später wird die Ausgangssperre auf weite Teile des Landes ausgeweitet. Fabriken werden geschlossen. Die internationalen Lieferketten brechen ein.

In Europa verhängt Italien am 9. März einen Lockdown, schließt bis auf den Nahversorgungsbereich alle Geschäfte sowie Schulen, Universitäten, Sport- und Kulturstätten. In den folgenden Tagen ziehen die meisten anderen europäischen Staaten, darunter auch Deutschland, nach.

Die Beschränkungen dämmen das Virus erfolgreich ein. Schrittweise öffnen Regierungen wieder ihre Länder. Im Sommer beginnt die Wirtschaft in Europa eine rapide Aufholjagd. In der Bundesrepublik schießt das Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal dieses Jahres um 8,2 Prozent gegenüber dem vorangegangenen Drei-Monats-Zeitraum in die Höhe. »Deutsche Wirtschaft erzielt im Sommerquartal Rekordwachstum«, schlagzeilt das Handelsblatt. Die Zahlen zeigten, »dass eine rasche und vor allem breite Erholung möglich ist«, sobald die Pandemie vorbei sei, analysiert Martin Moryson, Chefvolkswirt Europa der DWS, dem Vermögensverwalter der Deutschen Bank.

Schweiz muss »Triage« anwenden

Doch Corona ist nicht vorbei. Im Oktober kehrt das Virus zurück. Diese zweite Welle ist größer als die erste. Weltweit gibt es noch mehr Infizierte, noch mehr Patienten auf den Intensivstationen, noch mehr Tote. Deutschland fährt im November mit der Schließung von Gastronomie, Kultur- und Sportstätten das Leben wieder herunter. Alle Geschäfte hingegen dürfen diesmal geöffnet bleiben. In Staaten wie Belgien, Frankreich, Italien und Spanien aber wütet das Virus so vehement, dass die Regierungen erneut Ausgangsbeschränkungen verhängen.

In der Schweiz sind die Spitale so überlastet, dass Ende Oktober Covid-19-Erkrankte, die 80 Jahre und älter sind, abgewiesen werden. Mit Morphium versorgt sollen sie schmerzfrei in den Tod hinüberdämmern. Bienvenido Sanchez, leitender Intensivmediziner mehrerer Spitäler im Kanton Wallis, erzählt der Zeitung NZZ am Sonntag erschüttert von einem solchen Fall: »Normalerweise hätten wir diesen Patienten aufgenommen, damit er mindestens eine minimale Überlebenschance hat«, sagt der Mediziner. »In der aktuellen Situation aber halte ich die letzten Betten lieber für Fälle frei, wo mehr Hoffnung besteht.« Diese Praxis des »Triagierens« – der Auswahl, wer, wann und wie schnell behandelt wird – ist zwar in jeder Notaufnahme gängige Praxis, aber keineswegs für den normalen Klinikbetrieb. Allerdings wird Triage bei voll laufenden Intensivstationen immer häufiger ein Thema für Krankenhäuser und Kliniken – und zwar überall auf der Welt, wo Corona wütet.

Stand 25. November vermeldet etwa die Johns Hopkins University in Baltimore, führende medizinische Fakultät der USA, weltweit 59,85 Millionen Infizierte und 1,4 Millionen Tote. In den Vereinigten Staaten beläuft sich die Zahl der am Virus verstorbenen an diesem Tag auf 259.976. Covid-19 hat damit unter der US-Bevölkerung mehr Opfer gefordert, als sämtliche seit 1946 von den USA geführten Kriege unter den Soldaten des Landes.

Ein Ende der Pandemie ist in Sicht

2021 jedoch, darin sind sich Mediziner und Ökonomen weitgehend sicher, dürfte das brutale Regiment des Virus sein Ende finden. Pharmakonzerne rund um den Globus haben Impfstoffe entwickelt. Führend dabei ist auch ein deutsches Unternehmen: Biontech in Mainz bringt gemeinsam mit dem US-Konzern Pfizer ein Vakzin erfolgreich durch sämtliche Testreihen. Die ermittelte Wirksamkeit beträgt 95 Prozent. In China und Russland haben Impfungen mit dort entwickelten Stoffen bereits begonnen.

Das ist nicht die einzige gute Nachricht von der medizinischen Front. Auch neue Medikamente sind entwickelt worden, die das Virus im menschlichen Körper rapide bremsen und somit schwere Krankheitsverläufe verringern können. »Therapeutische Fortschritte erscheinen ermutigend«, urteilt Johannes Müller, Head of Macro Research der DWS. Zudem seien »alternative, schnellere Testmöglichkeiten inzwischen verfügbar«. Damit sei ein Ende der Pandemie in den kommenden Monaten wahrscheinlich. Die Aussichten stünden gut, für »ein Jahr 2021 mit Wirtschaftswachstum über Potenzial«, sagt Müller  und ergänzt: »Auch 2022 könnte das Wachstum ordentlich ausfallen.«

Ganz ähnlich fällt die Prognose von Robert Shiller aus. Der US-Ökonom und Wirtschaftsnobelpreisträger hat die Konjunkturentwicklung während und nach der 1918 und 1919 weltweit grassierenden Spanischen Grippe analysiert und mit den bisherigen Geschehnissen während der Corona-Pandemie verglichen. Eine wichtige Lehre: In jenen US-amerikanischen Metropolen, die vor 101 Jahren scharfe Lockdowns verhängt haben, erholt sich die Wirtschaft anschließend am schnellsten. Der Grund: Die Menschen fühlen sich nach rapide gesunkenen Infektionszahlen  wieder viel sicherer, gehen auf die Straße und konsumieren. Eine weitere Erkenntnis: Zwar sei unter dem Seuchendiktat der Spanischen Grippe die US-Wirtschaft kurzzeitig stärker eingebrochen als während der Großen Depression von 1929. »Dafür hat sich die US-Konjunktur vom Frühjahr 1919 bis Ende des Jahres so schnell wieder erholt wie kein anderes Mal in der Geschichte«, sagt der Ökonom.

