Offener Brief an Bundesministerin Klara Geywitz

Offener Brief
Offener Brief an Bundesministerin Klara Geywitz © Claus Kaminsky / ifriday – stock.adobe.com

Handel und Immobilien
Menschen

Claus Kaminsky

Offener Brief an Bundesministerin Klara Geywitz in Sachen Förderprogramm "Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren" von Claus Kaminsky, Oberbürgermeister der Stadt Hanau

Sehr geehrte Frau Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, sehr geehrte Frau Geywitz, liebe Klara,
ich bin entsetzt, erzürnt, enttäuscht über die zähe Abwicklung des Förderprogramms »Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren«. Zähmen Sie dieses Bürokratie-Monster!

Über das Ihrem Ministerium zugeordnete »Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung« ist das Bundesförderprogramm »Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren« ausgerufen worden. Der Grund ist offensichtlich: Bundesweit stehen Innenstädte nicht zuletzt wegen der Coronakrise, des pandemiebedingt boomenden Online-Handels sowie wegen bestehender und drohender Ladenleerstände unter erheblichem Druck. Es ist ein Schicksalsjahrzehnt für das europäische Kulturgut Innenstadt.

Die Bundesregierung hat das erkannt. Sie hat das 250 Millionen Euro schwere Förderprogramm aufgelegt. Zusagen wurden erteilt. Auch an Hanau.

 
Die Fördergelder kommen nicht in den Kommunen an


Aber: Bei uns kommt kein Geld an! Statt unsere klugen Konzepte hier vor Ort umsetzen zu dürfen, zwingen Sie uns in einen Antrags-Dschungel, den auch die vielen Beratungsagenturen nicht zu durchblicken scheinen. Wir warten jetzt seit mehr als einem halben Jahr auf den Zuwendungsbescheid und die daraus resultierende Freigabe der Fördermittel. Selbst der vorzeitige Maßnahmenbeginn ist uns bis dato nicht genehmigt worden. Unserer Innenstadt, unseren Händlerinnen und Händlern läuft dabei die Zeit davon.

Ja, der Patient Innenstadt ist auf die Intensivstation eingeliefert worden. Ja, mit dem Förderprogramm ist ein mögliches Heilmittel gefunden. Aber die Ärzte, also die pfiffigen und agilen Citymanagerinnen und Stadtentwickler, dürfen dieses Medikament nicht einsetzen, weil das Rezept aus Ihrem Hause fehlt.

Ablauf ist suboptimal


Zur Verdeutlichung der misslichen Lage gebe ich Ihnen einen kurzen zeitlichen und inhaltlichen Ablauf der für uns mehr als unbefriedigenden Lage.

Bis zum September 2021 haben Sie Städte aufgefordert, »Projektvorschläge für innovative Konzepte und Handlungsstrategien zur Stärkung der Resilienz und Krisenbewältigung« einzureichen. Erledigt!

Im November 2021 lobte ich den Bund presseöffentlich für die Zusage von 3,75 Millionen Euro Fördermittel für unsere Stadt.

Ja, Hanau ist in den vergangenen Monaten mehrfach für sein Innenstadtprogramm »Hanau aufLADEN« ausgezeichnet worden, das Land Hessen unterstützt uns mit dem Programm »Zukunft Innenstadt« pragmatisch und schnell. Klar ist, dass die Kommunen die Herkulesaufgabe »Rettung der Innenstädte« nicht alleine werden stemmen können.

Mich treibt die sehr große Befürchtung um, dass Ihnen Ihre Beraterinnen und Berater demnächst den Satz aufschreiben werden, dass Kommunen Fördermittel nicht abgerufen haben – aber die Wahrheit ist, dass wir Stellen schaffen müssen, die sich mit immer wieder verändernden Förderbestimmungen und zahlreichen Antragsüberarbeitungen befassen müssen. Wir werden von einer Prüf-Prozess-Lawine überrollt, statt schnell und effektiv handeln zu können. Ist das in Ihrem Sinne? Ist das Ihr Verständnis von schneller Hilfe für den Patienten Innenstadt?

Projekte liegen wegen Ihrer Vorgaben auf Eis


Eine der Vorgaben lautet, dass ausschließlich Maßnahmen abgerechnet werden dürfen, die nach Zugang des Förderbescheids begonnen werden. Das führt dazu, dass wir Projekte seit gut einem halben Jahr immer weiter verschieben. Ihr Haus steht an der Spitze dieses Staus.

Statt dringend benötigtes Fördergeld vertrauensvoll an die Kommunen, die Dank handfester Konzepte und kreativer Schafferinnen und Schaffer wissen, was zu tun ist, zu geben, wird ein nicht unerheblicher Teil des Förderprogramms für Beratungsagenturen und endlose Prüfprozesse ausgegeben. Mit großem Entsetzen habe ich inzwischen sogar vernommen, dass erste Kommunen darüber nachdenken, den Antrag für Ihr Förderprogramm angesichts des Aufwands zurückzuziehen.

Den Schaden dieses Bürokratie-Monsters haben die Bürgerinnen und Bürger, haben unsere Einzelhändlerinnen und Gastronomen. Wie sollen wir für die Steigerung der Aufenthaltsqualität und Belebung der Innenstädte sorgen, wenn wir uns unseren Aufgaben nicht widmen dürfen? Ausdrücklich begrüßen wir Ihr Programm, denn die Rettung der Innenstädte ist ein gesellschaftlicher Auftrag, den der Bund finanziell unterstützen muss.

Lob an Land Hessen für schnelles Agieren


An dieser Stelle lobe ich das Land Hessen für Idee und Umsetzung des Programms »Zukunft Innenstadt«: Es verfolgt das gleiche Ziel, aber mit wesentlich schlankeren Anforderungen und dem angemessenen Tempo bei der Abwicklung. Im vergangenen Herbst erhielten wir die Förderzusage, Anfang diesen Jahres konnten wir loslegen – und das Land hat Mittel aus 2021 pragmatisch ins Jahr 2022 übertragen. Auch das ist – Stand jetzt – von Ihnen nicht vorgesehen.

Versickert Fördervolumen aufgrund der Verzögerungen?


Sie sehen: Wenn Ihr Zuwendungsbescheid in der zweiten Jahreshälfte endlich kommt, müssen wir innerhalb weniger Monate Geld ausgeben, das für das ganze Jahr geplant war. Bei den notwendigen Anforderungen an Vergaben und Auftragserteilungen, von Leistungen ausschreiben über Angebote einholen, wird das kaum mehr sinnvoll möglich sein. Die Befürchtung treibt mich um, dass auch hier ein dringend benötigter Anteil des Fördervolumens versickern wird, weil wir als Kommune es schlicht nicht mehr werden ausgeben können.

Ein weiteres Beispiel: Wir sollen heute darlegen, welche Pop-up-Stores, mit denen wir seit vergangenem Jahr in Eigenregie hervorragende Erfahrungen gemacht haben, wir bis Ende 2025 anmieten wollen, etwa Zahlen über Flächen und Mietpreise darlegen. Das gleicht dem Blick in die Glaskugel – wir wissen nicht, welche Geschäfte in den kommenden Monaten, geschweige denn Jahren, schließen werden.

Hanau steht in den Startlöchern. Mit Ideen, Konzepten, Komplizen und Tatkraft. Heute, Anfang Juli, haben wir von Ihnen weder verwertbare und verlässliche Aussagen zum Maßnahmenbeginn noch Geld.

Sehr geehrte Frau Bundesministerin Geywitz, liebe Klara, wir müssen Projekte verschieben und Partner vertrösten. Bitte sorgen Sie dafür, dass aus den Problemen keine Posse wird.

Zuversichtlich sehe ich Ihrer Antwort entgegen.


Mit freundlichen Grüßen
Claus Kaminsky