Wie rasch Volkswirtschaften nach einer überstandenen Pandemie wieder wachsen können, lässt sich gegenwärtig in China beobachten. Dessen Regierung hat im Frühjahr mit sehr harten Restriktionen das SARS-CoV-2-Virus erfolgreich eingedämmt. Bei kleineren neuen Ausbrüchen in Millionen-Metropolen wurden seither sofort wieder Ausgangssperren verhängt, bis alle Bewohner auf den Erreger getestet werden konnten. Durch die scharfen Maßnahmen hat das mit 1,4 Milliarden Einwohnern bevölkerungsreichste Land der Erde es zum einen geschafft, dass – Stand 25. November – nach Berechnungen der Johns Hopkins University nicht mehr als 4.742 Menschen an Covid-19 verstorben sind. Zum anderen nimmt die Konjunktur im Frühsommer wieder rapide Fahrt auf.

Chinas Wirtschaft legt trotz Corona um 1,9 Prozent zu

Fabriken laufen auf Hochtouren. Verbraucher konsumieren mit Macht. Im dritten Quartal legt das Bruttoinlandsprodukt um – auf das Jahr hochgerechnet – 21,4 Prozent zu. Wie weit China die Corona-Krise bereits hinter sich gelassen hat, zeigen jüngste Wirtschaftsdaten des Transportministeriums in Beijing und der New Yorker Unternehmensberatungsgesellschaft McKinsey: Bis Ende September ist danach die Zahl der Passagiere auf Inlandsflügen und im Schienennahverkehr wieder auf 90 Prozent des Niveaus vor Ausbruch der Pandemie gestiegen. Die Hotelbuchungen liegen sogar fünf Prozent höher als vor der Krise.

Der Internationale Währungsfonds prognostiziert für das kommunistisch regierte und kapitalistisch ausgerichtete Land in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent. Trifft die Einschätzung zu, wäre China die einzige Volkswirtschaft der Welt, deren Konjunktur auch im Corona-Jahr wächst.

Comeback von Einzelhandel und Tourismus

Zugleich liefert der Blick nach Fernost auch eine Vorausschau auf die Konjunkturentwicklung in Deutschland, in den anderen europä­ischen Ländern und auf die US-Volkswirtschaft, sobald Impfungen und neue Medikamente das SARS-CoV-2-Virus auf den Status eines gewöhnlichen Influenza-Erregers degradiert haben. Der Internationale Währungsfonds prognostiziert in seiner jüngsten Vorausberechnung für 2021 ein Weltwirtschaftswachstum von 5,2 Prozent. In den USA soll das Bruttoinlandsprodukt danach im kommenden Jahr um 3,1 Prozent zulegen, in der Europäischen Union um fünf Prozent, in China sogar um 8,2 Prozent. Ein kräftiges Comeback verheißen die Ökonomen der Sonderorganisation der Vereinten Nationen dabei jenen Branchen, die in diesem Jahr besonders stark unter der Pandemie gelitten haben – neben dem Tourismussektor zählt dazu auch der stationäre Einzelhandel.

Für zusätzlichen Schub soll die neue US-Regierung sorgen. Anders als der scheidende Präsident Donald Trump steht sein Nachfolger Joe Biden nicht für eine nationalistische, unilaterale Wirtschaftspolitik, sondern gilt als Verfechter des Globalismus und der Kooperation mit anderen Nationen. »Die Zivilisation kehrt ins Weiße Haus zurück«, sagt Michael Werz, Experte für Außenpolitik am Think Tank Center for American Progress in der US-Hauptstadt Washington und Vorstandsmitglied des zur Förderung der deutsch-amerikanischen Beziehungen 1952 gegründeten Vereins Atlantik-Brücke.

Zwar würden die USA auch unter dem neuen Präsidenten primär ihre eigenen Interessen verfolgen, sagt Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. »Auch Biden würde wohl Handelsabkommen in Frage stellen, wenn er zu dem Schluss käme, dass sie ein schlechter Deal für die USA sind.« Im Gegensatz zu Trump sei vom neuen starken Mann im Weißen Haus jedoch »zumindest zu erwarten, dass internationale Verträge und Organisationen wie zum Beispiel die Welthandelsorganisation WTO wieder einen höheren Stellenwert in der US-Politik bekommen werden«, sagt Hüther.  

Mit Allianzen gegen Chinas Imperialismus

Der von Trump gegen China geführte Handelskrieg könnte an Schärfe verlieren. »Die neue Administration wird – darin liegt ein zentraler Unterschied zu Trump – versuchen, durch Allianzen und Netzwerke den Einfluss gegenüber dem chinesischen Imperialismus zu stärken«, sagt Hüther. »Deutschland – als verlässlichster Partner, nachdem das Vereinigte Königreich aus der EU ausgeschieden ist – kann hierbei vermittelnd und orientierend wirken.«

Ähnlich fällt die Prognose von Felbermayr aus: »Auch für Biden gilt eine America first-Politik mit Blick auf Produktion und Arbeitsplätze.« Der neue Präsident dürfte sich dabei jedoch an die Regeln der Welthandelsorganisation halten. »Es existiert deshalb eine echte Chance, bei konkreten Reformen der WTO miteinander zu arbeiten«, sagt der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft. »Auch eine gemeinsame Strategie im Umgang mit Chinas Dominanzstreben dürfte sich leichter finden lassen.«

Ein Beitrag von
Richard Haimann,
freier Journalist